Wie zwei Deutsche den Jazz retteten: Das Schicksalsjahr 1939 ist in vielerlei Hinsicht der Beginn eines ganz dunklen Kapitels der Weltgeschichte. Nicht so aber in New York, wo der aus Deutschland geflohene Alfred Löw in diesem Jahr seine erste Jazz-Schallplatte aufnehmen lässt und damit »Blue Note Records« gründet. Die Geschichte von Löw alias Alfred Lion, seinem Freund und Geschäftspartner Francis Wolff und dem wichtigsten Jazzlabel der Welt erzählt der Dokumentarfilmer Eric Friedler in »It must schwing«. Der absolut sehenswerte Film ist noch bis 15. Januar 2019 in der NDR-Mediathek zu sehen.
Natürlich kann und will Eric Friedler, dem wir so wunderbare Filme wie »Der Clown«, »The Voice of Peace« oder »Eskimo Limon« verdanken, nicht einfach nur einen Film über Jazzmusik machen. Oder sagen wir es so: wenn Friedler den einzig wirklich wichtigen Beitrag der USA zur Weltkultur zum Thema eines Filmes macht, dann erzählt dieser Friedler diese Geschichte so, dass er damit auch die bekannte Geschichte des 20. Jahrhunderts wie durch eine Buntglasscherbe zeigt und ihr neue Facetten verleiht.
In »It must schwing« (mitproduziert von Wim Wenders und seiner Filmgesellschaft Neue Road Movies) ist es nun also die Geschichte von Alfred Lion und Francis Wolff, den beiden Jazzenthusiasten, die mit ihrer Schallplattenfirma Musikern wie Art Blakey, Miles Davis, Quincy Jones, Sonny Rollins und so vielen anderen zu Weltruhm verhalfen. In der Wahrnehmung von Eric Friedler nimmt die Geschichte des Modern Jazz als der Widerspiegelung von Rassismus, Armut und Unterdrückung in einer eruptiven afroamerikanischen Kunstform ihren ultimativen Ausgangspunkt im Berlin der späten zwanziger Jahre. Dort entdecken die beiden Freunde Löw und Wolff, beides Kinder von seit Generationen in Deutschland lebenden jüdischen Familien, ihre Liebe zum Jazz.
Die Vertreibung speziell dieser beiden Juden und die Vernichtung und Verfolgung von Millionen anderen ist für Friedler eine wichtige Spur, der er kenntnisreich und beharrlich folgt. Löw/Lion und Wolff entdecken nach ihrer Flucht aus Deutschland in Harlem die Musik ihres Lebens und die Musiker, die sie spielen – in der Regel afroamerikanische Künstler, die im hyperrassistischen Amerika dieser Tage die sozial unterste Schicht bilden. Die Analogien sind unübersehbar. Hier ein Diktator, der Europa und die halbe Welt in den Krieg stürzt und ganze Bevölkerungsschichten zu Untermenschen erklärt; dort ein Rassismus, der sich an der Hautfarbe entzündet und aus Nachkommen der Sklaven eine Unterschicht geformt hat.
It must schwing! (NDR-Mediathek)
(Video laut Sender abrufbar vorausschichtlich bis 15.1.2019)
Quincy Jones bringt es an einer Stelle des Filmes treffend auf den Punkt: die Rache für die Unterdrückung war nicht Revolte, Bürgerkrieg und Mord. Es war der Jazz, die Impfung der amerikanischen Gesellschaft mit einem Virus, das ihren Wirt nachhaltig verändert hat.
Getragen wird dieser Film von vielen einzigartigen Jazzaufnahmen, von zahlreichen Interviews, die jedes für sich schon einzigartig sind, und langen Animationselementen, bei denen die Grenzen aus Fiktion, dokumentarischer Quelle und nacherfundener Illustration auf geradezu perfekte Weise gesprengt werden. Friedler hat eine erzählerische Perfektion erlangt, die auch formal die Filmsprache des dokumentarischen Films erweitert. Wo es in »Der Clown« noch die Theaterbühne war, mit der Ungefilmtes aus vergangenen Zeiten zurückgeholt wurdee, nutzt er nun digitale Animationen, um Geschichte lebendig werden zu lassen. An einer Stelle sind in einem Interview die beiden länst verstorbenen Protagonisten zu hören – dazu bewegen animierte Doubles die gezeichneten Lippen. Die Illusion ist so realistisch und dennoch künstlerisch gebrochen, dass man sich dabei ertappt, die beiden Comicfiguren für echt zu halten.
Das Genie der Musiker, die für Blue Note Records spielten, ist bis heute in ihrer Musik zu hören. Das Genie der beiden Enthusiasten, die dies ermöglichten, wird durch diesen Film sichtbar. Ein Genie hat auch dieses wahrlich unvergessliche Filmdokument beseelt, in dem sich so viel widerspiegelt, was das 20. Jahrhundert ausgemacht hat. Sage bloß keiner, es ginge »nur um Jazz«.