»Am Kölnberg«

Respekt ist es nicht gerade, was den Bewohnern der Hochhaussiedlung »Am Kölnberg« in der Regel gezollt wird. Sie erleben eher Ablehnung, Vorurteile und Desinteresse und antworten mit Aggression, Abgestumpftheit, Alkohol. Zwei Studierende der Kunsthochschule für Medien Köln gingen ihre Aufgabe anders an: Zwei Jahre lang warben und gewannen sie das Vertrauen und durften schließlich das Leben von vier Kölnberg-Bewohnern begleiten. Daraus wurde ein spannender und preisgekrönter Dokumentarfilm, den 3sat am Montagabend zeigt.

In fast jeder größeren Stadt gibt es Zonen, die schon beim Namen negative Assoziationen und Abwehrreaktionen wecken. »Problembezirke« oder »soziale Brennpunkte« nennt man sie gerne. Die Hochhaussiedlung »Am Kölnberg« ist eine von ihnen. Nicht nur die Siedlung, auch die Menschen, die dort leben, genießen einen schlechten Ruf. Neben Flüchtlingsfamilien und Einwanderern aus aller Welt, leben hier Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen am äußeren Rand der Gesellschaft gelandet sind. Arbeitslosigkeit, Drogenmissbrauch und Prostitution gehören für viele zum Alltag.

Für eine Reihe von Studierenden der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) – allen voran die beiden als Regisseure agierenden Robin Humboldt und Laurentia Genske – war der Kölnberg für zwei Jahre lang Studienobjekt. Und zum Glück auch mehr als das. Denn einen Dokumentarfilm über eine Problemsiedlung zu drehen ist das eine, das andere aber, daraus ein Langzeitprojekte zu machen. Das verändert die Spielregeln. Die Nähe zwischen Protagonisten und dem Filmteam ermöglicht andere Sichten und gibt die Chance, Abläufe zu dokumentieren. Über allem aber steht ein Paradigma, das Dietrich Leder, seit 1994 wegweisender Dokumentarfilm-Professor an der KHM, so formuliert: »Jeder Dokumentarist (und jeder angehende Dokumentarist an der KHM) muss sich die Frage stellen, ob er wollte, dass man mit ihm so umginge, wie er beispielsweise mit seinen Protagonisten umgeht.«


»Am Kölnberg« (3sat-Mediathek)

(Video laut Sender abrufbar bis 29. April 2018)

Wie also geht man mit den Menschen am Kölnberg um? Der Film dokumentiert über zwei Jahre hinweg das Leben von vier Personen. Eines haben sie alle gemeinsam: Den Traum von einem erfüllten Leben, fernab vom Kölnberg. Doch aus der Trabantenstadt entkommt man nicht so schnell. Und auch das Leben in ihr ist oft kaum zu ertragen. Bei manchen hilft da nur Abschottung. Bei anderen ein Gläschen Sekt. Wer andere Drogen braucht, wird hier auch fündig. Der Film beginnt mit einem Loblied auf die Hochhausstadt, gesprochen von einer Dame, die dort bald hinziehen wird. Sie freut sich auf den weiten Blick und sagt: »Ich werde mich dort wohl fühlen.« In der nächsten Szene schauen wir einer Kölnberg-Bewohnerin über die Schulter wie sie vom Balkon die Nachbarn begrüßt: »Guten Morgen, ihr Wichser.« Die Antwort ist Schweigen.

»Hier ist 24 Stunden lang 12 Uhr mittags«, sagt eine der Protagonistinnen und vergleicht anschließend den Kölnberg mit einem Sonnensystem. Jede Wohnung, meint sie, sei ein Planet für sich. In ihren eignen Orbit schießt sie sich mit Drogen, damit sie die Prositution aushält, mit der sie ihren Planetenalltag gestaltet. Eine andere Bewohnerin steht (zumindest im Film) immer nur am Fenster und fantasiert sich die Welt rosa. Der Blick erinnere sie an Schlesien, in die Wolken der fernen Fabriken interpretiert sie Eisberge. Erstaunlich und wohltuend ist in all diesen Szenen, dass die beiden jungen Filmemacher diese Szenen aushalten ohne zu kommentieren, ohne sich zu belustigen. Respekt zollen kann man eben auch mit der Kamera.

Der Film hatte beim Leipziger Dokumentarfilm-Festival seine Premiere und erhielt im Jahre 2015 bei der Verleihung des Deutschen Dokumentarfilmpreises den Förderpreis des Hauses des Dokumentarfilms. Auch für die Short List des Deutschen Filmpreises 2016 wurde er nominiert. Die TV-Uraufführung war im September 2017 beim SWR.

Am Kölnberg
Dokumentarfilm Deutschland 2014, 85 Minuten
Regie, Buch und Kamera: Laurentia Genske und Robin Humboldt
Produktion: Kunsthochschule für Medien Köln
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Picture of Thomas Schneider
„Ich liebe Print, ich liebe Online, ich liebe es, das Beste zwischen beiden Welten zu vereinen“, sagte Thomas Schneider über seine Arbeit. Ab 2009 war er für das HDF im Bereich Redaktion sowie PR/Marketing tätig. 2019 verstarb Schneider überraschend und viel zu früh.
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