Neu im Kino: Wildes Herz
Auf wie viele Arten kann man eine Geschichte erzählen und welche davon ist die richtige? Das ist eine Frage, die Filmemacher seit jeher umtreibt und die vor allem Dokumentarfilmer (im Idealfall jedes Mal) fordert. Auch Charly Hübner, bisher vor allem bekannt und beliebt als Theater- und Filmschauspieler (u.a. »Bornholmer Straße«, »Polizeiruf 110« und »3 Tage in Quiberon«), hat für seine erste Regiearbeit am dokumentarischen Musik-Band-Künstlerporträt »Wildes Herz« mit dem Thema und der Menge an gesammelten Filmszenen gekämpft. Sein Film, der nach erfolgreicher Festivaltour (u.a. vier Preise bei DOK Leipzig) nun ebenso vielversprechend in den deutschen Kinos angelaufen ist, zeigt Restspuren dieses künstlerischen Gefechtes. Hübners unterhaltsame Einlassungen bei der DOK Premiere auf Einladung des Hauses des Dokumentarfilms wiederum gaben dazu die passenden Hintergrundinfos.
Kinostart: 12. April 2018
Das Schöne am Dokumentarfilm ist: man braucht kein Buch, keine Dialogtexte und keine exakte Vorgabe, was wie wann wer zu wem zu sagen hat und wo dazu die Kamera zu platzieren ist. Das Furchtbare am Dokumentarfilm allerdings ist, dass alles das fehlt. Das macht die Arbeit bekanntlich nicht leichter, wenn man mit hunderten Stunden »Footage« im Schneideraum sitzt und dann daraus einen Film machen will. Nicht, wie man eine Geschichte erzählt, ist da oft die Frage, sondern, welche Geschichte es überhaupt sein wird.
Einen guten halben Meter hält Charly Hübner, in dem Moment ganz der gewitzte Entertainer seines Publikums, seine Hände auseinander, um anzudeuten, wie dick die DVD-Edition von »Wildes Herz« einmal werden könnte. Es könnte da, frei nach Hübner, die Version geben, die sich gut bei Arte um kurz vor Mitternacht versenden würde: sie besteht nur aus »talking heads«, die eine Botschaft nach der anderen abfeuern. Oder auch jene, deren Schnitt streng der Zeitlinie von Jan »Monchi« Gorkows Leben folgt. Er ist der Sänger und das »wilde Herz« einer Band namens »Feine Sahne Fischfilet«. Monchi und seine Kollegen pflegen links-anarchischen Punk, der in Mecklenburg-Vorpommern, wo es mehr als nur ein paar wenige braune Flecken in der herrlichen Landschaft gibt, fast schon »in der Mitte der Gesellschaft« verortet wirkt.
Nun aber haben Hübner und sein Regiekollege (und Cutter) Sebastian Schultz nach vier Jahren Arbeit und acht Monaten davon am Schneideplatz eine 94 Minuten lange Kinoversion abgegeben, die sowohl die mitentscheidenden RedakteurInnen beim NDR wie auch den Verleihpartner Neue Visionen und den Protagonisten Monchi überzeugte. Das Publikum scheint »Wildes Herz« ebenfalls gut aufzunehmen – auch wenn es sich eben nicht um ein übliches Bandporträt mit vielen Musikszenen handelt. Gut 26.000 Zuschauer in der ersten Kinowoche (eingerechnet sind dabei auch die Festival-Screenings im Vorfeld) haben Hübners Regiedebüt in die derzeitige Top 25 bei den Kinoranglisten gehoben.
Die erste Viertelstunde des Filmes wirkt fast wie ein mit ironischem Unterton erzähltes Biopic, das wie einst bei »Dirty Harry« Harald Schmidt zum Bösen hin zugespitzt wird. Der dicke Junge aus MeckPomm: der gescheiterte Werdegang des Jan Gorkow. Und ja, man sieht tatsächlich das Baby-Foto, man hört den Eltern zu, man sieht Jan ein Geburtstagslied singen und man darf sogar die Einschätzung von Lehrerinnen und Lehrern entgegennehmen, was aus dem Kleinen hätte werden sollen. Es ist eine Tour durch eine Biografie, die hart am Fremdschämen entlang scheuert. Und doch ist es zugleich eine sehr intelligente Fahrt hinein in ein Leben, das aus der Spur zu springen drohte. Irgendwann, findet der hyperaktive, dickliche Junge Anerkennung im Stadion von Hansa Rostock; irgendwann ist er einer der harten Fans; irgendwann steht er mit dabei in Stendal, wo Ultras den Bahnhof zerstören. Da wird er dann, nachdem er einen »Bullenwagen« angezündet hat, von einem Gericht bestraft und Jan muss sich fragen, ob es das jetzt schon war.
»Wir lassen die doch nicht verrecken«
– eine einfache, intelligente Wahrheit
War es nicht. Der Film »Wildes Herz« zeigt das auf vielfältige Weise. Zum Beispiel, indem die Kamera nun ganz nah an das Gesicht von »Monchi«, zu dem Jan inzwischen geworden ist, heranrückt. Der Zuschauer kann nun allenfalls noch die Augen schließen, aber er sollte sich nicht die Ohren zuhalten. Hier spricht kein Looser, hier macht einer in seiner einfachen, oft auch vulgären Sprache eine klare Ansage. Zum Flüchtlingsstrom aus Syrien sagt er einfach nur: »Wir lassen die doch nicht verrecken.« So einfach, intelligent und richtig kann die Wahrheit sein.
Als Jan Gorkow mit Bekannten die Band Feine Sahne Fischfilet gründet, nimmt sein Leben eine Wende. Die Gruppe positioniert sich deutlich links und wird damit im Land, wo vielerorts die kleinen Neonazis heranwachsen, zum Objekt der Beobachtung. Es sind nicht nur die Fans, die observieren, sondern auch »die Organe«. Die regionalen Grenzen hat die Band längst gesprengt, spielt bundesweit vor vollen Hallen oder schon auch mal beim »Rock am Ring«. Gut gewählt sind die Konzertmitschnitte, denn sie zeigen auch, dass die Band nicht einfach nur Masse macht. Ein Konzert gibt sie mitten im Herzland des ostdeutschen Neofaschismus. Den Nazis auf die Ohren, statt die Faust in die Fresse. Monchi hat dazu gelernt.
Charly Hübner, der das Publikum bei der DOK Premiere in Ludwigsburg noch eine gute Stunde weiter aufs Angenehmste unterhält, reiht eine Anekdote an die andere. Und langsam vermischt sich die eigene Biografie des im Osten aufgewachsenen Künstlers mit dem, was man aus dem Film und der Bandgeschichte mitnehmen kann: es gibt im Leben nicht eine Spur, der man folgen soll, sondern Wegmarken, an denen man sich entscheiden muss.
Wenn man nun rein hypothetisch annimmt, dass die ersten 26.000 Zuschauer bisher vor allem wegen der Musik von Feine Sahne Fischfilet gekommen sind, mögen sich alle weiteren Zuschauer, die der Film nun noch finden wird, auf ein vielschichtiges Porträt einstellen. Eines, gibt Hübner bei der DOK Premiere zu, das nicht nur mit den politischen Hintergründen seiner Entstehung in einer Phase des deutlichen Rechtsrucks gekämpft hat; auch die zentrale Figur des Filmes, eben jener Jan »Monchi« Gorkow, ist eine umstrittene, wenn auch sympathische Figur, die man, wenn man es einfach und schwarzweiß zeichnen wöllte, auch einfach nur als (ehemaligen) verurteilten Hooligan bezeichnen könnte. Doch genau dieser Chaot ist auch eine Person der Hoffnung, dass es nicht nur die Mitläufer sind, die bald den Ton angeben.
Und natürlich ist der Erfolg der Band, der im Film eher am Rande thematisiert wird, und der sich nur in einigen wenigen Auftritten widerspiegelt, so einfach auch nicht zu erklären. Keine Casting-Show, schon gleich keine eingängigen Songs und kein ausgeklügeltes Management, auch nicht allein die politische Positionierung gegen Rechts, allenfalls wohl die zeitweise Überwachung durch den Verfassungsschutz, haben der Band geholfen – und so ist es letztlich auch nach 94 Film-Minuten eine weitere wundersame Rock-Geschichte. Aber eine, die Mut macht, weil sie davon handelt, dass es in dieser Generation U30 noch Hirn und Herz gibt. Wilde Herzen, immerhin.
Monchi würde es so sagen: Noch nicht komplett im Arsch!