36. DOK.fest München: Filmlegenden
Im Programm des DOK.fest München @home sind 2021 in den verschiedenen Sektionen Filme über bekannte Filmschaffende zu sehen. Oft ist es eine Mischung aus historischem Material und Interviews.
Trollers neuer Interviewstil
Georg Stefan Troller gilt als Meister des Interviews. Er wird im Dezember 100 Jahre alt – ein spannender Rückblick auf sein Lebenswerk lohnt. Die Regisseurin Ruth Rieser hat ihn für „Auslegung der Wirklichkeit“ an verschiedenen Orten befragt: zu seinem Leben, seinen Filmen und seiner Strategie, mit der er Menschen aus der Reserve lockt. Denn sein subjektiver Ansatz in den Interviews war in den 1960er Jahren neu und hat Schule gemacht. Es geht ihm darum, Vertrauen aufzubauen und erst mit harmlosen Fragen zu beginnen, bevor er die wichtigen stellte. Und er suchte Gespräche vor allem mit Menschen, die er mochte. Dies hat oft funktioniert.
Bücherschrank seiner Eltern
Im Mittelpunkt des Films stehen die Gespräche mit Troller, der mit Wiener Charme erzählt und immer wieder geschickt Pointen einbaut. Er spricht dabei auch generelle Fragen zum Dokumentarfilm und dem Sinn des Lebens an. Seiner Ansicht nach macht ein ausgearbeitetes Drehbuch jeden Dokumentarfilm kaputt. Unterschnitten sind die Gespräche mit Ausschnitten aus seinen Filmen, an deren Dreharbeiten er sich dann erinnert.
Bedrückend, als er bei der Besichtigung der Wohnung, in der er in den 1930er Jahren mit seinen Eltern wohnte, den Bücherschrank seiner Familie entdeckt, zum Teil noch mit Büchern von ihm. Die jetzige Besitzerin sagt, den Schrank hätten ihre Eltern gekauft. Da fragt er nicht nach, sondern lässt es auf sich bewenden. Man merkt aber, wie ihn dies rührt. Ein filmisches Denkmal für eine Legende des Fernsehjournalismus, die vor einigen Jahren auch beim Branchentreff DOKVILLE vom Haus des Dokumentarfilms zu Gast war und das Publikum in ihren Bann zog.
„The Rossellinis“: Schweres Erbe
Roberto Rossellini gilt als einer der Großmeister des italienischen Kinos. Sein Film „Rom, offene Stadt“ ist ein Meilenstein der Filmgeschichte; damit begann der italienische Neorealismus. In „The Rosselinis“ steht aber eigentlich nicht er im Mittelpunkt, sondern sein Enkel Alessandro Rossellini. Er zeigt, was es bedeutet, einer solch prominenten Familie zu entstammen. Alle sind auf die eine oder andere Weise durch das überlebensgroße Erbe gezeichnet.
Alessandro selbst hatte Probleme damit und so fungiert der Film fast schon als Familientherapie. Seine Tante Isabella, die Tochter von Roberto Rossellini und Ingrid Bergman, und selbst bekanntes Model und Schauspielerin, sagt ihm das sehr direkt auf den Kopf zu. Andere haben mehr Verständnis für ihn und sein Ziel, der Krankheit des „Rossellinitis“ auf die Spur zu kommen. Er söhnt sich mit seiner Mutter aus, die er jahrelang nicht getroffen hatte. Am Ende gibt es zumindest ein Gruppenfoto des weitläufigen Familienclans.
Selfmademan „Forman vs. Forman“
Die Hommage des DOK.fest gilt 2021 der tschechischen Regisseurin Helena Treštíková, die ihre Arbeitsweise einmal als ‚Zeitraffer-Filmemachen“ bezeichnet hat. Zwei von sieben ihrer in München gezeigten Werke behandeln Filmthemen.
In „Forman vs. Forman“ porträtiert sie den international renommierten Regisseur Miloš Forman mit seinen herausragenden Filmen und seinem Leben, dass durch die politischen Rahmenbedingungen geprägt wurde. Seine Eltern starben in Konzentrationslagern. Er wuchs bei Verwandten auf und studierte an der Prager Filmhochschule. Er wurde Teil der Tschechoslowakischen Neuen Welle und machte sich einen Namen mit Produktionen wie „Ein Feuerwehrball“ (1967). Beim sowjetischen Einmarsch 1968 war er zu Dreharbeiten in Paris und emigrierte in die USA. Dies bedeutete eine Trennung von seiner Frau und seinen beiden Söhnen.
Zwei Oscars
In Hollywood war er sehr erfolgreich mit Spielfilmen wie „Hair“ (1979) oder „Ragtime“ (1981). Für „Einer flog über das Kuckucksnest“ (1975) und „Amadeus“ (1984) gewann er jeweils einen Academy Award. In dem für Filmfans spannenden Porträt hat Helena Treštíková seine Geschichte nahezu chronologisch angelegt mit vielen Interviews aus unterschiedlichen Quellen sowie Ausschnitten und Making-of-Material. Er scheint immer ein Getriebener gewesen zu sein. Forman starb 2018, also kurz vor Fertigstellung des Dokumentarfilms.
Lída Baarová: Die Verstoßene
In „Doomed Beauty“ (2016) porträtiert Helena Treštíková einen anderen Star des tschechischen Kinos: Lída Baarová. Sie begann ihre Schauspielkarriere in Prag, ging dann aber nach Berlin zur Ufa, wo sie mit dem Schauspieler Gustav Fröhlich zusammenwohnte. Bei einem Besuch von Propagandaminister Joseph Goebbels verliebte der sich in sie. Ihre Affäre wurde durch ein Machtwort Hitlers beendet. Sie erhielt Spielverbot und ging nach Italien. Kettenrauchend, wehmütig und auch nicht immer ganz nüchtern lässt sie im Gespräch mit Helena Treštíková ihr Leben Revue passieren. Sie erzählt von ihren Rückschlägen, denn sie hatte das „Talent“, immer auf der falschen Seite der Geschichte zu stehen.