TV-Tipp 1.3.: Die Adoption – Vielleicht wird er ja einmal Präsident
Der dänische Dokumentarfilm »Die Adoption«, den der SWR in der Nacht zum Freitag zeigt, fordert dem Zuschauer viel, sehr viel ab. Filmemacherin Katrine W. Kjaer hat vier Jahre lang mit unerbittlicher Direktheit aufgezeichnet, wie der Versuch, zwei Kinder aus Äthiopien nach Dänemark zu adoptieren, für alle Beteiligten zu einer Zeit des Leidens wird. Ihr Film ist stark und ergreifend zugleich.
SWR, 0:45 Uhr: Die Adoption
Zwei kleine Kinder aus Äthopien, noch immer eines der ärmsten Länder der Welt, sollen in einer neuen Heimat in Europa eine Chance auf ein Leben in Wohlstand und Sicherheit erhalten. »Vielleicht wird er einmal Präsident«, heißt es an einer Stelle des langen Abschiedsprozesses, den die Kamera von Katrine W. Kjaer eingefangen hat. »Denkt doch an die Kinder!« Das sind Sprüche, die den leiblichen Eltern Mut machen sollen. Denn was die beiden da für die zwei ihrer fünf Kinder entschieden haben, scheint ihnen nun, da die Abreise bevorsteht, keine gute Idee mehr zu sein. Aber da ist ja noch das Paar aus Dänemark, das aus dem fernen Schlaraffenland angereist ist, um die dreijährige Masho und ihren kleinen Bruder Roba in Empfang zu nehmen. Sie wollen den beiden liebende Eltern sein – Tausende Kilometer von ihrer Heimat und von ihren eigentlichen Eltern entfernt.
Vier Jahre lang hat die dänische Filmemacherin Katrine W. Kjaer an ihrem Film »Die Adoption« gearbeitet, der im Original als »Mercy Mercy – Adoptionens pris« (in etwa: der Preis der Adoption) Ende 2012 erschienen ist. Sie hat in dieser Zeit Szenen aufgenommen, die allen Beteiligten schwer zugesetzt haben müssen. Momente starker Emotionen – Freude, Trauer, Wut, Enttäuschung – hat sie eingefangen. Doch in der Montage – oft im Wechsel zwischen Europa und Afrika – erlangt der Film erst seine ganze Wucht. Schon zur Hälfte des 90-Minüters ist es nicht mehr leicht, die sich abspielende Tragödie zu ertragen. Was danach kommt, ist zweifelsohne eine Tortur für alle Beteiligten, den Zuschauer eingeschlossen.
Es mag Hunderte und Tausende Beispiele für geglückte Adoptionen geben, diese hier gehört nicht dazu. Die leiblichen Eltern, die irgendwann nur noch als »die organischen« benannt werden, hoffen auf Nachrichten ihrer verlorenen Kinder. Doch auch die neuen Eltern wirken zunehmend überfordert, kommen immer weniger vor allem mit der Tochter klar. Ein Psychologe wird eingeschaltet, das Drama, das hier ja das reale Leben ist, nimmt seinen Lauf.
Und die beiden Kleinen im Mittelpunkt der Adoption? Der jüngere Bruder scheint mit der Verpflanzung aus Afrika in ein völlig fremdes Land noch ganz gut zurecht zu kommen. Seine Schwester allerdings entwickelt mit aller Kraft, die einer am Ende Achtjährigen zur Verfügung steht, Abwehrmechanismen. Die anstrengendesten Momente kommen kurz vor Schluss. Da sagt die dänische Ersatzmutter, es käme ihr vor, als habe sie »eine Niete gezogen«. Kurz darauf muss sie dem Mädchen sagen, dass es in eine andere Pflegefamilie kommt. Minutenlang sagt das Mädchen nichts, versucht, zu begreifen. Oder will sie nur nichts Falsches sagen, um nicht wieder Ärger auszulösen, dessen Ursache und Wucht sie nicht verstehen kann. Schließlich sagt sie: »Ich habe genug davon, eine neue Mutter zu kriegen.« Die nächste Szene spielt im Heimatdorf, zeigt die Freundinnen des Mädchens, die ihr Bild küssen. So endet das Scheitern, hinterlässt Lücken, Wunden und Sehnsüchte.
Es ist die große Stärke dieses beeindruckenden Dokumentarfilms, dass die Kamera solche Szenen durchhält. Sie zeigt die Konflikte in ihrer ganzen Wucht, nicht nur als kurze Clips. Das ist, wie gesagt, kaum auszuhalten. Und doch ist man jede Sekunden froh darüber, dass dies kein fiktives Drama mit einem Zwang zum Happy End gewesen ist.