»Seid ihr bereit? Geht’s euch gut?«. So beginnt Lutz Gregors Dokumentarfilm »Mali Blues«, der von einem Land handelt, dem es nicht gut geht, aber dessen junge Generation bereit ist. Bereit für ein Zusammenrücken gegen Separatisten, für einen Islam ohne Dschihadisten und vor allem bereit, in der Musik seine Sehnsüchte auszudrücken. Den preisgekrönten Film zeigt Arte nach der TV-Erstausstrahlung noch bis zum 3. März in der Mediathek.
Wie kamen der Blues und der Jazz in die westliche Welt? Vermutlich auf Sklavenschiffen. Denn aus Ländern wie Mali im Herzen Westafrikas holte sich die junge nordamerikanische Sklavenhalter-Nation ihre Arbeitskräfte – und importierte dabei auch eine tiefe musikalische Seele Afrikas, die sich von den Baumwollfeldern aus aufmachte, die neue Zwangsheimat zu erobern.
Solche geschichtliche Exkurse spart sich der deutsche Filmemacher Lutz Gregor. Er taucht von der ersten Minute ein in eine sandreiche Welt, die in den Augen der Europäer landschaftlich karg wirkt, aber ungemein reich ist an Farben, Lebensfreude und Musik. Und an politischen Problemen. Im Norden des Landes werden die Menschen seit Jahren von Dschihadisten bedroht, Drogenschmuggel und Stammesfehden sind in dem aus mehr als 60 ethnischen Gruppen zusammengesetzten malischen Volk weitere Geiseln. Wie soll ausgerechnet Musik da zu einem gesellschaftlichen Kitt werden?
Mali Blues (Arte-Mediathek)
(Video laut Sender abrufbar bis 3. März 2018)
Kein hoffnungsloses Unterfangen, wenn auch ein utopisches. Doch ist nicht jede Kunst politisch und utopisch zugleich? Während Lutz Gregor die im Ausland berühmt gewordene, jetzt für ein Konzert zurück gekehrte, Musikerin Fatoumata Diawara begleitet, stellt er ganz elegant ein Land zwischen Tradition und Umbruch vor. Die musikalischen Seele könnte tatsächlich etwas sein, was hier Gemeinsames empfinden lässt.
Während der (leider viel zu kurzen) 53 Minuten lernen die Zuschauer noch weitere Musiker kennen: den Tuareg Ahmed Ag Kaedi, der vor den Dschihadisten floh, oder den Ngoni-Virtuose Bassekou Kouyaté und den Rapper Master Soumy. Letzterer greift in seinen Texten den »falschen Islam« an und ist selbst ein gläubiger Moslem.
Mali und seine Musik sind eine echte Entdeckung. Für westliche Ohren sind die tatsächlich an amerikanischen Blues erinnernden Harmonien durchaus vertraut. Die Texte der Songs, die für diesen Film übersetzt wurden, zeigen einen anderen Teil der islamischen Welt: einen, der sich bewusst ist, das zwischen Mittelalter und Moderne auch im Namen Allahs unterschieden sein will.
Am bewegendsten ist sicherlich die Szene, in der Fatoumata Diawara in ihrem Heimatdorf vor Frauen und Mädchen ein Lied gegen die Genitalbeschneidung bei Frauen singt. Sie selbst wurde dieser Mali-Tradition unterworfen und kämpft jetzt dafür, dass in ihrem Heimatland erkannt wird, dass diese Verstümmelung der Frauen auf einem falsch interpretierten Islam beruht. In dem Moment kann man nur hoffen, dass Musik tatsächlich die Kraft hat, die Welt zu verändern.
Im Jahre 2017 wurde »Mali Blues« beim SWR Doku Festival mit dem Preis der Norbert Daldrop Förderung für Kunst und Kultur geehrt. Die Auszeichnung war mit 5000 Euro dotiert. Die Jury lobte den Film, weil er deutlich mache, »wie gute Musik in die Alltagskämpfe und Leiden der Menschen einwirkt, wie eng Gesellschaft und Musik miteinander verwoben sind. Er zeigt, wie sehr gute Musik uns helfen kann, Schlimmes zu ertragen, Not zu formulieren, einen Klang für den Schmerz zu finden oder sogar endlich dagegen aufzustehen.«