TV-Tipp 22.1.: Das Archiv, das die Vernichtung des Ghettos überlebte
»Wer wird bleiben, wenn wir alle weglaufen«, fragte der junge Historiker Emanuel Ringelblum im Jahre 1940 eine Frau, die vor hatte, aus Warschau zu fliehen. Rachel Auerbach blieb. Und etwa 60 Mitstreiter taten es ihr gleich, wohl wissend, dass im Ghetto Hunger, Demütigung und der Tod auf sie warteten. Sie hinterließen ein bis nach Kriegsende vergrabenes Untergrundarchiv aus Tagebüchern, Fotos, Gedichten, Zeichnungen und NS-Schreiben. Im Dokumentarfilm von Roberta Grossmann wird »Das Geheimarchiv im Warschauer Ghetto« (im Ersten am 22. Januar 2019) zu einem Zeugnis puttygen , das Hass und Terror überdauert hat.
Das Erste, Di 22.1.2019, 22:45 Uhr: Das Geheimarchiv im Warschauer Ghetto
Die Geschichte von Emanuel Ringelblum und seinen Mitstreitern, die inmitten des Zweiten Weltkriegs, zusammengepfercht in einem Teil der polnischen Hauptstadt Warschau, den die Nazis das Judenghetto nannten, ein Geheimarchiv anlegten, ist eine Geschichte von Hoffnung, Widerstand und dem Glauben daran, dass auch auf die dunkelste Nacht ein Morgen folgen wird. Unter dem Tarnnamen »Oneg Shabbat« (Freude am Sabbat) sammelten und vergruben die Mitglieder der geheimen Vereinigung Fotos, Tagebücher, NS-Verordnungen und jiddische Poesie, um der Nachwelt ein authentisches Zeugnis vom Leben im Ghetto und den Verbrechen der NS-Besatzer zu geben.
Nur drei von Ringelblums Mitstreitern überlebten den Holocaust, darunter Rachel Auerbach, aus deren Perspektive diese Dokumentation weitgehend erzählt wird. Aus dem Off werden immer wieder Tagebucheintragungen zitiert, in denen die im Ghetto eingesperrten Menschen ihr Leben und das langsame Sterben festgehalten haben. Die Texte spiegeln wider, wie sich zunehmend Hoffnungslosigkeit und Angst ums blanke Überleben in den Menschen breit machen. »Eine Welle des Bösen rollt über die Stadt«, heißt es an einer Stelle.
Illustriert werden die Zitate auch von Filmaufnahmen, die, das wird korrekterweise klargestellt, im Auftrag der deutschen Besatzer entstanden: »Wir schauen durch eine deutsche Linse.« Was damals Verachtung, Hohn und Spott auslösen sollte, ist heute doppeltes Zeugnis: zum einen über das Ausgeliefertsein der Juden im Ghetto und zum anderen über das unmenschliche Übermenschgetue der Deutschen.
Nach Ende des Krieges konnten in mehreren Suchaktionen ein Großteil des kurz vor Räumung und Zerstörung des Ghettos vergrabenen Archivbestände gerettet werden. Ein großer, dritter Teil blieb verschwunden und wird heute unter einem später gebauten Botschaftsgebäude vermutet. Die gesicherten Archivalien sind seit 1999 als Ghettoarchiv Weltdokumentenerbe der Unesco. An ihrem Aufbau wie auch an ihrer Aufbewahrung in der Gedenkstätte Yad Vashem konnte Rachel Auerbach noch bis zum Jahre ihres Todes 1976 mitwirken. Nur sie und zwei weitere Mitstreiter der Oneg-Shabbat-Gruppe überlebten die Judenvernichtung in Warschau.
Den Tod von Emanuel Ringelblum, der an der Seite seiner Frau und dem 12-jährigen Sohn erschossen wurde, habe sie bis ans Ende ihrer Tage nicht verwunden, wird Rachel Auerbach zitiert. Ein Satz, der die Einzigartigkeit dieses Archivs aus besondere Art bewusst macht. Nicht verwunden, aber eben auch nicht vergessen.