Das Roman Brodmann Kolloquium am 28. April 2022 stand unter dem Motto „Medienfreiheit im Ausnahmezustand“. Mit hochkarätigen Reden und Podiumsdiskussionen umrahmte die Tagung die Verleihung des Roman Brodmann Preises in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin.
Angriff auf den freien Journalismus
Journalismus ist „Daseinsvorsorge für die Demokratie“. Das gelte insbesondere für den zeitkritischen politischen Dokumentarfilm – so steht es im Programmheft zum Roman Brodmann Kolloquium und Roman Brodmann Preis. Doch seit Beginn des Ukraine-Krieges am 24. Februar 2022 ist diese Daseinsvorsorge gefährdeter denn je. Neben Kampfhandlungen mit Waffen werden gezielt Desinformationen und Propaganda gestreut sowie Journalist:innen bedroht und angegriffen, die über die russische Invasion der Ukraine berichten. Zensur und Repressionen sind in Russland an der Tagesordnung. Das Kolloquium widmete sich deshalb dem Schwerpunktthema „Medienfreiheit im Ausnahmezustand“.
Der Vormittag stand im Zeichen der Ukraine
Nach einer Begrüßung durch Ulrike Becker vom Haus des Dokumentarfilms (HDF) und Dr. Leonard Novy vom Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) eröffnete der belarussische Schriftsteller Sasha Filipenko die Konferenz mit einer sehr persönlichen Rede. Filipenko, der als Drehbuchautor, Gag-Schreiber und Moderator für das russische Fernsehen gearbeitet hat, berichtete über eigene Erfahrungen mit dem Propagandaapparat Putins. Er zeichnete ein Bild von Putin als entgleistem Staatoberhaupt, das nicht nur Aggressor des Ukraine-Krieges, sondern selbst Opfer seiner eigenen Desinformationspolitik geworden sei. „Lügen und Propaganda sind schlimmer als Drogen“, warnte er in seiner Rede.
Im Anschluss folgte eine Keynote der ARD-Vorsitzenden und RBB-Intendantin Patricia Schlesinger über Pressefreiheit. „Alle Diktaturen zu allen Zeiten haben freie Meinungsäußerung unterdrückt“, konstatierte sie. Wie aktuell in Russland würden „Demonstranten verprügelt, verhaftet“ sowie „Zeitungen und Sender zensiert, angegriffen und geschlossen.“ Trotzdem sieht sie Hoffnung: „Mit jedem Interview, das aus den zerstörten Städten gesendet wird, mit jedem Bild von geretteten Menschen“ würde „Gegengeschichte“ geschrieben und im besten Fall „Wahrheit dokumentiert.“ Dem politischen Dokumentarfilm komme dabei eine wichtige Rolle als Zeitzeuge wider das Vergessen zu. Doch dessen Entstehung brauche Zeit und zeitliche Distanz zu den aktuellen Ereignissen. Auch gelte es beim Dreh eines Dokumentarfilms mit zahlreichen Unwägbarkeiten umzugehen. Schlesinger erinnerte am Schluss ihrer Keynote an das berühmte Zitat von Alfred Hitchcock: „In Spielfilmen ist der Regisseur Gott, in Dokumentarfilmen ist Gott der Regisseur.“
Panel: Stimmen aus der Ukraine
Zur Diskussion wurden daraufhin die ukrainische Produzentin Olga Beskhmelnitsyna, Viktoria Leshchenko (Programme Director, Docudays UA) sowie Tanja Georgieva-Waldhauer von elemag pictures/Support Filmmakers Ukraine aufs Podium gebeten. Sie sprachen sehr eindrücklich über die derzeitigen Arbeits- und Lebensbedingungen von Filmschaffenden in der Ukraine und zeigten dokumentarische Aufnahmen aus den kriegszerstörten Städten. Derzeit arbeiten „so viele Teams wie möglich an unterschiedlichen Orten“, so Olga Beskhmelnitsyna, um ein umfassendes Archiv der aktuellen Geschehnisse aufzubauen. Dabei sei es schwierig, objektiv zu bleiben. Umso wichtiger seien deshalb die Unterstützung aus dem Ausland, insbesondere Koproduktionen mit europäischen Fernsehpartnern. Auch in diesem Gespräch wurde deutlich: Ein reflektierter Dokumentarfilm ist kein Bericht oder eine Reportage; er kann erst entstehen, wenn der Krieg vorüber ist.
Anschließend folgte ein Gespräch mit Dr. Tobias Lindner, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Er umriss die Maßnahmen des Auswärtigen Amtes in Bezug auf die Arbeit der unabhängigen Presse vor dem Hintergrund des Krieges, den Umgang mit der russischen Propaganda und skizzierte die Hilfsleistungen des Auswärtigen Amtes, besonders die Netzwerkförderung für Journalist:innen in der Ukraine und in den unmittelbaren Nachbarstaaten.
Panel: Medienfreiheit im Ausnahmezustand
Nach der Mittagspause, die auch für bilaterale Branchengespräche genutzt wurde, eröffnete die zugeschaltete Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, den zweiten Teil des Kolloquiums. In einem eindrücklichen Appell forderte sie mehr Schutz für die Medienfreiheit, besonders in Krisensituationen, sowie Bedrohungen und Morden an Journalist:innen in Europa ein Ende zu bereiten. „Das muss aufhören!“, sagte sie mit Nachdruck und machte einmal mehr deutlich, dass Demokratie auf die Arbeit der freien Presse dringend angewiesen sei.
Dunja Mijatović und Heike Raab führten in das Panel "Medienfreiheit im Ausnahmezustand" ein.
Es folgte ein Impulsreferat von Gastgeberin und Staatssekretärin Heike Raab, der Bevollmächtigten des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa und Medien, Rheinland-Pfalz. Sie sagte: „Wenn Medienfreiheit in den Ausnahmezustand gerät, ist Demokratie in Gefahr.“ Qualitätsjournalismus und Medienkompetenz seien „wie eine Impfung für die Gesellschaft“ gegen Propaganda, Hass und Hetze. Als umso wichtiger erachtet sie die Durchsetzung eines Staatsferne-Gebots der Medien in ganz Europa. „Medien sind nur dann frei, wenn Journalistinnen und Journalisten frei von Angst Arbeiten und berichten können“, stellte sie fest, „und dafür müssen wir uns auf allen Ebenen einsetzen.“
Eindrücke vom Panel "Medienfreiheit im Ausnahmezustand"
LoremIm anschließenden Panel gingen die Teilnehmenden ins Detail. Auf der Bühne diskutierten Eric Friedler, Leiter der Hauptabteilung Dokumentation SWR, der Journalist und Filmemacher Marc Wiese sowie Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, moderiert von der Journalistin Astrid Frohloff. Dabei ging es vornehmlich um die dokumentarische Arbeit in diktatorischen Regimen, den Schutz der Protagonist:innen vor Ort sowie die Wichtigkeit „auch vor der eigenen Haustür zu kehren“, wie Christian Mihr mit Blick auf den Umgang mit Julian Assange, dem Gründer von WikiLeaks, sagte.
Panel: Unruhe stiften: Wie politisch ist der Dokumentarfilm?
Um diese Frage drehte sich das nächste Panel mit: Franz Böhm (Regisseur und Produzent), Antje Boehmert (Executive Producerin, Regisseurin, DOCDAYS Productions), Cem Kaya (Drehbuchautor, Regisseur), Jutta Krug (Redaktion Dokumentarfilm, WDR), Canan Turan (Filmwissenschaftlerin und Filmemacherin), moderiert von der Journalistin Jenni Zylka. Dabei wurde deutlich: Dokumentarfilme sind ein wichtiges mediales Werkzeug, um Änderungen anzustoßen und ein Mittel des Empowerments für gesellschaftlich unterdrückte Minderheiten. „Mit Filmen grundsätzlich die Welt ändern, da wäre man blauäugig,“ räumte Jutta Krug jedoch ein. In diesem Zusammenhang wurden auch kritische Stimmen laut. Cem Kaya fragte zum Beispiel, wie politisch ein Dokumentarfilm sein dürfe, um Filmförderung zu erhalten. Canan Turan wiederum lenkte den Blick auf die Diskriminierung von Filmschaffenden mit Migrationshintergrund – auch in Deutschland. Schließlich erinnerte Antje Boehmert an die wichtige Forderung, endlich das Schulfach „Medienkompetenz“ einzuführen.
Beim Panel "Unruhe stiften" wurde kritisch darüber diskutiert, wie politisch der Dokumentarfilm sein darf.
Panel: Zukunft des Politischen Dokumentarfilms – TV vs. Plattformen
„Die Plattformisierung ist im Gange“, das stellte David Bernet (Vorsitzender, AG DOK) gleich zu Beginn des letzten Panels fest. Zusammen mit Dagmar Biller (Produzentin, TANGRAM Film und Vorstandsvorsitzende der Sektion Dokumentarfilm, Produzentenallianz), Felix Kempter (Executive Producer, Sky Original Dokumentaries) und Jana Zündel (Goethe Universität, Frankfurt am Main) sprach er – wiederum moderiert von Jenni Zylka – über die zunehmende Einflussnahme von Streaming-Diensten. Dabei ging es unter anderem um strukturelle Probleme, Budgetfragen und Abwerbeprozesse. Einigkeit herrsche darüber, dass alle Beteiligten gleichermaßen wichtig für die Entstehung von Filmen sind, so Bernet. Auch belebten die Plattformen das Geschäft. Kritisch gesehen wurde von Jana Zündel die „Narrativierung des Dokumentarischen“, um mit einem stark am Fiktionalen angelehnten Storytelling Spannung zu erzeugen und so beim Publikum breiteres Interesse zu wecken. Für Dagmar Biller ist dies nicht per se schlecht. Sie sieht die Gemengelage aus Fiktion, Doku und Serie durchaus positiv, „wenn gut recherchiert ist.“
Über die Zukunft des politischen Dokumentarfilms wurde im letzten Panel gesprochen.
Preisverleihung Roman Brodmann Preis
Nach den spannenden und hochkonzentrierten Gesprächsrunden wurde der Roman Brodmann Preis verliehen. Ausführliche Informationen über den Gewinnerfilm und die feierliche Übergabe des Preises durch Sibylle Hanau-Brodmann, die Tochter des Namensgebers, finden Sie im Artikel “Roman Brodmann Preis 2022 – Feierliche Vergabe”.
Weiterlesen: “Über Medienfreiheit in Zeiten des Krieges” – ein Beitrag von Günter Herkel über das Roman Brodmann Kolloquium im medienpolitischen Magazin M – Menschen Machen Medien (herausgegeben von der Gewerkschaft ver.di)