Eine Kämpferin für Gerechtigkeit: Nachruf Helga Reidemeister
Ende November 2021 starb Helga Reidemeister nach langer Krankheit mit 81 Jahren in Berlin. Sie gehörte zu den renommiertesten Dokumentarfilmregisseurinnen ihrer Generation und war sehr engagiert in der Ausbildung tätig.
Der Alltag der Arbeiterklasse
Zunächst studierte Reidemeister freie Malerei an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin. Danach arbeitete sie von 1968 bis 1973 als Sozialarbeiterin im Märkischen Viertel in Berlin, was sie sehr prägte. Dort lernte sie Arbeiterfrauen kennen, die sich in den Dokumentarfilmen, die sie ihnen zeigte, nicht richtig repräsentiert fühlten. Diese Frauen motivierten sie, doch selbst Film zu studieren. Es entstanden mehrere Filme über Arbeiterfamilien und die Rolle der Frau wie „Der gekaufte Traum“ (1977) und „Von wegen Schicksal“ (1979), für den Reidemeister beim Deutschen Filmpreis für die Beste Nachwuchsregie ausgezeichnet wurde.
Berlin im Fokus
Auch wenn sie oft Filme über Frauen realisierte, sah sie sich nicht als feministische Filmemacherin: „Ich würde mich als Filmemacherin bezeichnen, die immer für Gerechtigkeit ist und kämpft oder kämpfen will, wenn sie die Kraft aufbringt.“ „DrehOrt Berlin“ (1987) zeigt den Alltag rechts und links der Berliner Mauer. „Rodina heißt Heimat“ (1992) dokumentiert den Abzug der Sowjetarmee. Den Ostberliner Architekturfotografen Robert Paris begleitet sie in „Lichter aus dem Hintergrund“ (1998) und „Gotteszell. Ein Frauengefängnis“ (2000) zeigt den Alltag in einer solcher Straf-Institution.
Filme können die Welt verändern
Ihre filmische Arbeit schloss Helga Reidemeister mit der Afghanistan Triologie „Texas Kabul“ (2004), „Mein Her sieht die Welt schwarz – Eine Liebe in Kabul“ (2009) und „Splitter – Afghanistan“ (2013) ab. Einige ihrer Dokumentarfilme entstanden in Zusammenarbeit mit dem SWR. Dr. Hanke El Ghomri, Redakteurin und Arte-Beauftragte des SWR, erinnert sich: „Helga Reidemeister zeichnet ihre unbeirrbare Überzeugung aus, dass Dokumentarfilme die Welt verändern können. Ihre Filme sind ein leidenschaftlicher Appell an die Zuschauer, sich für bessere Lebensbedingungen, für Gerechtigkeit, einzusetzen. Sie vertraute auf das Gute in den Menschen, insbesondere auf junge Menschen, mit denen sie besonders gerne zusammenarbeitete.“
Wichtige Impulse in der Dokumentarfilm-Ausbildung
Helga Reidemeister unterrichtete seit 1994 an der Filmakademie Baden-Württemberg und war als leitende Dozentin maßgeblich am Aufbau des Studienschwerpunkts Dokumentarfilm beteiligt. Prof. Thomas Schadt, Direktor der Filmakademie, zu diesem Verlust: „Helga Reidemeister war nicht nur eine herausragende Filmschaffende, sondern auch eine sehr prägende Dozentin für Dokumentarfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg. Ihr Scharfsinn und ihre umfassenden Erfahrungen in Verbindung mit einer hoch kultivierten Streitlust, ihrem verschmitzten Humor, ihrer Herzenswärme und einer nahezu grenzenlosen Offenheit für die Gedanken und Ideen der Studierenden haben nicht nur Generationen von angehenden Dokumentarfilmer*innen im besten Sinne beeinflusst und gefördert, sondern auch mir entscheidende Impulse für meine eigene Lehrtätigkeit mitgegeben.“
Filmischer Blick auf Frauen
Zu ihren ersten Studierenden dort gehörte die Filmemacherin Sabine Willmann: „Nun ist eine bemerkenswerte Frau von uns gegangen und was sie hinterlässt, ist von unschätzbarem Wert. Helga hat ihren filmischen Blick schon früh auf Frauen gerichtet, als noch wenig von Frauenschicksalen gezeigt wurde.“
Reidemeister war als Dozentin auch in zahlreichen anderen Hochschulen im In- und Ausland tätig. 2011 wurde sie beim Frauenfestival mit dem Dortmunder Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet. 2016 war Helga Reidemeister Gast beim Branchentreff DOKVILLE in Ludwigsburg.