„Teachers for Life“: Interview mit Regisseur Julian Wildgruber
Im Klassenzimmer meditieren oder am Mont Blanc Gletscher untersuchen: Die Doku „Teachers for Life“ zeigt eindrücklich, wie Bildung jenseits bloßer Wissensvermittlung aussehen kann. Stefanie Roloff vom HDF hat mit Regisseur Julian Wildgruber über den Film gesprochen.
„Teachers for Life“ startet mit nichts als einem schwarzen Bildschirm, nur für die Ohren, die der schwebenden Musik, dem Vogelgezwitscher und den Kindergeräuschen lauschen. So achtsam im Moment geht für die Zuschauenden der Vorhang auf für mehrere Praxisbeispiele aus dem Unterricht, die zeigen, wie Schule funktionieren kann, wenn sie etwas mehr Welt hineinlässt und es außerdem wagt, in diese hinauszugehen.
Junge Menschen beim Start ins Leben begleiten
Porträtiert werden besonders engagierte Lehrkräfte aus England, Frankreich, Dänemark und Deutschland, wie Lisa Viehoff von der Evangelischen Schule Berlin Zentrum, die mit ihren Schüler:innen meditiert oder der englische Lehrer Richard Dunne, für den das Mont-Blanc-Massiv das beeindruckendste Klassenzimmer der Welt ist. Darüber hinaus kommt im Film immer wieder die dänische Psychologin und Familientherapeutin Helle Jensen zu Wort mit ihrer Einschätzung, wie Bildung funktionieren könnte, wenn sie den einzelnen Menschen mehr in den Blick nähme.
Parallelen zu „Herr Bachmann und seine Klasse“
Vom Tenor und der Wirkung erinnert der Dokumentarfilm ein wenig an „Herr Bachmann und seine Klasse“, der in den Wettbewerb der 71. Berlinale eingeladen wurde, wo die Produktion mit dem Preis der Jury ausgezeichnet wurde. Beim Berlinale Summer Special im Juni gewann der Film von Maria Speth, der auch im Rennen um den diesjährigen Deutschen Filmpreis ist, zudem den einmalig vergebenen Berlinale Publikums-Preis für den besten Wettbewerbsfilm. Er schildert mit großer Ruhe über 217 Minuten lang, wie die Arbeit des Lehrers mit seiner multikulturellen sechsten Klasse aussieht. Herr Bachmann vermittelt den Schüler:innen, dass jedes Kind wertvoll ist – egal welchen Hintergrund er oder sie mitbringt.
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Dieser Ansatz des Sich-Zeit-Nehmens und die empathische Herangehensweise schlagen sich deutlich auf die Machart beider Filme nieder, die die Entwicklung und Beweggründe der Protagonist:innen in ruhigen, authentischen Bildern nachzeichnen.
Interview mit Regisseur Julian Wildgruber
Die Filmschaffenden Julian Wildgruber und Kathrin Höckel verbindet die Suche nach neuen, nachhaltigen Wegen für Wirtschaft und Gesellschaft. Bereits 2015 feierte Wildgrubers Dokumentarfilm „From Business to Being“ auf dem DOK.fest München Premiere, in dem er sich mit der Frage beschäftigt, wie Unternehmen im 21. Jahrhundert neu gedacht werden müssen. Im Interview mit Stefanie Roloff vom Haus des Dokumentarfilms spricht der Regisseur über die Entstehungsgeschichte von „Teachers for Life“ und was für ihn Bildung bedeutet.
Haus des Dokumentarfilms: Wie kam es zur Idee für „Teachers for Life“?
Julian Wildgruber: Da gab es mehrere Stränge. Zum einen eine konkrete Anfrage von Seiten des Instituts für Achtsamkeit, Verbundenheit und Engagement, und zum anderen die gemeinsame Arbeit mit Kathrin Höckel. Wir haben uns viele Jahre sehr intensiv mit Persönlichkeitsentwicklung beschäftigt. Aus dieser Arbeit heraus haben wir uns die Frage gestellt: Welche Fähigkeiten müssen Lehrer in Zukunft entwickeln, um junge Menschen auf ein gutes und gesundes Leben vorzubereiten, das freiheits- und sinnorientiert ist? Dann haben wir begonnen zu recherchieren und mit vielen Menschen zu sprechen, und sind so nach und nach zu den Protagonisten, deren Geschichten und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten für eine filmische Erzählung gekommen.
An wen richtet sich der Film?
Allgemein an Pädagogen und Bildungsinteressierte. Die Idee dahinter ist, sich mit den Beispielen und Fragen im Film zu beschäftigen und bei sich selbst zu schauen, wie das bei uns im Unterricht, an der Schule oder im Studium ist. Der Film soll dazu anregen, sich mit Persönlichkeitsentwicklung und Potentialentfaltung konkret und im eigenen Umfeld auseinander zu setzen, um Veränderungen in Gang zu bringen. Denn sinnvolle Veränderung beginnt aus meiner Sicht immer mit Bewusstwerdung.
Welche Rolle spielt für Sie Bildung?
Lernen ist für mich persönlich das Coolste auf der Welt. Das Ergreifen des eigenen Lebens und die bewusste Gestaltung der eigenen Biografie verwandeln das Leben, das einem manchmal wie eine Zwangsjacke vorkommt, in ein großes Abenteuer.
Und was sollte Bildung im 21. Jahrhundert leisten?
Bildung im 21. Jahrhundert sollte so ausgerichtet sein, dass sie öffnet, flexibel wird und sich an den Bedürfnissen der Kinder und deren ganzheitlicher Entwicklung ausrichtet. Darüber hinaus muss das Ziel sein, eine lebenswerte Gesellschaft und Wirtschaft zu gestalten, umgeben von funktionierenden und intakten Ökosystemen. Das Feld der Persönlichkeitsentwicklung ist aus meiner Sicht der Schlüssel zum Potential einer modernen sozialen und ökologisch sinnvoll ausgerichteten Gesellschaft. Es ist deshalb wichtig, dass wir Menschen so ausbilden, dass sie mentale, seelische und körperliche Resilienzen bilden und lernen, die eigene Entwicklung, selbstorganisiert und freiheitlich in die eigene Hand zu nehmen. Dass wir Menschen erleben, die einen Sinn im Leben haben und lernen wollen – und nicht beschult werden müssen.
Welche Änderungen in der Bildungspolitik würden Sie sich wünschen?
Ich bin überzeugt, dass die Weiterentwicklung der Bildung aus der Zivilgesellschaft kommen wird. Sie wird immer stärker gefordert werden. Nicht zuletzt, weil es in den ganzen Bereichen der Persönlichkeitsentwicklung immer mehr Wissen und Know-how gibt. Das bedeutet, Lehrer müssen praxisorientierter ausgebildet werden, das Selbstverständnis des Lehrers muss sich ändern und auch die Wertschätzung für die Lehrer. Wir vertrauen diesen Menschen schließlich unsere Kinder an.
Ich fordere und wünsche mir, dass das Wissen, die Forschung und das genannte Praxis-Know-how professionell auch in der Bildung zum Einsatz kommen und nicht nur in Leadership Programmen in der Wirtschaft. Die Lösungen, Ansätze und das Wissen sind da, es hapert an der Umsetzung und dem Mut zur Transformation. Aber, wenn man auf Länder wie Finnland oder Neuseeland schaut, dann sieht man, dass Sprünge auch in der Kultur bzw. der Bildungslandschaft möglich sind, wenn die Zeit gekommen ist. Eine Lehrerin aus Leipzig hat in einem Filmgespräch gesagt: „Die Bildung fühlt sich für mich im Moment so an wie kurz vor der Wende. Niemand konnte sich das vorstellen, doch dann ging alles plötzlich ganz schnell“.
„Teachers for Life“ im Stream und als Education Edition
Die Weltpremiere des Films fand 2021 auf dem DOK.fest München statt. Ab 3. September zeigt der Kölner Filmverleih mindjazz pictures „Teachers for Life“ auf verschiedenen Streaming-Plattformen. In Kooperation mit dem Institut für Achtsamkeit, Verbundenheit und Engagement (AVE Institut) erscheint im Herbst 2021 eine Education Edition zum Einsatz im schulischen Kontext mit pädagogischem Begleitmaterial.
„Teachers for Life – Lernen aus Verbundenheit“. Ein Film von Julian Wildgruber und Kathrin Höckel, Deutschland 2021, 85 Min., OmdtU