»FACE_It!«
Die zunehmende Kontrolle mit flächendeckender Video-Überwachung gekoppelt mit automatischer Gesichtserkennung ist ein höchst aktuelles Thema. Immer, wenn etwas Unkontrolliertes passiert oder die Angst vor Terroranschlägen wächst, werden Forderungen nach einer Intensivierung der staatlichen Überwachung laut. Viele sehen dies völlig unkritisch im Zeichen der Sicherheit. Andere hatten schon vor der Digitalisierung in den 1970er und 1980er genau davor gewarnt. Erinnert sei nur an den Widerstand bei der Volkszählung.
»FACE_It!« ist der neue Dokumentarfilm des Videopioniers Gerd Conradt, der schon damals politisch aktiv war. Er startet einen Diskurs zur Codierung des Gesichts, die als moderner Fingerabdruck wie ein geheimnisvolles Siegel den Zugang zur Persönlichkeit eines Menschen verspricht. Angeregt von dem ‚Pilotprojekt‘ zur digitalen Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz, spürt er der Bedeutung des Gesichts im digitalen Zeitalter nach. Mit Hilfe des Facial Action Coding System (FACS) soll es dort möglich werden, die Geheimnisse des Gesichts zu entschlüsseln. Die Bundespolizei erprobte in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn dies Verfahren zur digitalen Gesichtserkennung. Das Pilotprojekt mit 300 freiwilligen Testpersonen bildet in »FACE_It!« den Hintergrund für kulturhistorische Betrachtungen über die Geschichte des Gesichtes und dessen künstlerische Sichtbarmachung.
Der Film lässt Kritiker der Überwachung durch digitale Gesichtserkennung zu Wort kommen. Conradt trifft Datenschützer, Künstler, einen Medienrebellen, eine Kunsthistorikerin, die Staatsministerin für Digitalisierung. Am Modell der Nofretete tastet ein blinder Mann das »schönste Gesicht der Welt« ab. Der Regisseur stellt einen Human Decoder vor, der das populäre FACS anwendet und stellt die Frage, ob diese Systematik die Gefahr birgt, dass der nicht endende mimische Austausch von Gesicht zu Gesicht zu ausdrucks- und geschichtslosen FACES reduziert wird, zu Wesen immerwährender alters- und geschlechtsloser Gegenwärtigkeit.
Conradt arbeitet mit einer bestimmten Inszenierung der Interviewsituationen, die er schon in anderen seiner Filme erprobt hat. Seine Protagonisten werden mit den gleichen Videoclips konfrontiert, in denen das Gesicht als Kunstwerk verhandelt wird. Er sitzt den einzelnen Personen gegenüber. Zwischen ihnen stehen Monitore. Alle sehen und kommentieren die gleichen Dokumente. Auf einem der Kamera zugewandten Monitor verfolgen wir, was die Menschen sehen und erleben, wie sie auf das Gezeigte reagieren. Die Kamera pendelt zwischen dem Monitor und ihrem Gesicht.
Gerd Conradt zum Kern seines Dokumentarfilms: »Es gibt acht Milliarden Gesichter auf der Welt, jedes ist einmalig, unverwechselbar – unique. Das Gesicht ist der sichtbarste und ungeschützteste Teil unseres Körpers – es ist öffentlich. Man sagt, das Gesicht sei der Spiegel der Seele. Wenn die Individualität eines Gesichtes von einem Code gelesen und von Algorithmen zu verwertbaren Informationen aufbereitet wird, stellen diese Daten eine Ressource dar, deren Besitz zu Macht von bisher ungeahntem Ausmaß führen könnte.« Wem gehört also letztlich das zum Zahlencode gewordene Gesicht?