Bild zweier Männer vor einer Leinwand mit Mikrofon

British Pathé Award beim DOK.fest München

Zum ersten Mal wurde in diesem Jahr der British Pathé Award beim Münchner Dokumentarfilmfestival vergeben. Das Londoner Wochenschau Archiv stiftete dabei einen Preis speziell für Archiv- und Kompilationsfilme, die auf dem Medienmarkt seit Jahren an Bedeutung gewinnen. Entsprechend gesucht sind gerade für Produktionen zu historischen Themen rare Aufnahmen aus der Vergangenheit. Der Preis besteht aus Archivmaterial aus dem Pathé Archiv im Wert von 14.000 Euro oder alternativ 2.500 Euro in bar. Mit dem neuen Preis haben British Pathé und das DOK.forum sich zum Ziel gesetzt, Projekte, die mit lizensiertem Material arbeiten, zu fördern und damit dieses traditionsreiche dokumentarische Genre zu stärken. 

 Zur Jury gehörten Simon Witter (British Pathé), Claudia Engelhardt (Filmmuseum München), Andrea Bräu (BR, Redaktion Geschichte und Gesellschaft) und Kay Hoffmann (HDF). Ihnen wurden fünf sehr spannende Projekte von den Regiseur*Innen und Produzent*Innen vorgestellt. Nikolai Izolov hat sich darauf spezialisiert, Klassiker des sowjetischen Filmpioniers Dziga Vertov zu rekonstruieren. Beim DOK.fest lief die wiederhergestellte Fassung von Vertovs „Anniversary of the Revolution“ (1918/2018) mit Live-Musik-Begleitung. Bei der Recherche in russischen Archiven fand er auch Teile von Vertovs Film „Die Geschichte des Bürgerkrieges“, der als bisher als verschollen galt. Die Produzentin Linda Matern präsentierte das neue Rekonstruktionsprojekt. Die Erinnerung an den Krieg im Libanon ist dort ein Tabu und keiner spricht darüber. Die Libanesin Lana Daher stellte zusammen mit ihrem Produzenten Jasper Mielke ihr Projekt „Do you love me“ vor. Darin will sie mit Hilfe von Archivmaterial aus ihre persönliche Geschichte, den Einfluss populärer Musikgruppen und der Entwicklung des Libanons erzählen. Ein sehr vielversprechendes Projekt. In „Eastman“ wollen Miriam Jakobs und ihr Produzent Gerhard Schick aufmerksam machen auf die Geschichte des schwarzen und offen homosexuell lebenden Musikers Julius Eastman. Der New Yorker Avantgarde- und Jazzmusiker starb früh und drohte in Vergessenheit zu geraten. Inzwischen wurde er wiederentdeckt und erzielt mit seinen Kompositionen neue Aufmerksamkeit. Anhand der Kriege am Suezkanal 1956, in Vietnam und Irak wollen Aleksander Nikolic und sein Produzent Gregor Streiber der universelle Geschichte von Soldaten erzählen. Sie ziehen euphorisch in den Krieg, werden mit den Realitäten der Konflikte konfrontiert und kehren oft gebrochen daraus zurück. Dem Rechtsruck überall in Europa sollte man sich entgegenstellen. Dass dies möglich ist zeigt das Beispiel eines Juristen der Weimarer Republik, der sich als einziger nicht auf Hitler hat vereidigen lassen. So verknüpft „Wenn der Nebel sich lichtet“ von Nancy Brandt die Historie mit aktuellen Entwicklungen. Realisiert werden soll es mit historischem und aktuellem Material und animierten Sequenzen, die einen spezifischen Stil haben. Der Produzent Ralf Kukula bringt viel Erfahrung mit solchen AnimaDoc Produktionen mit. Letztlich überzeugte die Jury dies Projekt und die professionelle Präsentation von Nancy Brandt. Sie ist die erste Gewinnerin des neuen British Pathé Preises. 

Im Programm des DOK.fest lief mit „My unknown Soldier“ von Anna Kryvenko eine Collage über den Krieg, die Propaganda und die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. Der Großonkel der Regisseurin war als Panzerfahrer an der sowjetischen Invasion in Prag beteiligt, kam gebrochen zurück und beging bald Selbstmord. Aus den Fotos in den Alben wurde er herausgeschnitten und es war ein Tabu, über ihn zu sprechen. Die Regisseurin geht diesem Familiengeheimnis nach und hat außergewöhnliche Aufnahmen aus Prag gefunden. Nur ihr Bogen zur Expansionspolitik Russland heute und die Besetzung der Krim ist nicht ganz überzeugend. Von den großen Idealen des Fußballs als völkerverbindendem Sport – die im kommerziellen Fußball längst droht verloren zu gehen – erzählt „Spirit of the Ball“ von Murad Abu Eisheh. Das Roadmovie begleitet eine Gruppe von Fußballenthusiasten auf dem Weg zur WM in Moskau von England quer durch Europa nach Jordanien und von dort nach Moskau. Sie besuchen verschiedene Camps und Aktive der Organisation, wobei deren Arbeit bei den kurzen Besuchen nicht ganz deutlich werden. Ein Film für Fußballfans, die den alten Idealen nachtrauern. 

Mit dem zum Teil kuriosen Verhältnis der Menschen zur Tierwelt beschäftigt sich Jonas Spriestersbach in „Tiere“, einem Abschlussfilm an der HFF München. Eigentlich wollte er die Tier gar nicht zeigen, aber am Ende haben sie sich doch in den Film eingeschmuggelt. Ihm gelingt eine große Nähe zu seinen Protagonisten, die sich ihm regelrecht offenbaren mit ihrer Liebe zu ihren Tieren. Das ist auch Stärke von Lena Leonhardt, die sich in ihren Filmen mit verschiedenen Aspekten des Verhältnisses von Menschen und Tieren beschäftigt. Ihr neuer Film „Höhenflüge“ beschäftigt sich mit Brieftauben. Dabei kontrastiert sie traditionelle Vereine im Ruhrgebiet, lange die Hochburg dieses Sports, mit einem äußerst erfolgreichen Züchter aus Pforzheim, der den internationalen Markt für sich entdeckt hat. Er liefert nach Dubai ebenso wie nach China und erzielt Traumpreise bis zu einigen Hunderttausend Euro für seine besten Tauben. Dort kann man auf die Flüge mit Millionenbeiträgen wetten und es ist ein profitabler Markt entstanden. Der Film zeigt, wie die Globalisierung und Kommerzialisierung einen klassischen Arbeitersport verändert hat – weitgehend ohne dass dies von irgendjemand bemerkt worden wäre.

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Picture of Kay Hoffmann
Dr. Kay Hoffmann war langjähriger Studienleiter Wissenschaft im HDF und Gesamtkoordinator des DFG-Projekts „Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland 1945-2005“. Zusätzlich war er bis Mai 2024 Kurator der DOK Premieren in Ludwigsburg.
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