Kino-Tipp: »Fahrenheit 11/9« von Michael Moore
Es müssen Hunderte von Filmen, Reportagen und Dokumentationen sein, die seit dem Wahlsieg Donald Trumps über das Phänomen Trump erschienen sind. Hätten alle nicht sein müssen, denn nur dieser eine Dokumentarfilm ist wichtig, um zu erklären, woher Trump kam und wohin die USA mit ihm kommen könnte – und womöglich gehen wird. In »Fahrenheit 11/9« gelingt dem amerikanischen Filmemacher Michael Moore ein Rückblick, eine Bestandsaufnahme und ein Blick in eine dunkle Zukunft. Ein Dokumentarfilm, der einer Wegmarke gleicht. Wer ihn gesehen hat, kann nie mehr behaupten, er habe es nicht kommen sehen.
Kinostart: 17. Januar 2019
Wer mit Moores ironisierender, selbst inszenierender, der auch mal nahe am Klamauk schrammender Arbeitsweise immer schon Probleme hatte, dürfte auch in »Fahrenheit 11/9« genügend Gründe zum Ausstieg zu finden. Er fällt leicht, das abzulehnen, was der amerikanische Filmemacher (u.a. »Roger & me«, »Bowling for Columbine«, »Where To Invade Next«) diesmal auf knapp 130 Minuten zusammengetragen hat. Es gibt tatsächlich viele Momente in diesem Film, in denen man sich fragt, wohin das führen soll außer in Frustration. Und von Ausgewogenheit, vom Vermeiden des interpretierenden Off-Kommentars, vom Unterlassen manipulierender Montagen sind wir auch in diesem Moore’schen Werk weit entfernt.
Und dennoch ist »Fahrenheit 11/9« nicht nur Moores bester Dokumentarfilm seit langem, es ist möglicherweise der wichtigste Dokumentarfilm über Ursachen und Beginn einer Veränderung, die gerade eben geschieht. »Das ist die Welt, in der wir leben. Wir müssen sie ändern oder untergehen«, heißt es kurz vor Schluss der langen Filmsitzung.
Keine Gnade für die Demokraten
Die ersten sieben Minuten des Filmes – noch bevor der Titel des Filmes eingeblendet wird – sind für alle jene kaum zu ertragen, die fest an den Sieg von Hillary Clinton bei der Präsidentschaftswahl 2016 geglaubt hatten. Mit triefendem Sarkasmus streut Moore Salz in die kaum verkrusteten Wunden. Fast meint man, die hämische Choreografie hätte sich ein Mann wie Steve Bannon ausgedacht, der ja bekanntlich auch schon als Produzent von Dokumentarfilmen tätig war. Es ist eine Abrechnung mit falschen Vorstellungen und es geht noch tiefer. Auch in den folgenden gut zwei Stunden bekommt das demokratische Establishment ihr Versagen und ihre Intrigen u.a. gegen den Linksliberalen Bernie Sanders rechts und links und links und rechts hinter die Ohren geknallt.
Moore interessiert dabei weniger, was wir täglich in den Nachrichten erleben: er will nicht zeigen, wie Trump regiert, sondern wie Trump möglich wurde. Das Chaos ist ihm kaum eine Filmsekunde wert. Wohl aber über lange Zeit ein Wasserskandal in der Stadt Flint im US-Staat Michigan. An diesem Beispiel zeigt er, wie korrupte Politiker mit dem Leben der Menschen spielen – und wie selbst der damalige Präsident Obama daran scheitert, ihnen Hilfe zu bringen. Der einzige Politiker, der an die Quelle des Übels geht und sich als Heilsbringer inszeniert ist – na, wer schon – Donald Trump. Moore betreibt hier kein Politiker-Bashing, er geht viel tiefer. Es ist ein Versagen, das weiter reicht als 2016. Mindestens so weit wie das Aufkommen neoliberaler Politik unter Bill Clinton. Seither wurde gezielt daran gearbeitet, Millionen von Menschen zu ignorieren – auch und vor allem bei Wahlen. Aus diesen Gründen, resultiert Moore, haben 100 Millionen US-Bürger im Jahr 2016 gar nicht gewählt. Sie haben den Glauben an Politik verloren. Und sie haben bestimmt, dass Trump heute im Weißen Haus sitzt.
Da sind wir nun an einem Punkt angelangt, an dem es so klar ist wie reines Wasser (dass man in der US-Stadt Flint so dringend gebraucht hätte), wieso Donald Trump mit seinen bekannten Lügen, seinem Rassismus, seiner Verachtung für Frauen die Wahl gewinnen konnte. Aus dem Off kommentiert der Filmemacher: »Die einfachen Leute glauben nicht mehr, dass die Demokraten ihnen helfen werden. Donald Trump ist nicht einfach vom Himmel gefallen. Er ist das Ergebnis verfehlter Politik.«
Moore wagt radikale Bilder und Interpretationen
Die letzten dreißig Minuten sind vielleicht die radikalsten, die sich ein amerikanischer Dokumentarfilm seit langer Zeit traute. Moore schneidet Trumps Reden gegen Bilder von Adolf Hitler, er vergleicht den Aufzug des Faschismus in Europa in den 1930er Jahren und speziell den deutschen Irrglauben an einen Führer mit den USA, die sich heute im Jahr Zwei nach Trump befinden. Sein Urteil ist beklemmend. »Es bedarf nur eines Terroranschlags«, heißt es im Film, dann werde aus einer wankenden Demokratie eine Diktatur.
Moore beschreibt »die dunkle Ära« einer USA mit einem Präsidenten auf Lebenszeit. Wie das möglich wäre? Der »nationale Notstand«, der schon Hitler nach dem Reichstagsbrand half, die deutsche Verfassung auszuhebeln, ist ein machtvolles Mittel des Despoten. Was bedarf es, um den nationalen Notstand auszurufen? Einer Krise, die man möglicherweise selbst produziert hat. Michael Moores Interpretationen sind so radikal, dass sie erschreckend real wirken.
Schon einmal lag Moore richtig. Wochen vor der US-Wahl 2016 prophezeite er den Sieg von Donald Trump.