»Emma will leben«

Mit Hunger die eigene Angst besiegen: Die stellen sich doch bloß an; die muss man halt zur Not mit dem Schlauch ernähren. Was an Magersucht erkrankte Menschen und ihre Familie hören müssen, ist mitunter die grausame Begleitmusik zu einem Kampf gegen eine der heimtückischsten Krankheiten. 3sat zeigt den sehr eindringlichen Dokumentarfilm »Emma will leben« noch bis zum 17. Oktober 2018 in der Mediathek des Senders.

Sechs Jahre dauerte der Kampf von Emma Caris, einer jungen Niederländerin, gegen eine heimtückische Krankheit: die Magersucht. Am Ende des Weges, der auf ihren eigenen Wunsch hin im Film festgehalten wurde, wird Emma sterben und viele Antworten auf das Warum bleiben ungeklärt. Der holländische Dokumentarfilm »Emma will leben« ist mit seinen nur 45 Minuten eines der ergreifendsten dokumentarischen Werke über eine Krankheit und über den Lebenswillen der Protagonistin. In dieser schockierenden Ehrlichkeit liegt eine Kraft, die das Leben von Emma Caris überdauert hat.

Mit zwölf Jahren merken Freundinnen und auch die Eltern von Emma, der mittleren von drei Schwestern, dass sich etwas verändert hat. »Es war klar, dass etwas mit ihrer Brotdose nicht stimmt«, erinnert sich Jahre später ihre Mutter. Ganz langsam schleicht sich die Veränderung ins Leben der Familie. Plötzlich isst Emma keine Kekse mehr. Sie verschenkt ihr Schulvesper. Emma leidet an Magersucht und zu der Heimtücke dieser Krankheit gehört, dass sie den Erkrankten vorspielt, dass alles in Ordnung ist. Selbst als Emma bereits deutlich von dem Zwangshungern gezeichnet ist, sagt sie, dass sie wegen etwas ganz Falschem behandelt würde. Der Leidensweg wird lang und von Hoffnung wie auch von Rückschlägen geprägt. Als die Ärzte, die mit allen medizinischen Hilfen und Zwangsmaßnahmen nicht gegen die in der Psyche sitzende Krankheit ankommen, die Hoffnung aufgeben, versucht Emma in Portugal bei einer Einrichtung von ehemalig Betroffenen ein letztes Mal sich zu retten. Mit unglaublichem Lebenswillen kämpft sie gegen die Krankheit und bittet, dies zu dokumentieren. In Portugal wird Emma sterben, nur 14 Tage vor ihrem 20. Geburstag.


Emma will leben (3sat-Mediathek)

(Video laut Sender abrufbar bis 17. Oktober 2018)

Die von Jessica Villerius auf ausdrücklichen Wunsch von Emma gefilmte und zusammengestellte Dokumentation ist kaum zu ertragen. Das muss man wissen und es wird auch zu Beginn des Filmes angekündigt. Mit jeder Filmminute sieht man ein Leben schwinden – und aufgrund der speziellen Bildmontage zugleich auch immer das junge Gesicht der noch gesunden Emma. Diesem Kontrast, diesem Widerspruch und dieser Hoffnungslosigkeit, die in diesem Fall kein Happy end kennt, muss man sich stellen um zu verstehen, welche Macht diese Krankheit haben kann.

Wieso braucht es diese drastische Konfrontation? Der Film, der zwar Interviews mit Emmas ärztlichen und familiären Begleitern zeigt, aber komplett auf Erklärungen und medizinische Fakten verzichtet, will in erster Linie ein Dokument eines bis zuletzt ungebrochenen Lebenswillens sein. Zugleich ermöglicht die brutale Konfrontation mit dem unausweichlichen Ende Emmas möglicherweise die Erkenntnis, dass es sich bei Magersucht in der Tat um eine Krankheit handelt, die ihre Wirte so fest im Griff hat, dass alle Hilfe vergebens sein kann.

Nicht jeder Weg endet wie der von Emma. Emmas Vermächtnis ist eine weit stärkere Botschaft: Sie kämpfte bis zum letzten Atemzug gegen ihre Krankheit. Nicht aus jedem »Kann« wird ein »Muss«. Wege der Heilung müssen andere Filme zeigen. Dieser zeigt eine starke junge Frau, die ihrer Krankheit keine Sekunde ihres Lebens einfach so schenkte.

Emma will leben
(Emma Wants to Live)
Dokumentation, NL 2017, 45 Min.
Regie: Jessica Villerius
Produktion: Posh Productions
Deutsche Bearbeitung: Kelvinfilm für ZDF/3sat