Berlinale 2018: Die Preisträger im Dokumentarfilm (3)
Der zum zweiten Mal vergebene »Glashütte Original Dokumentarfilmpreis«, dotiert mit 50.000 Euro Preisgeld, geht in diesem Jahr an die österreichische Filmemacherin Ruth Beckermann für ihren Film »Waldheims Walzer«. Sie arbeitet darin den Skandal um Kurt Waldheim auf, den ehemaligen Österreichischen Bundespräsidenten und dessen NS-Vergangenheit.
Berlinale 2018 · Der dokumentarische Rückblick
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Die Auszeichnung für den besten Dokumentarfilm ist seit 2017 mit einem Preisgeld von 50.000 Euro dotiert, das von einer sächsischen Uhrenmanufaktur gestiftet wird. Insgesamt werden rund 18 aktuelle Dokumentarbeiträge aus den Sektionen Wettbewerb, Panorama, Forum, Generation, Berlinale Special, Perspektive Deutsches Kino sowie der Sonderreihe Kulinarisches Kino für den Preis nominiert.
Ruth Beckermann hat für diesen Film ausschließlich mit Archivmaterial gearbeitet – schon das ist in Zeiten von »alternativen Fakten« ein Statement. Die Regisseurin selbst griff als Aktivistin 1986 selbst zur Videokamera, um die Proteste gegen Kurt Waldheim zu begleiten. Nicht durch Zufall erinnerte sie sich vor einigen Jahren an dieses Material und entwickelte daraus den beeindruckenden Film. Waldheim war der weltweit geachtete UN-Generalsekretär. Als er 1986 in Österreich als Bundespräsident kandidiert, holte ihn seine NS-Vergangenheit ein. Obwohl es eindeutige Belege dafür gab, dass er als Soldat Kriegsverbrechen miterlebte, wenn nicht sogar daran beteiligt war, leugnete er stur jede persönliche Verantwortung. Letztlich war der Skandal nicht, ob er daran beteiligt war oder nicht, sondern seine Verteidigungsstrategie, nichts gewusst haben zu wollen und nur als guter Soldat gehandelt zu haben.
Die Regisseurin hat rund 200 Stunden historisches Material recherchiert, das sie dann chronologisch als Countdown bis zur Wahl anlegt. Dies ermöglicht ihr spannende Exkursionen. So führen die Vorwürfe des jüdischen Weltkongresses in den 1980er Jahren zu neuen anti-semitischen Ressentiments. Die Diskussionen um Waldheim löste eine Auseinandersetzung um die Rolle Österreichs im Nationalsozialismus aus. Die offizielle Version seit Ende der 1940er Jahre war, dass das Land das erste Opfer Hitlers war und sich deshalb jeglicher Verantwortung entzog. In der Tat waren jedoch viele Österreicher begeisterte NS-Anhänger und machten im System mit. Waldheim wird letztlich gewählt, international jedoch geächtet. Der Erfolg rechtspopulistischer Parteien in verschiedenen Ländern Europas und ihre Regierungsbeteiligung in Wien, machen diesen Essay über Geschichte, Verdrängung und nationalem Stolz ausgesprochen aktuell.
Die Wiener Filmemacherin Ruth Beckermann hat in den vier Jahrzehnten ihres Schaffens für viele Ihrer Filme namhafte Preise erhalten. So wurde zum Beispiel »Jenseits des Krieges« im Jahr 1996 unter anderem beim Pariser Festival Cinéma du réel geehrt. Ihr Experimentalfilm »Die Geträumten« über die Liebesbeziehung von Paul Celan und Ingeborg Bachmann im Wien der Nachkriegszeit gewann im Jahre 2016 unter anderem bei der Grazer Diagonale. Gleichzeitig zur Premiere von »Waldheims Walzer« zeigte das Festial de cinéma in der französischen Stadt Rennes eine Retrospektive mit Werken der Österreicherin.
(Kay Hoffmann/Thomas Schneider)