„Roamers“: Blick in digitalen Lebensalltag

Eine große Premiere organisierte der Camino-Verleih für „Roamers. Follow Your Likes“, den neuen Dokumentarfilm von Lena Leonhardt. Nach der Vorstellung im Stuttgarter Arthauskino Delphi stand das Filmteam noch Rede und Antwort. Bundesweiter Kinostart war der 22. Juli 2021.

Der Film „Roamers. Follow Your Likes“ taucht ein in die Welt der Digitalnomaden, die die neuen Freiheiten nutzen, um sich aus dem Hamsterrad des „Nine-to-five“-Jobs zu befreien, der oft noch zusätzliche Überstunden verlangt.

Selbstverwirklichung im Blick

Managerin Jonna in Doku ROAMERS

Sie haben keine Lust mehr auf hochbezahlte Jobs, die wenig Platz zur Selbstverwirklichung lassen und den ganzen Tag beanspruchen. Kein nerviger Arbeitsplatz, keine Staus und kein schlechtes Wetter, bis dann das Wochenende zur vielleicht letzten Oase des eigentlichen Lebens wird. Einige der gezeigten Personen nutzen die neuen Möglichkeiten zum „Ausstieg deluxe“ und fühlen sich als Weltbürger, die überall zu Hause sind. Die Pandemie hat vielen zudem gezeigt, was heute im Homeoffice möglich ist – da ist der Schritt nicht mehr so weit, den Arbeitsplatz ortsunabhängig zu nutzen.

Hinter die Kulissen der Selbstinszenierung blicken

Influencer in Doku ROAMERS Handy mit SonnenuntergangLena Leonhardt und ihr Team haben sieben international bekannte Influencer ausgewählt, denen sie um die Welt folgt. Man spürt den Aufwand, mit dem der Dokumentarfilm produziert wurde, in den starken Bildern von Josua Stäbler und Sebastian Bäumler.

Leonhardt gelingt ein guter Rhythmus. Sie schafft es, die sieben Schicksale geschickt zu verknüpfen und mit „Roamers“ einen Sog zu erzeugen, der dabei hilft, in dieser für viele fremden Welt zu navigieren. Sie verzichtet dabei bewusst auf gängige Themen wie Mode, Beauty, Ernährung oder Gesundheitstipps, die bei und von Influencern stark vertreten sind, sondern hat sich für andere Bereiche entschieden. „Ich wollte wissen, wie das wahre Leben der Menschen hinter all den eindrucksvollen Foto- und Videokulissen rund um den Globus aussieht“, so die Regisseurin.

Um die Welt hetzen

Der Palästinenser Nas hat seinen lukrativen Job bei PayPal gekündigt, um die ultimative Freiheit zu genießen. Sein Ziel war es, um die Welt zu reisen und jeden Tag ein Video von einer Minute Länge zu drehen. Inzwischen hat der Reiseblogger 17 Millionen Follower und kann gut davon leben. Auf seinen Reisen hat er Alyne kennengelernt, die einen eigenen Blog hat. Die beiden sind ruhelos und jede Kaffeepause empfinden sie als pure Zeitverschwendung. So hetzen sie um die Welt und machen sich völlig abhängig von den Klicks, die über ihren Erfolg entscheiden. Nach Hochphasen kommen immer wieder die Tiefs, die sie verzweifeln lassen. Sie fragen sich, was man den Follower noch bieten könnte.

Pornos on demand

Influencer in ROAMERS Doku Kim und Paolo Produzieren als Paar

Die Argentinier Kim und Paola arbeiten ebenfalls eng zusammen. Sie haben sich auf Pornos spezialisiert, die direkt auf die Wünsche der Zuschauer:innen eingehen. Während des Aktes kommunizieren sie mit ihren Followern, was unfreiwillig komisch wirkt. Doch sie genießen ihren Ruhm und immer wieder erkannt zu werden. Doch ein Leben ohne Freunde und Familie kann auch einsam sein.

Immobilien und Erste Hilfe online

Nach der plötzlichen Kündigung bei einer NGO hat sich Matt entschlossen auszusteigen und Online-Immobilienhändler zu werden. Luxushäuser lassen sich durch das Netz von überall aus verkaufen. Er ist stolz darauf, dass sein Besitz in ein Handgepäck passt und er dadurch seine Mobilität behält. Seine langjährige Bekannte ist die Kenianerin Agnes, die ihr Geld damit verdient, medizinische Fachkräfte per Videokonferenz in Erster Hilfe zu prüfen. Zu einer engen Beziehung scheinen sie nicht fähig – sie leben nebeneinander her

Segler-Träume

Am sympathischsten wirkt Jonna, die aussteigt, um sich den Traum vom Segeln über den Atlantik zu erfüllen. Sie war auch zur Premiere nach Stuttgart gekommen. Eigentlich hatte sie diese Reise mit ihrem Mann geplant, aber der hat sich dann doch verweigert. So lässt sie buchstäblich alles hinter sich. Sie spricht offen über ihre Probleme mit dem Boot und der Einsamkeit. Sie hat einen Blog, ist aber am wenigsten von den Protagonisten an Klicks interessiert. Durch das Abenteuer scheint sie sich selbst gefunden zu haben.
Matt Bowles als Immobilienmakler in Social Media Doku ROAMERS
Seglerin Jonna Allein im Atlantik in Doku ROAMERS

Über Influencer und Digitalnomaden

Insgesamt ist „Roamers“ ein ganz starker Film über die eigene Welt der Influencer. Lena Leonhardt bleibt immer eine distanzierte Beobachterin und dies ermöglicht den Zuschauer:innen, sich selbst ein Urteil über die neuen Freiheiten zu machen. Den verhassten Job haben sie eingetauscht gegen andere Abhängigkeiten der digitalen Welt im 24/7-Takt und eine gewisse Gehetztheit. Es ist ihr Druck zu spüren, ständig etwas Sensationelles liefern zu müssen.