Die Komplexität der Transformation spürbar machen

Der Dokumentarfilm „Trans – I got Life“ hatte vergangenen Freitag seine gefeierte Weltpremiere beim Münchener Filmfest. Die beiden Regisseurinnen Imogen Kimmel und Doris Metz sprachen im Interview mit Kay Hoffmann über ihren Film.

Das Thema Transgender hat in letzter Zeit an Aktualität gewonnen. Allerdings begannen die beiden engagierten Filmemacherinnen ihren Film bereits vor fünf Jahren. Damals interessierte sich noch kaum jemand dafür und es wurde nur wenig darüber gesprochen, was sich mittlerweile stark geändert hat. Im Gegensatz zu anderen Dokumentarfilmen, bei denen es sehr häufig um extrovertierte Protagonist:innen geht, konzentrieren sie sich auf den Alltag ihrer Hauptpersonen und deren Motivation für einen solch schwerwiegenden Eingriff. Sie wollen endlich der Mensch sein, den sie in sich spüren.

Wer bin ich wirklich?

Angesprochen wird auch das Umfeld sowie deren Reaktionen. Einige Familienmitglieder brechen den Kontakt ab, andere akzeptieren die Entscheidung. Es ist ein sehr dichter Film geworden, der von seiner inneren Spannung lebt. Eine wichtige Rolle hat der Chirurg Dr. Schaff, der die beiden Filmemacherinnen auf das Thema aufmerksam gemacht hat und den sie sogar für Operationen nach Moskau begleiten.

„Trans“ ist ein starkes Plädoyer dafür, dass wir Menschen uns nicht mehr länger durch die 0,3 Prozent der DNA definieren, die uns unterscheiden, sondern durch die 99,7 Prozent, die uns verbinden. Der beeindruckende Dokumentarfilm wird seinen Kinostart am 23. September haben. Kay Hoffmann sprach mit den beiden Regisseurinnen Imogen Kimmel und Doris Metz.

Kay Hoffmann: Ihr seid eher per Zufall auf das Thema gekommen, als Ihr Dr. Schaff im Flugzeug getroffen habt. Was hat Euch am Thema Transgender dann so interessiert, daraus einen Kinofilm zu machen?

Imogen Kimmel: Bei unserer ersten Begegnung sagte Dr. Schaff, als wir nach seinem Beruf fragten: „Ich mache Männer zu Frauen und Frauen zu Männern“. Wir haben diesen kleinen Satz als Grunderschütterung wahrgenommen. Geht das überhaupt? Wird hier nicht die erste feste Zuschreibung, Mädchen oder Junge, die ein Teil unserer Identität ist, in Frage gestellt? Während der Arbeit am Projekt wurde uns klar, das können wir Menschen verändern, es gibt nicht nur Mann oder Frau, schwarz oder weiß, sondern ganz viele Zwischentöne.

Doris Metz: Es geht um die Machbarkeit der Operationen und dass die Geschlechtsidentität nicht so fest zementiert ist, wie viele annehmen. Man denkt selten darüber nach, außer im Karneval, wo gesellschaftlich akzeptiert ist, dass man seine Geschlechterrolle wechselt. Imo und mir ging es nicht darum, eine weitere Betroffenengeschichte zu erzählen, sondern wir wollten auf einer anderen Ebene etwas erkunden und ausloten. Welche Rolle spielt Geschlechtsidentität? In den Recherchen haben wir erfahren, wie stark Hormone einen Teil von uns ausmachen. Ein langer Vorlauf und viele Gespräche waren nötig, bevor wir sicher waren, darüber einen langen Dokumentarfilm fürs Kino machen zu können.

Ihr habt sieben Hauptpersonen. Ist das nicht zu viel für einen Dokumentarfilm?

Doris Metz: Wir haben uns für sieben Transgender Personen entschieden, um klar zu machen, wie vielfältig das Thema ist, z.B. Alter oder gesellschaftliche Schicht. Wir wollten ein Kondensat kreieren, das ein Gefühl der Transition filmisch übersetzt und die Komplexität spürbar macht. Hier hat unser Editor Frank Müller eine hervorragende Arbeit geleistet, diese persönlichen Geschichten zu verdichten, zusammenzubringen und jeder und jedem seinen Platz zu geben.

Imogen Kimmel: Wir haben uns dem Thema so gut wie möglich genähert, denn es war uns schnell klar, wir können es nie ganz erfassen. Wir brauchten die vielen Protagonisten, um der Komplexität von trans von allen Seiten nahe zu kommen und den Zuschauer:innen eine Annäherung zu ermöglichen. Trans ist nämlich nicht gleich trans, auch dort gibt es ganz viele Variationen und Spielarten. Und nicht jeder braucht die komplette operative Angleichung, um das Wunschgeschlecht leben zu können.

Filmstill aus "Trans - I got Life" © Antje Kröger
Eishockey-Trainer Mik Panci © Antje Kröger
Filmstill aus "Trans - I got Life" © Marcus Gruber
Verena beim Shoppen © Marcus Gruber
Wieviel Freiheit konntet ihr der Kamerafrau Sophie Maintigneux bei der Bildgestaltung lassen? Wieviel war genau abgesprochen?

Imogen Kimmel: Sophie war da sicher ein Glücksfall, weil sie sich für solche Themen wahnsinnig interessiert, weil sie eine sehr feministische und engagierte Frau und Kamerafrau ist. Wir beide kannten die Protagonist:innen schon, aber als wir dann mit Sophie zum Dreh kamen, konnte man förmlich sehen, wie sie sie ansieht und begrüßt, dass sie sich aufgehoben fühlten und Vertrauen hatten. Von dieser Frau und deren großem Kameraauge, lassen sie sich sogar gerne noch einmal anschauen.

Dr. Schaff spielt im Film eine tragende Rolle und fungiert als roter Faden. Wie eng war die Zusammenarbeit mit ihm?

Imogen Kimmel: Sie war eng, und er war unser Guide in diese Welt. Das Interessante an ihm ist, dass er das Thema nicht nur aus chirurgischer Sicht sieht, sondern in einem größeren philosophischen Zusammenhang. Er hat z.B. gesagt, ich unterstütze den Film nur, wenn der Gedanke des Anthropozän mit reinkommt. Das hat uns natürlich interessiert, und wir haben das weiterverfolgt. Insgesamt haben wir mit rund hundert Transgender Personen Gespräche geführt und sind so u.a. mit dem Verein „Transmann e.V.“ zusammengekommen, der „seelsorgerisch“ unterwegs ist. Die haben uns auch unterstützt und oft beraten, z.B. um zu verstehen, dass Transmenschen in sehr kurzer Zeit für sich die Urfrage ‚Wer bin ich wirklich und warum?‘ beantworten müssen, wofür wir meist ein ganzes Leben brauchen.

Doris Metz: Es geht bei den Gesprächen mit den Protagonist:innen darum, Vertrauen zu gewinnen. Am Anfang waren wir unsicher, alles war Neuland. Inzwischen nehmen wir sie einfach nur noch als starke, mutige und liebenswerte Menschen wahr. Die Hauptbotschaft des Films ist: ‚I am human after all‘ wie in dem Song von Rag’n’Bone Man. Das ist der innere Kern für uns. Niemand weiß, dass München das Mekka der Transgender-Chirurgie ist.

Zum Teil zeigt ihr sehr explizit Aufnahmen von Operationen. Welche Funktion haben Sie für euch als Filmemacherinnen?

Imogen Kimmel: Wir haben lange darüber nachgedacht. Mit den Bildern der Operationen wollten wir zeigen, mit welcher Radikalität diese Menschen ihr Leben verändern. Daran sehe ich, was für eine Not dahintersteckt. Das war uns wirklich wichtig, damit man Verständnis für Transgender Leute hat. Die bekommen dies irgendwie in die Wiege gelegt. Niemand weiß, woher trans kommt und sie müssen damit umgehen. Sie gehen dann diesen schmerzhaften und mühsamen Weg. Die Bilder der Operationen waren eine Möglichkeit, dies ‚sinnlich‘ erfahrbar zu machen.

Doris Metz: Es ist ein Film über Transformation. OP’s sind ein wichtiger Teil des Themas und des Trans-Weges. Die Dimension der Eingriffe und Narben ahnt kein Mensch. Sie gehen einen radikalen Weg. Filmisch müssen wir eine Antwort darauf haben. Wir wollten uns nicht wegducken vor Bildern, die auch ein bisschen weh tun. Natürlich überlegt man genau, wieviel da zumutbar ist.

Filmstill aus "Trans - I got Life" © Andreas Steffan
Dr. Schaff bei einer Operation © Andreas Steffan
Die Musik bezieht sich oft direkt auf die Veränderung. Wie wichtig war sie für Euch bei der Gestaltung des Films?

Doris Metz: Die Musik war uns extrem wichtig. Wir haben lange nach dem Sound von Trans gesucht und viele Reisen gemacht. Schließlich landeten wir in Köln im Studio von Gregor Schwellenbach. Mit ihm entstanden all diese Ideen und es war von Anfang an klar, dass er der Richtige dafür ist. Er spürt es und versteht unsere Suche.

Es ist ein schöner Filmanfang, diese Kamerafahrten über Körper und Narben als Landschaft und Bildern von Wasser mit dem Transform-Song dazu.

Imogen Kimmel: Narben leben, und ein Leben lang lebt man mit dieser ‘Markierung’. Und Narben tun weh, sind hässlich. Diese Ärzte nun fügen unglaubliche Narben zu, gerade bei der Umwandlung von Frau zu Mann. Was bedeutet das an Selbstverletzung? Davon erzählen diese Narbenlandschaften, wie alle Landschaften immer etwas erzählen. Alles, was Du im Film siehst, ist entstanden aus Anregungen der Protagonisten:innen. Sogar der Tanz am Ende war nicht unsere Idee. Wir waren in einer Selbsthilfegruppe in Berlin und diese Transfrauen gingen manchmal miteinander tanzen. Für den Film wünschten sie sich in Clärchens Ballhaus zu tanzen. Das haben wir organisiert.

Das ist die Schlussszene, bei der sich alle Protagonist:innen noch einmal treffen und zusammen tanzen. Ist dies symbolisch zu verstehen?

Imogen Kimmel: Das entspricht dem Titel des Films „Trans – I got Life“. Transpersonen leben sonst oft versteckt. Sie haben Angst. Es sind Menschen, die nicht gesehen werden. Uns war wichtig, ihnen einen Raum zu schaffen, in dem sie gesehen werden und miteinander das Leben feiern können.

Doris Metz: Es ging uns nicht um eine inszenierte Szene. Wir wollten unsere Protagonisten:innen schützen, um mit dem Film nicht noch mehr Zerstörungen anzurichten. Deshalb suchten wir eine solche symbolische Überhöhung, die aber aus deren Leben entstehen sollte und nicht als Regie-Entscheidung. Es ging uns – das ist unsere dokumentarische Haltung – um Teilhabe und um Augenhöhe. Wir wollten keinen Film über sie machen, sondern es schaffen, den Weg gemeinsam mit ihnen zu gehen. Das ist eine riesige Herausforderung. Aber so kann man es schaffen, dass am Ende alle gemeinsam hinter dem Film stehen. Das ist wichtig, denn wir wissen nicht, was für Angriffe kommen werden, wenn der Film öffentlich gezeigt wird.

Vielen Dank für unser aufschlussreiches Gespräch.

Trailer zu „Trans – I got Life“

https://www.youtube.com/watch?v=gHikI7pM_ik