„Es geht nicht darum, dass digital schlecht ist und analog besser – oder andersrum. Es geht darum, das Beste von beidem zum eigenen Wohl zu verbinden“, betont Jens Meurer. Sein Film „An Impossible Project“ wurde bei der DOK Premiere als 35mm-Projektion gezeigt.
Die besten Geschichten schreibt noch immer das Leben. So wie die in „An Impossible Project“ über die versuchte Rettung der letzten Polaroid-Fabrik. Im Fokus steht darin Florian „Doc“ Kaps – ein liebenswerter Spinner, der seine großen Träume mit kleinsten finanziellen Mitteln und ohne substanzielle Erfahrung in Unternehmensführung zu realisieren versucht. Ihn treibt vielmehr die Liebe zu analogen Technologien an, denen er ein verdientes Comeback ermöglichen möchte.
Aus Liebe zum Analogen: „An Impossible Project“
„In einer Zeit, in der alles pro digital war und Leute vor dem Apple-Store gecampt haben, um die Ersten zu sein, die das neue iPhone kriegen, hat Doc gesagt: ‚Ich gehe einfach in die andere Richtung. Koste es, was es wolle.‘ Das hat mich berührt und inspiriert“, erzählt Filmemacher und Produzent Jens Meurer bei der DOK Premiere vom Haus des Dokumentarfilms. „Ich hatte das Gefühl, dass man hier eine positive Geschichte erzählen kann – und eben keine mit erhobenem Zeigefinger.“ Bei der Unternehmung macht es auch nichts, dass die Frage nach einem Business-Plan von Doc kurzerhand mit einer Gegenfrage („Business-Plan? Was ist ein Business-Plan?“) und schallendem Gelächter beantwortet wird. Wer braucht schon eine geschäftliche Strategie, wenn man eine Vision hat? Und die hat der Österreicher, ein ums andere Mal.
Vom Träumen, Scheitern und Weitermachen
Das Geld fehlt, genau wie die chemische Formel für den Polaroid-Film, der sich lange anders entwickelt als es für gelungene Fotos nötig wäre. Weder die alten Tüftler noch die jungen Hipster, die das „Team analog“ verstärken, können zunächst Abhilfe schaffen. Auch dieses Scheitern sowie weitere Rückschläge illustriert „An Impossible Project“ liebevoll als Teil des Weges und nicht als Endpunkt der Reise. Die Botschaft dahinter: Es geht immer irgendwie weiter – und das am besten mit viel Humor.
„Wenn ich mir unsere heutige Gesellschaft anschaue, die so gespalten ist, voller Fake News, Faktenleugnung und Polarisation, habe ich das Gefühl, dass es nicht schlecht ist, auch mal einen Dokumentarfilm zu machen, der nicht bierernst ist“, betont Meurer beim Werkstattgespräch im Rahmen der DOK Premiere. „Obwohl das Thema im Kern schon ernst ist. Die Frage ist schließlich, wie wir jetzt leben und leben wollen.“
Auf 35mm gedreht und vorgeführt
Gedreht wurde „An Impossible Project“ in Zusammenarbeit mit ARRI analog auf 35mm-Film. „Es ist eine sehr befreiende Art so zu arbeiten, wie man es hundert Jahre lang gemacht hat“, führt Meurer bei der DOK Premiere aus. „Pro Drehtag hatten wir im Durchschnitt acht Rollen Film, also acht mal vier Minuten und ein bisschen. Das hat dazu geführt, dass die Leute ihre Gedanken auf den Punkt bringen mussten, wenn sie etwas Wichtiges sagen wollten. Ansonsten war die Rolle zu Ende. Und wenn die achte Rolle durch war, war’s wirklich vorbei. Feierabend! Dann sind wir in die Kneipe gegangen und haben uns darüber unterhalten, was wir an dem Tag erlebt haben.“
Digitale vs. analoge Drehs
Meurer kennt durchaus beide Welten, die digitale und analoge. Er war es beispielsweise, der als Produzent mit „Russian Ark“ von Aleksandr Sokurov den ersten als Single-Take gedrehten digitalen Film in den Wettbewerb von Cannes gebracht hat. Zwanzig Jahre sind seit dem Start des experimentellen historischen Dramas vergangen. Viel Zeit, in der sich die Technik massiv weiterentwickelt hat. Doch was bedeutet das gerade für den Dokumentarfilm?
Meurer wägt ab: „Man denkt immer: Eine kleine digitale Kamera ist so unauffällig, dass dadurch das Authentische erst zustande kommen kann. Meine Erfahrung ist das Gegenteil: Die Frage ‚Drehen die jetzt gerade oder nicht?‘ macht die Leute oft total kirre. Wenn wir aber mit der großen Kamera und dem teuren Material kommen, merken sie, dass wir sie ernst nehmen. Eben weil wir uns die Mühe machen. Das Team muss eingespielt sein, die Optiken müssen stimmen, jemand muss die Schärfe ziehen, weil es keinen Autofokus gibt, der Ton muss aufgenommen werden usw. Das alles überträgt sich auf die Situation. Das Komische ist: Sobald man aufeinander eingestellt ist, scheint das Ganze einfach zu verschwinden. Sogar, wenn du mit der großen Kamera ganz nah dran bist, vergessen es die Leute plötzlich. Es ist eine eigene Stimmung, die dem Prozess meiner Meinung nach guttut.“
Finanzierung u. a. über Crowdfunding
Finanziert wurde das Kino-Projekt, das keinen Sender als Ko-Produzenten im Hintergrund hat und zunächst sogar in der Branche auf viel Unverständnis gestoßen ist („Viele Kollegen haben gesagt, dass analog tot ist und mich gefragt, ob ich das wirklich durchziehen will.“) unter anderem über Crowdfunding. Die Spenden kamen aus aller Welt, von Kiew bis Peking. Trotzdem ist das Geld, wie Meurer frank und frei einräumt, zwischendurch immer wieder ausgegangen. „Was die Finanzierung eines solch verrückten Projekts betrifft, will ich nicht zu sehr aus dem Nähkästchen plaudern. Nur so viel: Der Film heißt nicht umsonst ‚An Impossible Project‘ [lacht].“
Positive Resonanz nicht nur bei der DOK Premiere
Umso schöner, dass der Film seit der Premiere beim Internationalen Film Festival Rotterdam (2019) viel Zuspruch erfahren hat. Corona zum Trotz lief „An Impossible Project“ u. a. bereits in Neuseeland, Dubai, im indischen Goa und jetzt auch bei Screenings in Deutschland und Österreich im Kino – überall mit positiver Resonanz, wie man hört. Diese ist nicht allein der Renaissance des Analogen geschuldet, das seinen Nischenplatz in den vergangenen Jahren zunehmend verloren hat. Gerade die spezielle Haltung, die Film, Sujet und Machart transportieren, scheinen maßgeblich für den Erfolg.
Meurer ist überzeugt: „Uns alle treiben in dieser immer globalisierter werdenden Welt ähnliche Fragen um: ‚Wie viele Stunden am Tag will ich eigentlich an meinem Smartphone verbringen? Und wie kann ich mich dagegen wehren, von der Techniklawine überrollt und entmündigt zu werden?‘ Die Antworten auf diese Fragen sind sehr menschlich: ein Buch in die Hand nehmen, eine Platte auflegen oder einfach mal die Finger schmutzig machen.“
Die DOK Premiere ist eine vom Haus des Dokumentarfilms kuratierte Filmreihe. Sie präsentiert einmal im Monat in Ludwigsburg und Stuttgart aktuelle Kinostarts von Dokumentarfilmen. Die jeweiligen Regisseur:innen sind für Werkstattgespräche mit dem Publikum vor Ort. Kuratoren sind Goggo Gensch (Stuttgart) und Kay Hoffmann (Ludwigsburg).
Jens Meurers „An Impossible Project“ (Weltkino Filmverleih) war am 9. Februar 2022 im Caligari Kino Ludwigsburg und am 10. Januar 2022 im Arthaus Kino Delphi zu sehen.