Rückblick zur Entwicklung der DDR und des DEFA-Dokfilms
Zum 75. Jubiläum der DEFA präsentiert das 36. DOK.fest München @home eine Retrospektive mit acht Dokumentarfilmen aus fünf Jahrzehnen. Auch das Fernsehen widmet sich ab dem 11. Mai 2021 dem Thema mit vier Dokumentationen im rbb und in der ARD-Mediathek.
Motto: „Sie sehen selbst, Sie hören selbst, urteilen Sie selbst!“
Schon bei dieser kleinen Münchner Auswahl wird deutlich, dass die Filmproduktionen in der DDR auf politische Umbrüche und Vorgaben der SED reagierten. Zu Beginn forderte Kurz Maetzig eine Rückkehr zur unvoreingenommenen, sachlichen und wahrheitsgetreuen Darstellung der gesellschaftlichen Realität im Gegensatz zur NS-Propaganda. Die Wochenschau „Augenzeuge“ hatte bis 1949 das Motto vorangestellt: „Sie sehen selbst, Sie hören selbst, urteilen Sie selbst!“. Denn dann forderte die SED-Führung, nicht unbedingt die Wirklichkeit mit Problemen zu zeigen, sondern eher sozialistische Ideale.
Propaganda pur zu den Weltfestspielen
In der beim DOK.fest München 2021 gezeigten Retrospektive ist ein gutes Beispiel dafür „Freundschaft siegt“ von Joris Ivens über die 3. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Ostberlin, den er sogar in Farbe realisierte. Ivens zeigt nicht nur das Treffen, sondern bettet es mit einem propagandistischen Blick ein in das internationale Geschehen ein und den Kampf um Frieden ein. Der Harmonie und Idylle mit strahlenden Jugendlichen und Kindern wird der Krieg in Korea gegenübergestellt, der vom amerikanischen Klassenfeind angezettelt wurde.
Idealisierte Bilder von Bauern und Arbeitern, die zu schmetternder Musik mit roten Fahnen marschieren. Propaganda pur. Spannend ist, dass die Frauen einen wichtigen Anteil am sozialistischen Aufbau haben und mit einem eigenen „Mädchentag“ gewürdigt werden. Zum Teil gehen der politisch gefärbte Kommentar und die Bilder völlig auseinander, wenn das Publikum beispielsweise von empörten Menschen hört, aber Bilder von begeisterten Massen sieht. 1951 wird Stalin noch euphorisch gefeiert.
Beobachtungen vom Alltag in der Schule
Die ersten drei Folgen von Winfried Junges „Die Kinder von Golzow“ (1961, 1962, 1966) zeigen ein realistischeres Bild. Er beschränkt sich auf eine beobachtende Kamera und den O-Ton, der Kommentar von Karl Gass wird spärlich eingesetzt. Die Filme sind ein guter Beweis, wie nah man der Wirklichkeit in der Schule auch mit einer 35 mm-Kamera kommen konnte.
Die Bildgestaltung war im ersten Teil von Hans Dumke und Walfried Labuzewski übernommen worden, im zweiten und dritten Teil von Hans Eberhard Leupold. In einigen Sequenzen gibt er den Kindern das Mikrofon und sie können ihre Wünsche äußern. Selbst 1966 hängt noch ein Lenin-Porträt im Klassenzimmer. Die enge Verbindung von Schule und der Freien Deutschen Jugend (FDJ) wird deutlich. Auf die Tafel malt eine Schülerin das Motto „Lernen macht Spaß“. Danach sieht es nicht immer aus. Wenn es schlechte Noten gibt, gibt es auch mal Tränen.
Arbeit wird zum Thema im DEFA-Dokfilm
Die 2. Bitterfelder Konferenz 1964 stellte den Kulturschaffenden die Aufgabe, insbesondere die „Bildung des sozialistischen Bewusstseins“ und der „sozialistischen Persönlichkeit“ zu fördern. Auch wenn diese Ideen schnell aufgegeben wurde, beschäftigten sich Filme des DEFA Dokstudio danach verstärkt mit dem Arbeitsalltag in den Fabriken. Die wird in „Sie“ (1970) von Gitta Nickel deutlich, in dem es um die Gleichberechtigung der Arbeiterinnen in einem Textilbetrieb geht. Eine Gynäkologin untersucht, wie der Spagat zwischen Familienplanung und Arbeit optimiert werden kann. Der Parteisekretär präsentiert verschiedene Frauen, die sehr offen über ihre Situation sprechen.
Veteranin an der Arbeitsfront
Eine 68-jährige Bauarbeiterin vom VEB Kombinat Tiefbau porträtiert Jürgen Böttcher in „Martha“ (1978) in Farbe. Neben der Beobachtung ihres Arbeitsalltags zeigt er ihre Abschiedsfeier mit Kaffee und Torte. Danach führt er mit ihr ein intensives Interview über ihre Lebensgeschichte. Martha stellt den bunten Blumenstrauß ihrer Kollegen direkt neben sich. Die schwierige Situation in den Betrieben wird deutlich in „Leben in Wittstock“ (1984) von Volker Koepp. Die ehemals etwas renitenten Textilarbeiterinnen haben sich in den zehn Jahren arrangiert und sind zum Teil aufgestiegen. Dies macht den Reiz von Langzeitbeobachtungen aus, die Entwicklung seiner Protagonistinnen über Jahrzehnte verfolgen zu können.
Stasi-Opfer berichten
Ihr Schicksal als politisch Verfolgte im DDR-System thematisierte Sibylle Schönemann schon 1990 in ihrem packenden Dokumentarfilm „Verriegelte Zeit“. Sie war Mitte der 1980er Jahre von der Stasi verhaftet, inhaftiert und später vom Westen ‚freigekauft‘ worden. Als die Mauer fällt, fährt sie bewusst hin für eine Spurensuche nach ihren eigenen Gefühlen der Entwürdigung, aber vielleicht auch Genugtuung.
DEFA im Fernsehen
Die Münchner Retrospektive liefert also einen spannenden Überblick sowohl über die Entwicklung der DDR als auch des DEFA-Dokumentarfilms in diesen 40 Jahren. Die Filme der Retrospektive sind ab 6 € beim DOK.fest München (noch bis 23. Mai) online verfügbar. Alternativ können sie auch mit integriertem Logo gesichtet werden auf https://progress.film/. Hierfür ist eine Registrierung auf dem Portal erforderlich. Weitere Impulse setzt das Special zu 75 Jahre DEFA im rbb Fernsehen. Lutz Pehnert zeichnet in „Die Fahrradfahrerin von Sanssouci – Jutta Hoffmann“ (11. Mai, 20.15 Uhr) das Porträt von einer der bekanntesten Schauspielerinnen ihrer Generation.
Drei Dokumentationen von Knut Elstermann beschäftigen sich mit Science-Fiction aus der DDR („Utopia in Babelsberg“, Erstausstrahlung: 11. Mai, 21 Uhr), Berliner Filmlocations („Hier dreht die DEFA“, 12. Mai, 22.15 Uhr) und der Filmmusik aus Babelsberg („So klang die DEFA“, 12. Mai, 23.00 Uhr). Alle Dokus sind auch in der ARD Mediathek verfügbar.