In einer Zeit, in der man jungen Menschen erklären muss, dass die deutsche Politik einst viele Jahre in einem Rentnerstädtchen am Rhein gestaltet wurde, darf niemand erwarten, dass sich ausgerechnet die Skandale jener Bonner Republik noch in der Erinnerung gehalten haben. So steht es wohl auch um die Figur des CSU-Mannes Leo Wagner. Filmemacher Benedikt Schwarzer hat allerdings noch einen ganz privaten Grund dafür, »Die Geheimnisse des schönen Leo« in einem Dokumentarfilm ans LIcht zu zerren. Schwarzer ist der Enkel von Wagner – und das hat Folgen für den Film, der mal Historie, mal Spionagethriller und auch Familiendrama ist.
Kinostart: 17. Januar 2019
Fleißig, charmant und souverän, das sind die Adjektive, mit denen man Leo Wagner, einen Mitbegründer der CSU, einst beschrieb. Die Politkarriere des Günzburger Rektors a.D. führte Wagner in die höchsten Kreise der Bonner Republik. Er war CSU-Bundestagsabgeordneter und ein enger Vertrauter von Franz Josef Strauß. Dass er zudem eine schillernde Figur im Kölner Nachtleben war und die Familie zu Hause eher nur der Wahrung des Anstands diente, war in der Öffentlichkeit lange nicht bekannt. Wagner war wohl nicht der Einzige aus jener Generation von Abgeordneten, die »tagsüber Politiker waren und abends ein völlig anderer Mensch«, wie es in Benedikt Schwarzers Dokumentarfilm gleich zu Beginn heißt.
Wagner liebte den Kaviar, den Schampus und die leichten Frauen. Am MdB-Feierabend ließ er es in den Bars und Etablissements der Rheinmetropole krachen. Was das für persönliche und politische Folgen hatte, entschlüsselt dieser Film. Dabei verwebt Filmemacher Schwarzer die eigene Familiengeschichte eng mit der politischen Skandalgeschichte. Nicht nur in der Bonner Republik hat »der schöne Leo« seinen Ruf ruiniert, auch »in meiner Familie hat er offene Wunden hinterlassen«, sagt Wagners Enkel heute.
DOK Premiere am 20. Februar 2019: »Die Geheimnisse des schönen Leo«
Filmvorführung im Kino Caligari, Ludwigsburg. Im Anschluss an die Vorführung gibt es ein Filmgespräch mit dem Regisseur Benedikt Schwarzer und mit Kay Hoffmann (Haus des Dokumentarfilms).
Die Reihe »DOK Premiere« ist ein gemeinsames Angebot des Hauses des Dokumentarfilms und Kinokult.
Half die Stasi dem schönen Leo – und er der SPD?
Die politische Linie der Filmstory folgt einem Mann, der sich für seine politische Karriere und später auch für seine Obsessionen finanziell verausgabte. Wagner nahm Kredite auf, um sein geheimes Leben in den Nachtclubs zu finanzieren. Ein Wegbegleiter beschreibt seinen Aufstieg in der CSU: Leo habe es immer wieder geschafft, erinnert er sich, Finanzlöcher für den Wahlkampf so zu stopfen, indem er irgendwo andere Löcher aufriss.
Irgendwann muss diese Mentalität und das Jonglieren mit Verbindlichkeiten Leo Wagner aus der Spur geworfen haben. Er wurde anfällig für Bestechung und Erpressung – zum Beispiel auch durch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Seine Abhängigkeit kulminierte im größten Skandal der Bonner Republik: dem gescheiterten Misstrauensvotum gegen den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) am 27. April 1972. Heute weiß man, dass wohl etliche Stimmen bei diesem Votum, das eigentlich Rainer Barzel (CDU) zum Kanzler hätte machen sollen, gekauft waren. 50.000 D-Mark für eine Stimme soll der Preis gewesen sein. Dass Leo Wagner ein Nutznießer dieses Stimmenkaufs gewesen sein soll, wurde bald publik. Bewiesen ist es bis heute nicht.
Ein Erzählstrang dieses Filmes versucht, das Geheimnis der Geldnot zu enträtseln. So sehr sich Benedikt Schwarzer allerdings anstrengt und Zeugen wie auch Indizien vorträgt: den letztendlichen Beweis für die Schuld des Großvaters bleibt er schuldig. Sicher ist: das Lotterleben warf Leo Wagner aus der Bahn. Er verlor sein Bundestagsmandat, die Familie und den guten Ruf. Aber bis zu seinem Tod lebte er mit einer neuen Familie als Träger des Großen Verdienstkreuzes. Verurteilt auf Bewährung wurde er 1980 wegen Kreditbetrugs, seine Spionagetätigkeit für die Stasi bleibt bis heute eine Hypothese, wenn auch eine sehr wahrscheinliche.
Der Film hat mehr zu bieten als nur den Stasi-Plot
Allerdings bietet Benedikt Schwarzers Film, den der HFF-Absolvent beim Dokfest 2018 erstmals präsentierte, eine sehr interessante, ganz persönliche Wendung. Ohne zu viel über diesen Plot zu verraten: er ist mindestens so spannend wie der Versuch, Wagners Stasi-Kontakte aufzuklären. Letztlich erweist sich die Entscheidung des jungen Filmemachers, in der Geschichte des Leo Wagner selbst als involvierter Protagonist und Erzähler aufzutreten (und mit ihm die Mutter), als goldrichtig. Die wahren Geheimnisse des CSU-Mannes liegen eben nicht in der Geldnot, sind nicht im Kölner Nachtleben entstanden und können auch nicht aus Stasi-Unterlagen herausgelesen werden. Und ganz am Ende kommt der Film zu einer wichtigen Erkenntnis: Während manche Fragen offen bleiben, lassen sich manche Wunden schließen.