Berlinale 2022: Zwischen Krieg und Filmgeschichte
Auf der Berlinale laufen in diesem Jahr rund 50 dokumentarische Produktionen. Kay Hoffmann stellt vier weitere Dokumentarfilme im Programm vor: „Terykony“, „Komm mit mir in das Cinema – Die Gregors“, „Scala“ und „Terra que Marca“.
Kindheit im Krieg: „Terykony“ (Generation)
Im Osten der Ukraine droht der Einmarsch russischer Truppen und hält die Welt in Atem. Der Krieg dort dauert schon Jahre und hat viele Opfer gekostet. Taras Tomenko zeigt in „Terykony“ den Alltag von Jugendlichen in diesem Gebiet. Nastya und Yaroslav versuchen sich mit ihren Freunden durch das Leben zu schlagen. Sie sammeln Geld als Sternsinger und Schrott aus den Ruinen, den sie nur schwer verkaufen können. Das Geld wird in Spielzeug für die Geschwister investiert. Ihr Alltag zwischen zerstörten Häusern und Abraumhalden ist trist und ohne Perspektive, doch sie verlieren nicht ihre Hoffnung.
Lebende Filmgeschichte: „Komm mit mir in das Cinema – Die Gregors“
Erika und Ulrich Gregor waren immanent wichtig für die Film- und Kinokultur in Berlin. Sie lernten sich in den 1950er Jahren an der Universität im Filmclub kennen und führten anspruchsvolle Filme jenseits des Kommerzkinos in der Akademie der Künste vor. Ihr Interesse galt der internationalen Filmkunst. Nach einem Eklat auf der Berlinale (die Berlinale 1970 wurde nach Protesten um Michael Verhoevens Wettbewerbsfilm „O.K.“ abgebrochen; der Festivalleiter wurde entlassen) starteten sie 1971 das Internationale Forum als neue Sektion. Sie bauten das Arsenal Kino und den Verleih des unabhängigen und experimentellen Kinos auf.
Alice Agneskirchner gelingt mit „Komm mit mir in das Cinema – Die Gregors“ ein packendes Porträt der beiden, das zugleich ein Stück Zeitgeschichte Berlins ist. Neben zahlreichen Ausschnitten aus Filmen, die ihnen wichtig sind, gibt es auch viel Archivmaterial über die Stadt zu sehen. Ein wirklich lohnender Film.
Vergangener Glanz: „Scala“ (Forum)
Die Regisseurin Ananta Thitanat dokumentiert den Abbau des Inventars in dem einst größten Einzelkino in Bangkok. Es hatte 1.200 Plätze und wurde, wie andere große Kinos, erst Ende der 1960er Jahre eröffnet. Die Kronleuchter und Deckenverzierungen waren opulent und werden jetzt Stück für Stück entfernt. Die Einnahmen waren über die Jahre zurückgegangen und die Universität als Vermieter forderte immer höhere Mieten. Von daher wurde das Lichtspielhaus unrentabel. Die Familie der Regisseurin arbeitete für das Kino und managte es auch. Zum Teil wuchs Thitanat hier auf. Mit dem Gebäude sind für sie also ganz persönliche Erinnerungen verbunden. Die langjährigen Mitarbeiter:innen fragen die Filmemacherin nach ihrem Vater und ihren Tanten.
Allerdings verzichtet Thitanat auf einen historischen Rückblick auf die Blütezeit des Filmpalastes. Sie konzentriert sich auf die Abrissarbeiten. Am Rande kommen die politischen Unruhen und die Niederschlagung der Proteste vor. Dies wird aber leider nicht vertieft. Am Ende steht der Abriss des Gebäudes – dabei geht ein Stück Kulturgeschichte verloren. Die ausgebauten Bauelemente sollen in einem anderen Kino Verwendung finden.
Traditionelle Landwirtschaft: „Terra que Marca“
Ein Porträt von Kleinbauern, die zusammen gealtert sind. Sie beackern ihre Felder noch mit der Hand, bauen verschiedene Gemüse an, haben Schafe, Ziegen, einen Hund und ein Pferd. Ihre Rücken sind gekrümmt, die Hände haben Schwielen. Regisseur Raul Domingues wählt eine extrem puristische Form mit Bildern und O-Ton, ohne Musik, Kommentar oder Interviews. Da die beiden Protagonisten nie sprechen, erfährt das Publikum wenig über das, was sie über ihre Leben denken. Ist der Bauer mit dem Traktor ihr Nachbar? Oder hilft er ihnen bei den großen Feldern? „Terra que Marca“ ist ein Dokumentarfilm über das archaische Landleben im Hinterland von Portugal.