So war die DOK Premiere von „Wettermacher”
Eisige Kälte. Menschenfeindliche Lebensbedingungen. Auf der Wetterstation am Polarmeer arbeiten Alex, Sascha und Wladimir, die Stanisław Mucha mit der Kamera begleitet hat. Bei der DOK Premiere vom Haus des Dokumentarfilms berichtet er vom Dreh.
„Wettermacher” erzählt die Geschichte dreier Meteorlog:innen in einer abgelegenen Wetterstation in der Siedlung „Chodowaricha” am russischen Polarmeer. Der ehemalige Berufssoldat Alex, seine Frau Sascha und der Chef der Station, Wladimir, arbeiten und leben zu dritt mit ihrem Hund Jack an diesem kalten, lebensfeindlichen Ort. Dort beobachten sie Tag und Nacht das Wetter und führen Messungen durch, die auch einen Einfluss auf unsere Wettervorhersagen haben. Ihre Ergebnisse senden sie regelmäßig nach Moskau, wo die Daten ausgewertet werden.
Film-Idee von einem russischen Offizier
Im Gespräch mit DOK Premiere Kurator und Moderator Goggo Gensch erzählt Stanisław Mucha von der Idee für „Wettermacher”. Bei den Dreharbeiten zu seinem Werk „Kolyma – Straße der Knochen” lernt Mucha einen russischen Offizier kennen. Dieser erzählt dem Filmemacher von seinem Freund, der seit 21 Jahren auf der Wetterstation in Chodowaricha arbeitet. Mucha berichtet dem Publikum von seinen Recherchen und wie er die Geldgeber:innen von seiner Idee überzeugen konnte. Schließlich gewinnt er den Freund des Offiziers als Protagonisten für sein neues Projekt.
Doch dann kommt alles anders. Nachdem Stanisław Mucha die Drehgenehmigung für die Wetterstation eingeholt und die Gelder für seine Produktion gesammelt hat, begibt sich der Regisseur zum Drehort. Als er dort ankommt, erkennt er seinen Protagonisten nicht mehr wieder. „Er war ein menschliches Wrack und wartete auf die Abreise in die Psychiatrie – wo er sich jetzt noch befindet”, sagt Mucha. Später erklärt der Regisseur: „Kaum einer erträgt es dort. Der Meteorologe, der es da so lange ausgehalten hat, ist eine absolute Ausnahme.”
Stanisław Mucha (links) bei der DOK Premiere im Gespräch mit Kurator Goggo Gensch vom Haus des Dokumentarfilms. © Günther Ahner/HDF
Auch die Meteorolog:innen, die mit dem Mann zusammengearbeitet haben, sind nicht mehr da. Angedeutet wird ein Mord, der sich in der Station ereignet und dafür gesorgt hat, dass ein neues Team die Arbeit fortführen muss. Mucha hätte seine Idee verwerfen können, stattdessen dreht er mit neuen Protagonist:innen. Das Ehepaar Alex und Sascha sowie der neue Chef der Wetterstation, Wladimir, sind von nun an die Wettermacher:innen.
Dreharbeiten unter Extrembedingungen
Stanisław Mucha reist nur mit seiner Assistentin und seinem Kameramann an. Mehr als drei Monate leben sie mit auf der Wetterstation.
Mucha fällt im Zuge seiner Recherche auf, dass er und seine Crew nicht in der Überzahl sein dürfen. Er weiß, dass er sein Team abbauen muss, und er entschließt sich deshalb dazu, selbst den Ton für die Aufnahmen zu machen.
Mit Beginn der Dreharbeiten leben die drei Dokumentarfilmschaffenden und die drei hauptberuflichen Meteorolog:innen auf engstem Raum zusammen. Der einzige Mensch in näherer Umgebung ist Nachbar Wassili, der in einem stillgelegten Leuchtturm wohnt.
https://youtu.be/771g3PafjWU
In dem kalten lebensfeindlichen Gebiet um den Leuchtturm, müssen Mucha, seine Assistentin und sein Kameramann mithelfen, damit es warm ist: „Ich habe aus Verzweiflung meine Schuhe verbrannt. Es wollte einfach nichts brennen dort, aber das hat dann richtig gebrannt”. Im Winter herrschen in Chodowaricha bis zu –28 Grad Celsius.
Als der Polarsturm kommt, verschwindet die Landschaft im weißen Nichts. Man kann kaum mehr etwas sehen und auch Eisbären sind eine Bedrohung: Ihre Lebensräume schrumpfen aufgrund des Klimawandels. Als Mucha Aufnahmen vom Schneesturm machen will, kettet er seinen Kameramann an eine Wäscheleine und lässt ihn hinausgehen. „Da gibt es keine Orientierung, da würde man nicht mehr zurückfinden”, sagt er. Es ist schwierig sich in der unübersichtlichen Schneelandschaft zurechtzufinden. Dies und auch ein potentieller Angriff durch Eisbären, verhindern, dass das Team ohne spezielle Sicherheitsvorkehrungen vor die Tür gehen kann.
Falls sich doch jemand nach draußen wagt, sind nicht nur die Meteorolog:innen, sondern auch die Crew mit Gewehren bewaffnet.
Leid und Leben der Protagonist:innen
Muchas Protagonist:innen sind sowohl skurril als auch tragisch zugleich. Jede:r von ihnen bringt eine ganz eigene, persönliche Geschichte mit, die von Leid und Kummer geprägt ist. Sie alle sind geflüchtet vor ihren Traumata, vor ihrem realen Leben, in dem nicht mehr viel Gutes auf sie wartet. Auch das Geld hat sie an diesen einsamen Ort gelockt. Der Regisseur bestätigt bei der DOK Premiere im Delphi Arthaus Kino Stuttgart, dass die Wettermacher:innen sogar für westliche Verhältnisse „gut” verdienen. Aber wie hoch ist der Preis, den sie für ihren Dienst zahlen?
Deutlich wird: Es herrscht ein gewisser Wahnsinn in „Chodowaricha”. Übersetzt bedeutet das so viel wie „Gang des Verrückten”. Der Ort ist allen russischen Meteorolog:innen ein Begriff: Er gilt als freiwilliges Arbeitslager. Allein diese Tatsache und der Mordfall, der sich hier offenbar ereignet hat, spiegeln wider, wie schwer das Leben und Arbeiten unter solch widrigen Bedingungen sind.
Auch zwischen Alex, Sascha und Wladimir gibt es Spannungen. Als Alex sich aufgrund von Zahnschmerzen für zwei Wochen in die Zivilisation zur Behandlung begibt, passiert etwas, das die Stimmung zwischen den dreien gänzlich verändert. Kurz darauf verschwindet Wladimir urplötzlich. Zurück bleibt das Ehepaar, das der Arbeit von nun an zu zweit nachgeht. Als im Sommer das Versorgungsschiff nach Chodowaricha kommt, kehrt auch der ehemalige Chef Wladimir unverhofft zurück.
Seltsame Verhaltensweisen
Das Verhalten der Protagonist:innen mit der Kamera einzufangen, sei eine Herausforderung gewesen, erfährt das Publikum der DOK Premiere. Mucha erzählt, dass er es noch nie erlebt habe, dass Menschen, die sowohl fotogen sind als auch die Nähe der Kamera zulassen und ertragen, so wenig mit ihm sprechen und kommunizieren würden. Die Wettermacher:innen sind wortkarg gegenüber den Filmschaffenden – gegenüber sich selbst sind sie jedoch äußerst gesprächig. Selbstgespräche sind normal und gehören zur Tagesordnung in der Wetterstation. Bei den Dreharbeiten mit Nachbar Wassili am Leuchtturm, fragt dieser plötzlich, ob sie nun endlich fertig seien, damit er wieder mit sich selbst reden könne.
Das Publikum ist begeistert von „Wettermacher” und stellt dem Filmemacher tiefgreifende Fragen © Günther Ahner/HDF
Auch Mucha selbst merkt, dass sich sein eigenes Verhalten und das seiner Mitarbeiter:innen bereits nach einer Woche verändert, fast schon merkwürdig wird. „Wenn jemand aus dem Filmteam anfing mit sich selbst zu reden, haben die anderen eingegriffen”, erzählt Mucha.
Ebenso problematisch sind Veränderungen der sinnlichen Wahrnehmung. „Wenn man in das weiße Nichts guckt, verändern sich die Augen, es verändert sich auch das Riechen, es wird alles sehr reduziert, Farben sieht man kaum”, so Mucha. „Man ist dankbar, wenn man mal ein Stück Farbe sieht.”
Von der Angst zu sterben
Ob die Meteorolog:innen am sibirischen Polarmeer eine gemeinsame Charaktereigenschaft haben, möchte jemand aus dem Kinopublikum wissen. Stanisław Mucha antwortet, dass ihm in Bezug auf Sascha, Alex und Wladimir aufgefallen sei, dass die russischen Meteorolog:innen in der Wetterstation einiges können müssen, um zu überleben. „Ich konnte es kaum fassen, dass sie ständig alles andere außer Meteorologie gemacht haben”, erklärt Mucha. Es sei eine Kunstfertigkeit Feuer entzünden oder Schießen zu können. Allein die Lebens- und Arbeitsweise in der völligen Abgeschiedenheit macht die Meteorolog:innen auf eine skurrile Art und Weise besonders und ihre Verhaltensweisen unvorhersehbar.
Stanisław Mucha gesteht, dass er und seine Kolleg:innen oft Angst davor hatten zu sterben. Neben Eisbären und der eisigen Kälte war es das oft unberechenbare Verhalten der Wettermacher:innen, das der Filmcrew zusetzte. „Die Angst wegen Leichtsinnigkeit zu Sterben war groß”, berichtet Mucha. Als er und sein Kameramann mit Alex im Schneemobil rausfahren, zündet dieser sich mit einem Leuchtfeuer die Zigarette an. Der Regisseur offenbart dem Publikum: „Also das fand ich gar nicht lustig. Wir sind so weit weg von der Station und die einzige Waffe, die wir gegen die Eisbären mitgenommen haben, nimmt er als Feuer, weil er seine Streichhölzer vergessen hat.”
Endlose Weiten
Stanisław Mucha und sein Team haben den Film in CinemaScope gedreht. Das Breitbildformat habe sich deshalb angeboten, da man damit viel Landschaft einfangen kann. DOK Premiere Kurator und Moderator Goggo Gensch bemerkt anerkennend, dass es Mucha so gelungen sei, die Einsamkeit noch sichtbarer zu machen. Ein Urteil, dem sich das Publikum der DOK Premiere gerne anschließt.
Die DOK Premiere ist eine vom Haus des Dokumentarfilms kuratierte Filmreihe. Sie präsentiert einmal im Monat in Ludwigsburg und Stuttgart aktuelle Kinostarts von Dokumentarfilmen. Die jeweiligen Regisseur:innen sind für Werkstattgespräche mit dem Publikum vor Ort. Kuratoren sind Goggo Gensch (Stuttgart) und Kay Hoffmann (Ludwigsburg).
„Wettermacher“ von Stanisław Mucha ist eine Produktion von Zinnober Film GmbH, B & T Film GmbH, Strandfilm Productions GmbH im Verleih von W-Film. „Wettermacher“ war am 16. August 2022 im Delphi Arthaus Kino Stuttgart zu sehen.