DOKVILLE 2021 online stieß auf reges Interesse. Schwerpunkte waren dokumentarische Serien und der Versuch, jüngere Zielgruppen zu erreichen. Außerdem gab es Case Studies zu aktuellen Produktionen sowie eine Studie zu den Arbeitsbedingungen im Dokbereich für Editor:innen.
Alternativen zum linearen TV
Die Medienlandschaft verändert sich. Mit den Streamingdiensten und Angeboten im Netz gibt es neue Player, die sehr erfolgreich gerade bei der jüngeren Generation sind. Das lineare Fernsehen erreicht schon länger vornehmlich eher ältere Zuschauer:innen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen versucht deshalb, sich unter anderem mit seinen Mediatheken und Angeboten auf Social-Media-Plattformen von der Linearität zu verabschieden und ist dabei durchaus erfolgreich.
„Ich bin Sophie Scholl“: Geschichte im Drei-Minuten-Takt
Ein spannendes Beispiel ist die SWR-Instagram-Serie „Ich bin Sophie Scholl“, die seit 4. Mai 2021 regelmäßig Neuigkeiten liefert zu dieser jungen Frau, die zu einem Symbol des NS-Widerstands wurde. In kurzen Stories und Beiträgen kann ihr gefolgt werden – bis zu ihrer Verhaftung im Februar 1943. Die Grundidee ist: Was hätte Sophie Scholl damals geschrieben und gepostet, wenn es das neue Medium schon gegeben hätte?
„Gerade dieses Projekt ist mit unglaublich viel Herzblut entstanden. Der Dreh war historisch sehr aufwändig, angefangen von den Vorrecherchen bis hin zur Gestaltung von Set und Kostüm, um danach wieder in kleinen Teilen für Instagram aufbereitet zu werden“, schildert Koproduzentin Katja Siegel von Vice Media die Konzeption. Die Zitate sind alle historisch belegt und stammen aus Briefen und Tagebüchern. Präzise wurde bereits durchgeplant, welche Informationen an welchem Tag online gehen sollen. Den Kanal @ichbinsophiescholl haben inzwischen rund eine Million Menschen abonniert.
Sich zeitgemäß in die Geschichte hineinversetzen
Für die Schauspielerin Luna Wedler war es eine riesige Herausforderung, sowohl die Rolle zu spielen, als auch die subjektive Kamera im Hochformat zu führen, denn es wird – wie bei Instagram üblich – nicht geschnitten. Sowohl ein hochkarätig besetztes Panel bei DOKVILLE als auch ein Interview mit dem Erfolgsproduzenten Jochen Laube von der Sommerhaus Produktion erläuterten die Hintergründe des innovativen Projekts. Laube produziert sowohl für die ARD und das ZDF als auch fürs Kino und Netflix. In der heutigen Zeit sei vor allem ein spannender Anfang wichtig, fasst er seine Erfahrungen zusammen, denn „die Zuschauer:innen entscheiden innerhalb weniger Minuten, ob sie weitersehen wollen oder nicht.“
Ausführlicher Artikel zum Panel „Ich bin Sophie Scholl“ bei dokville.de
Rohwedder und die dunkle Seite der Wiedervereinigung
„Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“ ist die erste deutsche Doku-Serie für Netflix und war international äußerst erfolgreich. Für Christian Beetz und Georg Tschurtschenthaler von der gebrueder beetz filmproduktion war die entscheidende Idee, nicht nur das tödliche Attentat auf den Chef der Treuhand als True-Crime-Geschichte zu erzählen, sondern ebenfalls die dunklen Seiten der Wiedervereinigung, wie sie auf dem von DOKVILLE Kuratorin Astrid Beyer geleiteten Panel erzählten.
In den sozialen Medien war dies der Hauptaspekt der Diskussionen und Kommentare, denn dem jungen Publikum waren die negativen Aspekte der Abwicklung der DDR überhaupt nicht bewusst. „Kinder haben ihren Eltern gesagt: ,Diese Serie müsst ihr sehen!‘“, stellte Christian Beetz überrascht fest.
Ausführlicher Artikel zum Panel „Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“ bei dokville.de
History-Doku-Serie „Die Spaltung der Welt“
Geschichte in postmodernen Zeiten persönlicher und aus verschiedenen Perspektiven zu erzählen, war der Ansatz von LOOKsfilm für ihre großen Mehrteiler zum Ersten Weltkrieg und der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. In dem aktuellen Mehrteiler, der im Moment noch in der Entwicklung ist, geht es um den Zweiten Weltkrieg und den Kalten Krieg in den 1950er Jahren. Auch dort sind die Dialoge durch historische Quellen belegt.
Die Geschichte wird am Beispiel von sechs ziemlich prominenten Personen erzählt, deren persönliche Geschichten sehr verdichtet werden. Produzent Gunnar Dedio brachte den Ansatz bei DOKVILLE auf den Punkt: „Geschichte ist ein Narrativ und man geht von einem nationalen Narrativ aus. Aber es gibt nicht eine einzige Wahrheit, sondern verschiedene Perspektiven auf Realität“.
Ausführlicher Artikel zum Panel „Die Spaltung der Welt“ bei dokville.de
Remake von „Tunnel der Freiheit“
„Schockwellen“: Chronologie der Pandemie
Um dieses Material kohärent verbinden zu können, spielt Musik eine wichtige Rolle. Es gibt sehr dramatische Situationen auf den überbelegten Intensivstationen, wo sich Familien nicht mehr von ihren Angehörigen verabschieden können. Auf der anderen Seite werden Leugner gezeigt, die von so etwas wie einer „Grippe“ sprechen und den Ausnahmezustand des Landes überhaupt nicht nachvollziehen können. Volker Heise konnte bei der Produktion auf seine Erfahrungen aus „Berlin 1945“ zurückgreifen. Um das Material zu ordnen, griff er zum klassischen Mittel von Karteikarten und Zettelkasten. „Der wichtigste Protagonist ist das Virus, dass unsichtbar ist, sich aber doch überall verbreitet“, stellt Heise dabei fest.
Ausführlicher Artikel zu „Schockwellen“ bei dokville.de
„Kinder der Krise“: Die gefühlt „verlorene“ Generation
Welche Auswirkung die Pandemie für Jugendliche hat, ist das Thema in „Kinder der Krise“ von Nicola Graef, die dafür acht 15- bis 25-Jährige aus ganz Deutschland interviewte. Der Film ist im Moment für den NDR im Entstehen und wird von nordmedia gefördert.
Zu Themen wie Klimawandel, Rassismus und Genderfragen kam die Pandemie, die plötzlich viele Aussichten und Lebensplanungen veränderte. Graef hatte bei der Recherche für den Film eine große Neugier auf die Jugendlichen und ihren Alltag. Dabei war sie sich die ganze Zeit bewusst: „Wir arbeiten in einem TV-System, dass die jungen Leute überhaupt nicht mehr kennen“. Der Film sei der Versuch, ihnen trotzdem eine Stimme zu geben.
Ausführlicher Artikel zum Werkstattgespräch „Kinder der Krise“ bei dokville.de