»Die Sonneninsel«: Ein Film schlägt den Bogen in unsere Tage
Auf großes Interesse stieß die DOK Premiere »Die Sonneninsel«, dem Debütfilm des international renommierten Filmhistorikers Thomas Elsaesser. Die Vorführungen mit Filmgespräch fanden zum ersten Mal in Stuttgart im Haus der Geschichte und am folgenden Tag im Kino Caligari in Ludwigsburg statt. Außerdem hielt Thomas Elsaesser eine höchst spannende Keynote auf dem Kongress Raumwelten zum Thema Film und Architektur.
Ulrich Wegenast von der Film und Medien Festival GmbH gehört ein spezieller Dank, diesen Vorschlag aufgegriffen zu haben und Professor Thomas Elsaesser und seinen Film zu Raumwelten eingeladen zu haben. Partner waren neben Kinokult e.V. in Ludwigsburg, das Haus der Geschichte mit ihrem schönen Kino. Es war besonders wichtig »Die Sonneninsel« in Stuttgart zu zeigen, denn der Film handelt vom Großvater des Regisseurs, dem Architekten Martin Elsaesser, der neben Frankfurt und München vor allem auch in Stuttgart aktiv war. Er war vor über 100 Jahren für den Bau der Markthalle verantwortlich sowie für zahlreiche Kirchenbauten wie die in Gaisburg. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er am Wiederaufbau des Gustav-Siegle-Hauses beteiligt. Weitere Partner der DOK Premiere waren die Architektenkammer Baden-Württemberg (Kammergruppe Ludwigsburg) – hier vor allem Horst Fischer und Mathias Weißer – sowie das NaturVision Filmfestival.
Der Regisseur des Films ist der international gefragte Filmhistoriker Thomas Elsaesser, den ich schon sehr lange kenne und für seine brillanten Filmanalysen bewundere. Wir haben bereits 1998 zusammen ein Buch herausgegeben zum Digitalen Kino, was damals eine Pionierarbeit war. Er war lange Professor in Amsterdam und hat an zahlreichen Universitäten in den USA und Europa gearbeitet und Filmwissenschaftliche Institute aufgebaut; im Moment unterichtet er noch an der Yale Universität. Ein Schwerpunkt seiner Forschung ist der deutsche Film, vor allem der Weimarer Republik. An unserer umfangreichen Publikation zur Geschichte des dokumentarischen Films vor 1945 hat er einen profunden Beitrag geliefert zu Architekturfilmen der 1920er Jahre. Bei dieser Filmgeschichte haben wir die Methode der New Film History angewandt, die Elsaesser maßgeblich mit entwickelt hat. Dabei stehen nicht die Autorinnen und Autoren und ihre Filme im Mittelpunkt, sondern sie werden in einen gesellschaftlichen, politischen, kulturellen, ökonomischen sowie technologischen Kontext gestellt. Wie dies auf filmischer Ebene gelingen kann, zeigt auf ausgezeichnete Weise sein essayistischer Film »Die Sonneninsel«.
Der Film ist quasi eine Auftragsproduktion für die 2009 gegründete Martin-Elsaesser-Stiftung, die sich zum Zeil gesetzt hat, den Architekten und sein Schaffen bekannter zu machen. Er war zwischen 1925 und 1932 Stadtbaudirektor und Leiter des Hochbauamtes in Frankfurt am Main und arbeitete mit Ernst May an den Konzepten des Neuen Bauens. Eines seiner wichtigsten Bauten ist die Großmarkthalle in Frankfurt. Sie wurde nach der Jahrtausendwende an die Europäische Zentralbank (EZ) verkauft, die ein modernes Hochhaus auf ihr errichtete. Gegen diesen Eingriff in das historische und Denkmal geschützte Gebäude gab es Proteste. Eine außergerichtliche Einigung führte zur Gründung der Stiftung und im Foyer der EZB gibt es inzwischen eine Ausstellung, die an Martin Elsaesser erinnert.
Es ist ein sehr persönlicher Film, der einige Familiengeheimnisse offenbart, nämlich dass sich die Großmutter Liesel Elsaesser in den progressiven Landschaftsarchitekten Leberecht Migge verliebte, mit dem sie auf der Sonneninsel Möglichkeiten eines alternativen Lebens und einer autarken Versorgung ausprobierte. Erzählt wird diese Familien- und zugleich Architekturgeschichte vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg mit den Amateurfilmen des Vaters von Thomas Elsaesser aus den 1930 und 1940er Jahren. Diese Filme waren lange in Vergessenheit geraten und bei der Gründung der Stiftung wurden sie wiederentdeckt bei der Suche nach Aufnahmen mit Martin Elsaesser.
Der Amateurfilm fristete lange Zeit gerade auch in der Filmwissenschaft ein Schattendasein. Das ändert sich seit einigen Jahren und diese privaten Filme werden auch immer wichtiger für zeitgeschichtliche Programme. Das Spannende an diesen Privatfilmen ist für Elsaesser, dass sie oft versuchen ein Ideal zu zeigen, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Für ihn zeigen sich in ihnen Machtverhältnisse ebenso wie Spannungen und Konflikte. Diese im Bild nicht sichtbaren Details arbeitet er mit seinem Kommentar heraus und verknüpft sie auf geschickte Weise mit der Zeitgeschichte. Er hat sich massiv gegen den Wunsch des Produzenten gewehrt, bestimmte Ereignisse wie Luftangriffe auf Berlin mit Wochenschau- oder anderen Aufnahmen zu illustrieren, sondern darauf bestanden, nur die Aufnahmen seines Vaters zu verwenden – selbst wenn diese Lücken lassen auf der Bildebene. Sehr spannend finde ich, dass Thomas Elsaesser den Bogen schlägt von damals zu heute mit Globalisierungskritikern und ihren Protesten vor der EZB. Aber dies ist aus der Entstehungsgeschichte des Films erklärlich. Auch die Ideen von Leberecht Migge für eine Selbstversorgung durch Gärten und den nachhaltigen Anbau haben bis heute ihre Aktualität behalten in Urban Gardening Projekten.