Auf der Berlinale 2018 gewann Ruth Beckermann den mit 50.000 Euro dotieren »Glashütte Original Dokumentarfilmpreis« für ihren beeindruckenden Film »Waldheims Walzer«. Er lief auf wichtigen Festivals und hat inzwischen weitere Preise gewonnen. Er war auch für den Deutschen Dokumentarfilmpreis nominiert. Beckermann arbeitet darin den Skandal um Kurt Waldheim auf, den ehemaligen Österreichischen Bundespräsidenten und dessen NS-Vergangenheit.
Kinostart: 4. Oktober 2018
Ruth Beckermann hat für diesen Film ausschließlich mit Archivmaterial gearbeitet – schon das ist in Zeiten von »alternativen Fakten« ein Statement. Die Regisseurin selbst griff als Aktivistin 1986 selbst zur Videokamera, um die Proteste gegen Kurt Waldheim zu begleiten. Nicht durch Zufall erinnerte sie sich vor einigen Jahren an dieses Material und entwickelte daraus den beeindruckenden Film über einen Wendepunkt der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Waldheim war der weltweit geachtete UN-Generalsekretär. Als er 1986 in Österreich als Bundespräsident kandidiert, holte ihn seine NS-Vergangenheit ein. Je erdrückender die Vorwürfe des Jüdischen Weltkongresses und internationaler Medien wurden, desto erfolgreicher erwies sich in Österreich die Mobilisierung eines dumpfen Wir-Gefühls mit antisemitischen Untertönen. Obwohl es eindeutige Belege dafür gab, dass er als Soldat Kriegsverbrechen miterlebte, wenn nicht sogar daran beteiligt war, leugnete er stur jede persönliche Verantwortung. Letztlich war der Skandal nicht, ob er daran beteiligt war oder nicht, sondern seine Verteidigungsstrategie, nichts gewusst haben zu wollen und nur als guter Soldat gehandelt zu haben.
Die Regisseurin hat rund 200 Stunden historisches Material recherchiert, das sie dann chronologisch als Countdown bis zur Wahl anlegt. Für die kongeniale Montage war Dieter Pichler verantwortlich. Bei dieser Recherche hat sie viel Erfahrung gesammelt, welche Bilder man findet und welche Situationen nicht überliefert sind. So archiviert das Fernsehen in der Regel nur das ausgestrahlte Material und nicht das gedrehte Material. Der Widerstand von Teilen einer sich bildenden Zivilgesellschaft gegen Waldheim wurde im ORF kaum reflektiert und kaum darüber berichtet. Die chronologische Anordnung des Films ermöglichte ihr spannende Exkursionen zu verschiedenen Aspekten dieses Skandals. Die Diskussionen um Waldheim löste eine Auseinandersetzung um die Rolle Österreichs im Nationalsozialismus aus. Die offizielle Version seit Ende der 1940er Jahre war, dass das Land das erste Opfer Hitlers war und sich deshalb jeglicher Verantwortung entzog. In der Tat waren jedoch viele Österreicher begeisterte NS-Anhänger und machten im System mit. Waldheim wird letztlich gewählt, international jedoch geächtet. Der Film ist ein Lehrstück über das Schüren von Emotionen, die mediale Schaffung von Feindbildern und den erfolgreichen Einsatz populistischer Propaganda, wie sie zur Zeit wieder en vogue ist. Die Politik von Donald Trump, der genau damit arbeitet und der Erfolg rechtspopulistischer Parteien in verschiedenen Ländern Europas und ihre Regierungsbeteiligung in Wien, machen diesen Essay über Geschichte, Verdrängung und nationalem Stolz ausgesprochen aktuell.
Die Wiener Filmemacherin Ruth Beckermann hat in den vier Jahrzehnten ihres Schaffens für viele Ihrer Filme namhafte Preise erhalten. So wurde zum Beispiel »Jenseits des Krieges« im Jahr 1996 unter anderem beim Pariser Festival Cinéma du réel geehrt. Ihr Experimentalfilm »Die Geträumten« über die Liebesbeziehung von Paul Celan und Ingeborg Bachmann im Wien der Nachkriegszeit gewann im Jahre 2016 unter anderem bei der Grazer Diagonale.