Indisches Filmfestival Stuttgart: Preis für „Writing With Fire“

Erneut ist „Writing With Fire“ bei einer Preisverleihung erfolgreich. Die Doku-Jury des Indischen Filmfestivals würdigt den Film als „spannendes Zeitdokument“ mit „atmosphärisch dichten Szenen“. Sushmit Ghosh und Rintu Thomas erhalten einen German Star of India.

German Star of India für „Writing With Fire“

Die Washington Post nennt „Writing With Fire“ den „vielleicht inspirierendsten Film über Journalismus, der jemals gedreht wurde“. Das mag blumig-überzeichnet klingen, ist aber gar nicht mal allzu dick aufgetragen. Denn der 2021 für den Oscar nominierte Dokumentarfilm hat zahlreiche Stärken und regt auch jenseits seines Kernthemas Journalismus zum Diskutieren an. Das hat ihm in der Vergangenheit mehrere Preise u. a. beim Sundance Film Festival, dem Belfast Film Festival und dem Bergen International Film Festival (BIFF) eingebracht.

https://youtu.be/nzyWNOkKnJg

Beim Indischen Filmfestival Stuttgart läuft der diesjährige Gewinner des German Star of India (Kategorie „Dokumentarfilm“) im bestens besuchten Gloria Innenstadtkino. Die etwas ungewöhnliche Platzierung im Rahmen des Schulkino-Tages am frühen Donnerstagsvormittag stellt sich dabei als Glücksgriff heraus. Die Jugendlichen sind sehr engagiert und interessiert beim anschließenden Filmtalk mit Kameramann Karan Thapliyal.

Starker Dokumentarfilm über Journalismus – und so viel mehr

Wenn Sushmit Ghosh und Rintu Thomas die Frauen der indischen Zeitung Khabar Lahariya mit der Kamera begleiten, ist das weit mehr als ein klassischer „Reporter-Film“, der Journalist:innen bei der Arbeit zeigt. Wenn das Regie-Duo filmisch transportiert, wie das Printmedium den Schritt ins Online-Geschäft wagt, um seine Reichweiten zu erhöhen, ist das keine reine Schilderung eines digitalen Transformationsprozesses. Themen, die zum Nachdenken und -fragen anregen, gibt es in „Writing With Fire“ noch viele mehr. Darunter sind verschiedene Facetten der Emanzipation (Ablösung des hinduistischen Kastenwesens; die Rolle der Frau; die Positionierung Land- vs. Stadtbevölkerung etc.), der Wert von Bildung oder die Bedeutung von Meinungs- und Pressefreiheit für eine demokratische Grundordnung.

Khabar Lahariya: Stimme der Vergessenen und Unterdrückten

Filmplakat von „Writing With Fire“ © Black Ticket Films
Filmplakat © Black Ticket Films

Die Mitarbeiterinnen bei Khabar Lahariya entstammen mehrheitlich der niedrigsten Hindu-Kaste der Dalit. Als sogenannte „Unberührbare“ werden sie gerade in ländlichen Regionen aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Mädchen und Frauen werden hier oft Opfer sexualisierter Gewalt. Ihre Männer werden in illegalen Jobs ausgebeutet oder gar getötet. Die Kinder wachsen in einfachsten, bildungsfernen Verhältnissen auf.

Passiert nichts, wie der lange versprochene Anschluss von Strom oder sanitären Anlagen in den entlegenen Dörfern, ist es den Verantwortlichen schlicht egal. Passiert etwas, wie die zahlreich im Film „Writing With Fire“ thematisierten Übergriffe, ist das Auge des Gesetzes blind. Dagegen setzt Khabar Lahariya ein wichtiges Zeichen: „Wir sehen und hören euch – und wir machen uns für euch stark!“ Mit dem Smartphone in der Hand und dem unerschütterlichen Willen, sich als kritische Stimme für die Vergessenen und Unterdrückten im Land einzusetzen, bewegen diese Frauen viel. Vergewaltigungsfälle und Tötungsdelikte werden plötzlich doch von der Polizei bearbeitet. Unbefahrbare Straßen nach ewigen Hin und Her saniert. Politiker ihrer gehaltlosen PR-Phrasen überführt. Der Handy-Kamera sei Dank.

Organisches Wachstum mit Geschichten aus dem Hinterland

„Sie finden und bringen diese Stories, die in den Mainstream-Medien gar nicht stattfinden“, umreißt es Karan Thapliyal beim Filmgespräch. „Das tun sie nicht wegen des Geldes. Es ist ihr Weg, zurückzuschlagen.“ Ihre stärkste Waffe im Kampf gegen Ungerechtigkeit, Korruption und religiösen Fanatismus ist genau jener Journalismus, der unbequeme Fragen stellt, nachbohrt, dranbleibt. Das zahlt sich immer mehr aus. Mittlerweile hat der YouTube Channel von Khabar Lahariya allein durch organisches Wachstum über eine halbe Millionen Abonnent:innen und Millionen von Klicks generiert.

Gesellschaft im Wandel

 Kameramann Karan Thapliyal beim Filmtalk © Elisa Reznicek/HDF
Kameramann Karan Thapliyal beim Filmtalk © Elisa Reznicek/HDF

Gegen den Strom zu schwimmen, liegt Chefreporterin Meera Devi und ihrem Team offenbar im Blut. Die Frauen von Khabar Lahariya arbeiten mehrheitlich gegen den Willen ihrer Männer, Väter, Familie. Anstatt sich um Heim und Hof zu kümmern, „wie es sich gehört“, haben sie sich so weit wie möglich emanzipiert von patriarchalen und religiösen Strukturen, die in Indien noch immer tief verankert scheinen. Das ist alles andere als leicht, wie „Writing With Fire“ eindringlich darstellt, aber auch dringend notwendig für eine Gesellschaft im Wandel. Ein wichtiges Hilfsmittel dafür ist die leicht und vergleichsweise günstig zugängliche Technik, die den Journalist:innen ein kleines Stück Freiheit und Unabhängigkeit schenkt.

„Welche Privilegien wir gerade als Stadtmenschen haben und für wie selbstverständlich wir sie halten, ist mir erst während unserer filmischen Reise so richtig klar geworden“, betont Karan Thapliyal, der mit Regisseur Sushmit Ghosh und Regisseurin Rintu Thomas vier Jahre gedreht hat. „Die größte Herausforderung war für uns, dass wir unsichtbar im Hintergrund bleiben und die Arbeit von Khabar Lahariya nicht durch unsere Anwesenheit stören.“ Dafür habe man viel Abstand gehalten und respektiert, wenn die Ansage kam, dass dieses oder jenes eben nicht gefilmt werden solle.

Indischer Festival-Liebling lief ausgerechnet noch nicht in Indien

In Indien lief „Writing With Fire“, der sich nach seiner Weltpremiere beim Sundance 2021 zu einem echten Festival-Liebling gemausert hat, übrigens noch nicht. „Wir haben dort bislang keine Anfragen und niemand, der ihn zeigen will“, erklärt Karan Thapliyal etwas geknickt, als die obligatorische Frage nach der Wahrnehmung im eigenen Land kommt. Man kann nur hoffen, dass sich das bald ändert und der Film zeitnah möglichst vielen Menschen weltweit (z. B. als Stream) zugänglich gemacht wird.


Programmheft Indisches Filmfestival 2022 Stuttgart © Elisa Reznicek/HDF

+++ Info +++ 

Das Indische Filmfestival (IFF) gehört zu den größten Festivals des indischen Films außerhalb des Subkontinents. Es fand vom 20. bis 24. Juli 2022 in den Innenstadtkinos Stuttgart statt. Gezeigt und ausgezeichnet wurden Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme.

Alle Gewinner des „German Star of India 2022“ sind auf der Homepage des IFF zu finden.