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DOK Premiere im Januar: „Das Forum“ von Marcus Vetter

Unsere Filmreihe im Ludwigsburger Caligari Kino startete ausgezeichnet ins neue Jahr. „Das Forum“ von Marcus Vetter war wieder Mal ausverkauft. Leider war der Regisseur erkrankt und deshalb kam sein Editor und Kameramann Michele Gentile für das Filmgespräch, um Details der Dreharbeiten in Davos zu erläutern und Fragen des Publikums zu beantworten. Der Film stieß auf ein solch großes Interesse, dass das Filmgespräch eine knappe Stunde lief und es danach noch einige Fragen im kleinen Kreis zu beantworten galt.

Marcus Vetter gehört sicher zu den wichtigsten Dokumentarfilmern aus Baden-Württemberg, der inzwischen viele internationale Projekte realisierte. Erinnert sei an „Der Tunnel – Die wahre Geschichte“ (1999), der sehr persönliche Film „Mein Vater der Türke“ (2005) oder „Trader’s Dreams – Eine Reise in die ebay-Welt“ (2006). Sein international bekanntester Film ist „Das Herz von Jenin“ (2008), das zu einem großen Engagement in Palästina führte, um dort ein Kino zu eröffnen. Auch dies wurde in einem Film dokumentiert. 2009 realisierte er „Hunger“, 2015 „The Forecaster“ und 2016 „Das Versprechen“, mit dem er auch als DOK Premiere zu Gast war. Er porträtiert das Schicksal von Jens Söring. Der deutsche Diplomatensohn saß seit 30 Jahren in einem Gefängnis in Virginia, verurteilt die Eltern seiner Freundin ermordet zu haben. Doch es gab immer Zweifel an seiner Schuld. Im Dezember 2019 wurde er nach Deutschland abgeschoben und Marcus Vetter und Michele Gentile haben seine Rückkehr begleitet. Viele seiner Filme behandeln Wirtschaftsthemen und die Folgen von Globalisierung.


„Das Forum“ war der Eröffnungsfilm von DOK Leipzig und hatte seine internationale Premiere beim IDFA Dokfest in Amsterdam, also den wichtigsten Dokumentarfilm-Festivals in Europa. Der Film ist inzwischen unter den 15 Auserwählten, die für den Deutschen Filmpreis Lola in der Kategorie Bester Dokumentarfilm nominiert werden können. Im Gegensatz zu seinen anderen Filmen hat Marcus Vetter den Stoff nicht selbst entwickelt und produziert, sondern Christian Beeetz von der Gebrüder Beetz Filmproduktion. Er hatte die Idee und den Kontakt zu Klaus Schwab hergestellt, um die Möglichkeiten eines solchen Films über das Weltwirtschaftsforums zu klären. Insgesamt dauerte die Produktion fünf Jahre, auch weil es zunächst sehr schwierig war, eine Finanzierung auf die Beine zu stellen. Als klar wurde, dass es einen solchen Blick hinter die Kulissen geben kann, wurde Marcus Vetter 2017 angesprochen, ob er die Regie übernehmen will. Beim DOKFest Leipzig gestand er, dass er darüber einige Wochen nachdenken musste, denn es war klar, dass es eine besondere Herausforderung ist, sich an ein solches Thema zu wagen. Bei den ersten Dreharbeiten beim Forum 2018 wurden sie aus den Räumen geschickt, sobald es spannend wurde. Daraufhin schrieb Marcus Vetter dem Gründer des Forums Prof. Klaus Schwab, dass er so keinen Dokumentarfilm drehen könne. Diese Bedenken verstand Schwab und sicherte ihm zu, sich um einen besseren Zugang für das Team zu bemühen, wobei dies natürlich das Einverständnis der Gesprächspartner voraussetzt. Von daher gelang es dem Team, beim Forum 2019 näher dran zu sein und hinter die Begrüßungsrituale zu schauen. Es gab aber weiterhin Situationen, in denen die Kamera nicht erwünscht war. Was der Film deutlich macht ist, dass das Weltwirtschaftsforum sich nicht nur das jährliche Treffen der 3.000 wichtigsten Wirtschaftschefs, Politiker und Vertretern der Zivilgesellschaft beschränkt, sondern die über 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an fünf Standorten, verschiedene Projekte und Treffen über das Jahr organisieren. Im Film besonders eindrucksvoll beispielsweise ein Projekt, das die Medikamenten Versorgung der Bevölkerung in Ruanda und Ghana mit Drohnen entscheidend verbessert.     


Michele Gentile arbeitet seit „Das Herz von Jenin“ (2008) immer wieder mit Marcus Vetter zusammen. Für „Das Forum“ war er in Davos als Kameramann dabei und gehörte neben Marcus Vetter, André Nier und Ana R. Fernandes zum Schnitt-Team. Sie hatten ungefähr 600 Stunden Material und zusätzlich Archivaufnahmen und er war vor allem für den zweiten Teil verantwortlich, bei der der Film deutlich an Fahrt aufnimmt. Im Schnitt zeigte sich, dass Klaus Schwab doch eine zentrale Rolle spielen muss, da er die Geschichte, die Ziele und die Vision des Forums verkörpert. Die Wahl für Cinemascope als Filmformat fiel bewusst, um die Untertitel des vielsprachigen Films vor schwarzen Hintergrund stellen zu können. Eine wichtige Rolle für den Film spielte das Sound Design und die Musik, die extra von Marcel Vaid komponiert wurde, um Emotion und Spannung einzubringen. Schließlich wird der Film von der Produktion als Dokuthriller bezeichnet. Einigen im Publikum war sie zu bombastisch und funktionierte für sie nicht. Kritisiert wurde, dass die Proteste und die ablehnenden Positionen zum Forum kaum präsent seien und keine politische Analyse der Bedeutung dieses Gipfeltreffens der Kapitalisten geliefert werde. Diese Funktion übernimmt in erster Linie Jennifer Morgan, die Greenpeace leitet und dem Forum kritisch gegenübersteht. Auf der anderen Seite sieht sie die Chance, dort an die Entscheider heranzukommen und Ihnen die Brisanz des Klimawandels deutlich zu machen. Sie sieht Klaus Schwab in der Pflicht, mit seinen herausragenden internationalen Kontakten gegen die Erderwärmung zu kämpfen. Morgan sorgt dafür, dass Anfang 2019 die junge schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg nach Davos kommt. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und wirft der Elite völliges Versagen vor („Wir müssen den Ausstoß an CO2 stoppen. Unser Haus brennt!“). Der weltweite Erfolg ihrer Bewegung „Fridays for Future“ gibt Hoffnung, dass die Dringlichkeit des grundlegenden Handelns gegen die Erderwärmung von immer mehr Menschen und Eliten erkannt wird.

Der diesjährige Gipfel in Davos findet vom 21.-24. Januar statt und Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird ein wichtiges Thema sein. Der Film „Das Forum – Rettet Davos die Welt?“ wird am nächsten Dienstag, 14.1.2020 um 20.15 Uhr auf Arte ausgestrahlt, am 20.1.2020 um 22.45 Uhr in der ARD, am 21.01.2020 um 20.15 Uhr auf Phoenix in der Kinofassung mit Diskussion und am 25.01.2020 um 21.50 Uhr im SWR.

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Kay Hoffmann
Dr. Kay Hoffmann war langjähriger Studienleiter Wissenschaft im HDF und Gesamtkoordinator des DFG-Projekts „Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland 1945-2005“. Zusätzlich ist er seit langem Kurator der DOK Premieren in Ludwigsburg.
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