Der SWR zeigt am Donnerstagabend noch einmal Marcus Vetters Kino-Dokumentarfilm »Das Versprechen«. Ebenso wie das Ergebnis (sehenswert!) ist auch die Produktionsgeschichte, die der Filmemacher bei Dokville 2018 im Gespräch mit Dokumentarfilmexperte Sebastian berichtete. Wir präsentieren den kompletten Dokville-Videomitschnitt dieses Gesprächs, in dem auch erklärt wird, wie das True-Crime-Format »Killing for Love« in verschiedensten Schnittfassungen international erfolgreich wurde.
SWR, Do 24.1.19., 23:15 Uhr: Das Versprechen
Es ist ein Verbrechen aus Leidenschaft, wie es Hollywood nicht besser hätte erfinden können: Ein blutiger Doppelmord in den USA an einem reichen kanadischen Ehepaar; zwei in sexueller Obsession verbundene Verdächtige, die von Amerika nach Europa fliehen und schließlich in England verhaftet werden, wo einer von ihnen, ein junger Deutscher, die alleinige Schuld übernehmen wird. 18 Jahre alt ist Jens Söring, als er den Fehler begeht, der sein Leben und das von allen, die ihn lieben, zerstören wird. Söring will Elizabeth, Tochter des ermordeten Paares, beschützen. Jens vermutet: sie ist die Täterin. Aber er ist jung, blind vor Liebe und, wie er fast ein halbes Menschenalter später sagen wird, überfordert davon, das erste Mal in seinem Leben ein Problem alleine lösen zu müssen.
Söring gesteht, den Doppelmord begangen zu haben. Doch kaum hat er das getan, will Elizabeth, die Frau, die ihn bis eben noch zu lieben vorgab, nichts mehr von ihm wissen. Eiskaltes Kalkül scheint die Triebfeder ihres Planes zu sein. Es folgen zwei spektakuläre Schauprozesse im US-Bundesstaat Virginia inklusive einem aggressiven Staatsanwalt, einem unerfahrenen Verteidiger, mit verschwundenen Zeugen und ignorierten Entlastungsbeweisen. Am Ende sitzen beide hinter Gittern, der Todesstrafe nur knapp entkommen, aber weggesperrt für den Rest ihres Lebens.
Das ist Stoff für einen Thriller und man kann sich leicht die Bilder vorstellen, die entstanden wären, hätte Hollywood diese Story übernommen und nicht der deutsche Dokumentarfilmer Marcus Vetter, der mit »Das Versprechen« einen dokumentarischen Thriller gedreht hat, der nicht der Spannung, sondern der Suche nach der Wahrheit verpflichtet ist. Aber diese Suche ist dennoch ungemein packend, elektrisierend und auch niederschmetternd. Bis kurz vor dem Kinostart der Filmer hatte der Regisseur selbst den Schnitt an der internationalen Produktion durchgeführt – für die BBC entstand unter anderem ein 170 Minuten langer Zweiteiler, für Schweden ein Dreiteiler und für England soll eine bis zu zehn Teile lange Webserie produziert werden.
Um es angesichts eines solchen internationalen Interesses an dieser Stelle noch einmal zu sagen: »Das Versprechen« ist ein Dokumentarfilm, kein fiktiver, starbesetzter Thriller. Vielleicht hätte in einem Spielfilm Michael Douglas jenen alternden Polizisten gespielt, den seine Zweifel an der Schuld von Jens Söring nicht ruhen lassen. Oder Harvey Keitel den FBI-Agenten, der behauptet, sein verschwundenes Täterprofil hätte Söring entlasten können. Doch bei Marcus Vetter (u.a. »Herz von Jenin«, »The Forecaster«, »Der Chefankläger«) ist es ein echter Ermittler von damals, eine ehemalige stellvertretende Generalstaatsanwältin, ein Gefängnisseelsorger oder auch ein Privatdetektiv, die ihre Zweifel sammeln, ausbreiten und in die Kamera sprechen. Es sind keine Schauspieler, es ist kein Script, es ist das wahre Leben, wenn da einer sagt: »Irgendetwas stimmt nicht an diesem Fall.« Und wenn eine juristische Expertin über den seit mehr als 30 Jahren eingesperrten Deutschen sagt: »Er ist unschuldig.«
Ein Dokumentarfilm zeigt die Realität – das, was ist. Aber wie wahr ist eine Realität, wenn die Wahrheit hinter 30 Jahren Gefängnis verborgen ist, wenn der Blick auf das, was war, mit Aktenordnern, Lügengespinsten und Ermittlungspannen verbaut ist? Marcus Vetter und seine Ko-Autorin Karin Steinberger entblättern diesen Fall mit Akribie und Vorsicht. Sie lassen sich Zeit, fassen den Stoff mit vorsichtigen, tastenden Fingern wie einen Rosenzweig an. Fast scheint es, sie befürchten, eine vergiftete Dorne würde die Geschichte verderben. Doch diese zurückhaltende, aber zugleich ungemein vielschichtige Montage – unterstützt von einer in jeder Sekunde stimmigen Musik- und Klangcollage – ist wie ein langsames Zurückschreiten durch die Zeit. Vorbei an den Schwaden des Vergessens, die sich in drei Jahrzehnten über diesen Fall gelegt haben. Im Zentrum Spurensuche steht ein einziges Interview mit Jens Söring. Es gibt dem Fall eine neue, politische Wendung und holt ihn ins hier und heute. Denn dieser Fall ist eben nicht beendet.
In »Das Versprechen« vereint Marcus Vetter handwerkliches Können beim Erzählen einer Geschichte mit einer nie ins Spekulative abdriftenden Recherche. Es ist ein Triumph für den Dokumentarfilm. »Die Geschichten kommen zu mir«, hat Vetter kürzlich auf die Frage geantwortet, wie er seine Stoffe findet. Was für ein Glück, dass ihn diese Story fand und dass sie nicht auf dem Weg ins Kino die falsche Abzweigung nahm. Nicht Vetter bleibt uns das Happy end schuldig – die Wahrheit ist es, die es Jens Söring schuldet.