2021 haben es sogar zwei dokumentarische Formate in den internationalen Wettbewerb geschafft, was durchaus eine Novität ist. Wir stellen „Herr Bachmann und seine Klasse“ und „A Cop Movie“ vor, die beide einen Silbernen Bären mit nach Hause nehmen können.
System Schule: „Herr Bachmann und seine Klasse“
Mitten in den Schulalltag im hessischen Stadtallendorf versetzt uns Maria Speth mit ihrem ruhigen Dokumentarfilm „Herr Bachmann und seine Klasse“, der mit einem Silbernen Bären im Berlinale-Hauptwettbewerb ausgezeichnet wurde. Er zeigt das Engagement des Lehrers, seine 12- bis 14-jährigen Schüler*innen auf die weiterführenden Klassen vorzubereiten. Mit viel Einfühlungsvermögen geht er auf ihre Interessen, Stärken und Schwächen ein, versucht sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen.
Humanistische Werte als Bildungsideal
Dem Lehrer geht es neben der Ausbildung in klassischen Fächern um Allgemeinbildung und die Achtung, die die Kinder und Jugendlichen untereinander entwickeln und zeigen sollen. In seiner Klasse sitzen junge Menschen aus den verschiedensten Ländern, die ein breites Spektrum an Lebenserfahrung mitbringen.
Auch Musik spielt für Herrn Bachmann eine wichtige Rolle. Über sie gelingt es ihm, selbst Schüchterne in den Unterricht einzubinden. Er ist neugierig und will viel über die ursprünglichen Herkunftsländer seiner Schüler*innen und ihre Ansichten zu zentralen Fragen nach Heimat, Sexualität, Religion und den Umgang miteinander erfahren.
Talent-Förderung
Wenn er von Konflikten hört, klärt er sie auf einer sachlichen Ebene. Eine Schülerin hatte beispielsweise wegen schlechter Erfahrungen in einer anderen Schule regelrecht Angst im Unterricht. Diese konnte sie inzwischen ablegen. Sie lernt und beteiligt sich immer besser. Entsprechend ist es für den Lehrer ein Schock, als ihm die Mutter beim Elterngespräch erzählt, dass sie aus persönlichen Gründen wegziehen will. Er macht sehr deutlich, was dies für seine Schülerin bedeuten würde. Mit dieser Unterstützung kann die Mutter schließlich umgestimmt werden: Das Mädchen darf an der Schule bleiben.
Training für eine multikulturelle Gesellschaft
Mit einer Länge von dreieinhalb Stunden lässt sich Maria Speth Zeit, dass auch das Publikum die Kinder kennenlernen und sie ins Herz schließen kann. Die Kameraarbeit von Reinhold Vorschneider beobachtet das Geschehen sehr präzise und erlaubt sich auch Ausflüge aus dem Klassenzimmer hinaus, zum Beispiel an Arbeitsplätze der Eltern oder auf einen Reiterhof in der Nähe, der bei einem Schulausflug besucht wird.
Herr Bachmann selbst findet Noten ungerecht. Sie sind für ihn nur eine Momentaufnahme, denn selbst bei einer positiven Entwicklung müssten die Leistung immer in Beziehung gesetzt werden zu denen der anderen. Trotz der Zwänge, mit denen sich Herr Bachmann konfrontiert sieht, gelingt es ihm, seine Klasse auf eine multikulturelle Gesellschaft vorzubereiten.
Auszeichnung mit dem Silbernen Bären
Der Film „Herr Bachmann und seine Klasse“ macht Hoffnung. Zu Recht hat Maria Speth dafür den Silbernen Bären der Berlinale-Jury im Hauptwettbewerb gewonnen.
System mexikanische Polizei: „Una pelicula de policias“ („A Cop Movie“)
Warum die Berlinale „Una pelicula de policias“ („A Cop Movie“) von Alsonso Ruizpalcios als „dokumentarische Form“ kategorisiert, ist schwer nachzuvollziehen. Bei der Netflix-Produktion geht es vornehmlich um den Alltag zweier Polizisten in Mexiko-Stadt, der von Schauspielern dargestellt wird. Gedreht wurde im Cinemascope-Format.
Auf Streife
Der Film zerfällt deutlich in zwei Teile und ist durchgängig sehr wortlastig. Die erste Hälfte von „Una pelicula de policias“ („A Cop Movie“) zeigt die beiden Protagonisten Teresa und Montoya bei ihren gemeinsamen Streifenfahrten. Sie erzählen von ihrem Leben, ihrer Motivation zur Polizei zu gehen und von spektakulären Einsätzen. Die Polizei in Mexiko ist berüchtigt, denn sie gilt als korrupt und kann sich gegen kriminelle Organisationen nicht durchsetzen. Diese bedrohen durchaus auch die Familien der Cops, wenn sie aktiv werden. Irgendwann verlieben sich Teresa und Montoya und bekommen von ihren Kollegen den Spitznahmen „Love Patrol“.
Ein durchinszenierter Spielfilm
All diese Szenen sind nicht dokumentarisch, denn die beiden sind Schauspieler, die Rollen spielen. Die Ereignisse werden auch nicht mit dokumentarischer Kamera aufgenommen, sondern mit aufwändiger Beleuchtung und Kamerafahrten Spielfilm-mäßig inszeniert.
Blick hinter die Kulissen der Produktion
Der zweite Teil zeigt die beiden Schauspieler während der Vorbereitung ihrer Rollen – sozusagen das „Making-of“ des Films nach wahren Begebenheiten. Sie absolvieren einige Monate Ausbildung auf der Polizeischule und lernen die Dialoge des Drehbuchs. Der Schauspieler Raúl Briones muss sich für die Rolle sogar seine langen Haare und seinen Bart schneiden lassen. Sie treffen auch die echten Polizisten, deren Leben sie in „Una pelicula de policias“ („A Cop Movie“) spielen.
Ausgezeichnet für das beste Editing
Das Ziel, Innenansichten aus dem Polizeialltag zu bieten, erfüllt „Una pelicula de policias“ („A Cop Movie“) ebenso wenig wie das Label, dass der Film ein dokumentarisches Format oder mit dokumentarischen Elementen spielt. Der Editor Yibrán Asuad wurde – dennoch – mit einem Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung ausgezeichnet.