Oscar-Gewinner Volker Schlöndorff war mit „Der Waldmacher“ auf Kino-Tour: 35 Tage, 44 Vorstellungen. In Stuttgart fiel die DOK Premiere mit dem 25-jährigen Jubiläum des Kinos Atelier am Bollwerk zusammen. Betreiber Peter Erasmus lud den Regisseur als Ehrengast.
Der neue Schlöndorff – Doku-Debüt in der Langform
Der heute 83-jährige Regisseur gehört zu den wichtigsten Vertretern des Neuen Deutschen Films. Für „Der Waldmacher“, seinen ersten abendfüllenden Dokumentarfilm, übernahm Schlöndorff neben Buch und Regie auch die Produktion mit zero one film und zusammen mit Axel Schneppat die Kamera. Auf die Frage, ob der Film für ihn ein klassischer Autorenfilm sei, antwortete er, „zumindest ist er stärker ein Autorenfilm als manch andere von mir.“ Schließlich habe er bei diesem Projekt von Anfang an die Kontrolle gehabt. Schlöndorff begleitete Rinaudo auf Reisen zu verschiedenen Projekten nach Indien und in etliche afrikanische Länder. Im Schnitt entschied er, den Film ganz auf Afrika zu konzentrieren.
„Postkarten aus Afrika“
Die Hilfsorganisation World Vision, für die Tony Rinaudo tätig ist, habe die Dreharbeiten organisatorisch unterstützt, erzählt Schöndorff bei der DOK Premiere, sich aber nicht an der Finanzierung beteiligt. Die Produktion mit einem Gesamtbudget von rund 400.000 € wurde vom Bayerischen Rundfunk und Arte sowie dem Medienboard Berlin-Brandenburg und privaten Sponsoren finanziert.
Wichtig war Schlöndorff, nicht nur von der Bodenerosion betroffene Afrikaner:innen zu Wort kommen zu lassen, sondern auch afrikanische Filmschaffende an der Produktion zu beteiligen. So waren an allen Drehorten Tontechniker aus dem jeweiligen Land im Team und später entschied er, auch Filmsequenzen von afrikanischen Regisseur:innen in die Dramaturgie des Films mitaufzunehmen. Er nennt diese Sequenzen „Postkarten“ und ist überzeugt, dass sie dem Publikum einen noch näheren Blick auf die Menschen und ihren Alltag ermöglichen. Vor allem fasziniere ihn der Optimismus, mit dem afrikanischen Filmschaffende trotz widriger Umstände auf Probleme wie Klimawandel und Bodenerosion blicken.
Baumschnitt-Methode sollte Schule machen
Die Methode, die aus dem Boden wachsenden Büsche zu Bäumen zu trimmen, wird inzwischen in 25 Ländern praktiziert. Symbolträchtig hat Schlöndorff dafür das Bild gefunden, dass Bäume unter der Erde einen Wald bilden. Die Begrünung steigert nicht nur die Erträge der Bauern, sondern sorgt auch für eine Artenvielfalt und verhindert die Bodenerosion. So würde den Kleinbauern die Chance geboten, besser für ihr Auskommen selbst zu sorgen. Schlöndorff überrascht, dass dieses nachhaltige Projekt weder von den afrikanischen Staaten noch aus Europa und Nordamerika stärker unterstützt wird. Rinaudo fühle sich als Einzelkämpfer und Schlöndorff möchte ihn und seine Methode bekannt machen.
Dokumentarfilm als Ereignis
Da sogar der Verleih skeptisch war, wie erfolgreich der Film im Kino laufen wird, hat sich Volker Schlöndorff für eine Kinotour durch mehr als 40 Städte entschieden, in denen er „Der Waldmacher“ persönlich vorstellte. Die meisten Vorstellungen waren ausverkauft und bestätigten seine Idee, den Dokumentarfilm wieder zu einem Ereignis zu machen.
Auch in Ludwigsburg im Kino Caligari und im Stuttgarter Atelier am Bollwerk ergaben sich bei den Publikumsgesprächen mit Schlöndorff lebhafte Diskussionen.
Zum Schaffen von Volker Schlöndorff
Einen Namen machte sich Volker Schlöndorff vor allem mit Literaturverfilmungen. Sein Spielfilmdebüt „Der junge Törless“ nach einem Roman von Robert Musil war 1965 sehr erfolgreich. Dies gilt erst recht für die Verfilmung von Heinrich Bölls Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, die er 1975 zusammen mit seiner damaligen Frau Margarethe von Trotta realisierte. Politisch wurde das Regie-Duo von der Springerpresse als RAF-Sympathisanten diffamiert. International bekannt machte Schlöndorff schließlich sein Spielfilm „Die Blechtrommel“ nach dem Roman von Günther Grass. Damit gewann er 1979 eine Goldene Palme in Cannes und einen Oscar in der Kategorie bester fremdsprachiger Film. Es folgten „Die Fälschung“ (1981) nach dem Roman von Nicolas Born, „Homo Faber“ (1991) nach dem Roman von Max Frisch und mit „Rückkehr nach Montauk“ (2017) noch einmal ein von Max Frisch inspirierter Stoff.
Schöndorffs Liebe zu Frankreich und zum Frankophonen ist bekannt. Kein Wunder. Anfang der 1960er Jahre waren Regieassistenzen bei Louis Malle, Jean-Pierre Melville und Alain Resnais sein Einstieg ins Filmgeschäft. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde der Oscar-gekrönte Regisseur von 1992 bis 1997 Geschäftsführer des traditionsreichen Filmstudios Babelsberg, in dem heute regelmäßig Hollywood-Produktionen realisiert werden. Seit 1984 ist er Mitglied der Akademie der Künste und gehört zu den Gründungsmitgliedern sowohl der Deutschen Filmakademie als auch des Fördervereins der Murnau-Stiftung.
Dokumentarisch hatte er schon vor dem „Waldmacher“ produziert, aber eher in kurzer Form. Der Film über die Arbeit von Tony Rinaudo ist sein erster abendfüllender Dokumentarfilm.
Die DOK Premiere ist eine vom Haus des Dokumentarfilms kuratierte Filmreihe. Sie präsentiert einmal im Monat in Ludwigsburg und Stuttgart aktuelle Kinostarts von Dokumentarfilmen. Die jeweiligen Filmschaffenden sind für Werkstattgespräche mit dem Publikum vor Ort. Kuratoren sind Goggo Gensch (Stuttgart) und Kay Hoffmann (Ludwigsburg).
„Der Waldmacher“ von Volker Schlöndorff war am 1. Mai 2022 im Caligari Kino Ludwigsburg und im Atelier am Bollwerk Stuttgart zu sehen.