So war die DOK Premiere von „Narren“ zum Fasnet-Auftakt
Drei Jahre gedreht, ein Jahr geschnitten, ein Jahr verschoben – jetzt im Kino! Am 10. und 11.11.2021 feierte „Narren“ DOK Premiere in Ludwigsburg und Stuttgart. Der Film von Sigrun Köhler und Wiltrud Baier führt unterhaltsam durch die Rottweiler Fasnet.
Der Kinostart von „Narren“ musste aufgrund der Corona-Pandemie immer wieder verschoben werden. Nun konnte der Dokumentarfilm der beiden Filmemacherinnen – auch bekannt als Böller & Brot – in voll besetzten Kinos bei unserer DOK Premiere in Ludwigsburg und Stuttgart gezeigt werden. Nach Stuttgart, wo wegen der großen Nachfrage kurzfristig sogar eine zweite Abendvorstellung angesetzt wurde, waren einige Neugierige aus Rottweil gekommen. Anschließenden Fragen stellten sich die beiden Regisseurinnen Sigrun Köhler und Wiltrud Baier nach dem Dokumentarfilm. In Ludwigsburg stand zudem Narrenmeister Christoph Bechtold Rede und Antwort.
Moderiert und kuratiert wurde die Veranstaltung in Ludwigsburg von Kay Hoffmann vom Haus des Dokumentarfilms (HDF); in Stuttgart führte Goggo Gensch (HDF) durch den Abend.
Dritte DOK Premiere von Böller und Brot
Nach „Where‘s the Beer and when do we get paid?“ (2012) und „Wer hat Angst vor Sibylle Berg“ (2016) ist „Narren“ die dritte Doku von Böller und Brot, die das Haus des Dokumentarfilms als DOK Premiere präsentiert hat. Insgesamt ist der aktuelle Kinofilm die siebte Produktion des Duos. Welches Projekt es als nächstes angeht, steht noch nicht genau fest. „Wir mögen den beobachtenden Dokumentarfilm sehr, aber wir wissen nicht, ob der in Zukunft noch stattfindet“, sagt Wiltrud Baier im Gespräch.
Weg zur Doku über Rottweiler Fasnet
Für „Narren“ haben die beiden drei Jahre während der Fastnacht in Rottweil gedreht. Erste Recherchearbeiten fanden 2016 statt, von 2017 bis 2019 haben sie das närrische Treiben in Rottweil mit einer kleinen Sony-Kamera begleitet. Die Idee stellte ihnen Andreas Schreitmüller von Arte bei einem gemeinsamen Essen vor. Obwohl sie der Thematik zunächst skeptisch gegenüberstanden, zeigten sich die beiden Filmemacherinnen nach dem ersten Besuch in Rottweil doch überzeugt. „Wir sind wahnsinnig neugierig und sind nach Rottweil gefahren. Wir hatten dort den Eindruck, dass wir anhand der Narren etwas über unsere Gesellschaft erzählen können. Und dann waren wir schon gefangen“, erinnert sich Wiltrud Baier.
„Narren“ – Beobachtung der Rottweiler Fasnet
Um die närrische Fastnacht überhaupt so lange und intensiv begleiten zu können, war Andreas Schreitmüller nicht nur Ideengeber, sondern auch wichtiger Türöffner. Im Kontrast zu den vielen Live-Übertragungen der Rottweiler Straßen-Fasnet im Fernsehen „hatte die Narrenzunft selbst den Wunsch, dass diese mal anders dargestellt wird“, so Baier.
Doch war der Zugang kein Selbstläufer: „Es dauert, bis man mal eingeladen wird und man merkt, dass das ‚Richtige‘ ja in den Häusern passiert“, betont die Regisseurin weiter. So sieht man im Film, wie viele Vorbereitungen im Hintergrund und über das Jahr hinweg ablaufen. Kostüme müssen genäht, die Narrenkleidle (Kostüme) angemeldet werden. Das Peitschen vom Rössle (Pferdekostüm, das nur Männer tragen dürfen) wird auch unter dem Jahr trainiert und wichtige Entscheidungen sind vom – grundsätzlich männlichen – Narrenzunfts-Ausschuss sowohl vor als auch nach der Fasnet zu besprechen.
Ein Dokumentarfilm über das Miteinander
Die Rottweiler Fasnet ist Tradition, die viele der Einheimischen auf die Straßen lockt und zusammenbringt. „Narren“ ist deshalb vor allem ein Film über das Miteinander und die generationenübergreifende Gemeinschaft der Fasnet. Zu sehen ist im Film zum Beispiel auch, wie der „Bettelnarr“ durch das Dorf zieht und kleine Almosen einsammelt. Diese bringt er anschließend in ein Seniorenheim, wo eine der Bewohnerinnen freudig Fasnet-Lieder mit ihm einstimmt. Dazu ergänzt Sigrun Köhler im Filmgespräch: „Für die Rottweiler ist es sehr wichtig, dass diese Szene mit den alten Leuten in dem Film ist, weil es zeigt, wie eingebunden jeder ist.“
Fasnet-Teilnahme als Privileg?
Dass aber nicht jedem das Privileg gegeben ist, mitzumachen, zeigt die Doku auch. „Ich glaube jeder Mensch hat dieses Bedürfnis, irgendwo dabei sein zu wollen. Und wenn man das Privileg nicht hat, dann spürt man das sehr schmerzhaft“, erzählt Wiltrud Baier. Deutlich wird das vor allem am Beispiel des kleinen Jungen, der davon träumt, einmal im Rössle zu stehen; dabei realisiert er bereits beim Dreh, dass er das nie schaffen wird. Auf eine Zuschauer-Frage in Ludwigsburg hin betonte Narrenmeister Bechtold aber die Offenheit der Rottweiler Fastnacht. „Menschen mit Migrationshintergrund sind herzlich willkommen, wenn sie in Rottweil wohnen“, so der Narrenmeister.
Rottweiler Fasnet: Tradition wird modern?
Wegen ihrer Bekanntheit und dem geselligen Miteinander ist die Rottweiler Fastnacht seit Jahren zum großen Trend geworden. Jeder und jede möchte am Narrensprung teilnehmen, um einmal durch das Schwarze Tor zu ‚jucken‘ (springen). Wie die Doku zeigt, wird dieser Trend für die Narrenzunft mittlerweile zum streitbaren Thema.
Quantität steht der Qualität entgegen. Die Angst ist groß, dass das richtige ‚Narren‘ verloren geht. Auch die traditionellen Handwerksbetriebe, die von der Fastnacht leben, sehen ihre Kapazitäten voll ausgeschöpft. Für die neue Fastnacht-Saison kann immer nur eine bestimmte Anzahl an Kleidle (Kostüm) und Larven (Maske) fertiggestellt und von der Narrenzunft genehmigt werden. Wer also der Narrenzunft offiziell beitreten will, braucht Geduld.
„Narren“ – Keine allumfassende Doku
Trotz vieler privater Eindrücke und dem Blick hinter die Kulissen zeigt die Doku von Wiltrud Baier und Sigrun Köhler kein vollständiges Bild der närrischen Tradition in Rottweil. Viele Events, wie der Schmutzige Donnerstag, hat das Duo ausgelassen, obwohl die beiden Filmemacherinnen nahezu alles festgehalten haben. „Wir haben uns dann sehr mühselig von Sachen getrennt. Es gab auch eine Filmversion, die ist vier Stunden lang“, so Baier, die hauptsächlich für die Montage zuständig war. – Möchte man die komplette Rottweiler Fasnet nicht verpassen, muss man sich als Zuschauender also selbst ein Bild vom Rand der Straße aus machen. Und das kann, so Böller und Brot, auch sehr viel Spaß bereiten.