»The Whale and the Raven«

Die Faszination der Wale und ihrer Gesänge steht im Mittelpunkt des bildgewaltigen Dokumentarfilms von Mirjam Leuze. Seit 15 Jahren beobachten die beiden engagierten Walforscher Janie Wray und Hermann Meuter das Verhalten der Wale an der kanadischen Westküste in British Columbia. Sie zeichnen ihre Walgesänge auf, mit denen sich die Tiere auf eine Distanz bis zu 1.000 Kilometer verständigen können. Außerdem identifizieren sie die Tiere eindeutig mit Fotos ihrer Flossen, um die Wal Familien über Jahre zu beobachten und ihr Verhalten besser zu verstehen. Die Forscher sind fest davon überzeugt, dass Wale Individuen sind mit der Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und Intelligenz. Deshalb arbeiten sie mit zahlreichen Helfern und Unterstützern daran, dies Gebiete zu einer Schutzzone zu erklären. Doch ihr Lebensraum in Kanada ist durch die industrielle Nutzung der Gewässer massiv bedroht. 


Etwa 70 Meilen entfernt von ihrer Beobachtungsstation liegt die kleine Küstenstadt Kitimat. Hier wird eine gigantische Exportanlage für Flüssiggas (LNG) geplant, das auf Supertankern nach Asien gebracht werden soll. Was die Tankerroute für die Wale bedeuten wird, ist nicht absehbar. Es ist jedoch zu befürchten, dass der von den Tankern verursachte Lärm die Kommunikation der Wale erheblich stören wird. Schon heute sind einige gekennzeichnet von Wunden, die von Begegnungen mit Schiffen stammen. In den vergangenen 40 Jahren hat sich der Lärm im Meer alle zehn Jahre verdoppelt. 

Die Gitga’at First Nation haben eine besondere Beziehung zu den Walen. Die Ureinwohner dieser Region erzählen sich poetische Märchen über ihr Verhältnis zu den majestätischen Meeressäugern. Diese Mythologien werden im Film kunstvoll animiert. Und doch haben sie sich nach zehnjährigem Kampf gegen eine Pipeline auf ihrem Gebiet dem Druck von Industrie und Regierung gebeugt und zugestimmt, dass zukünftig Hunderte von Supertankern durch die Fjorde ihres Territoriums fahren dürfen. 

Der Film entstand in enger Abstimmung mit dem Stamm. Die Regisseurin Mirjam Leuze hat Ethnologie studiert und war sich der Ausbeutung durch Ethnologen und Weiße durchaus bewusst und wollte dies für ihr Projekt unbedingt vermeiden. Die Verhandlungen zogen sich über 14 Monate, bis die Dreharbeiten möglich wurden. Leuze ist davon überzeugt, „dass wir, um die Komplexität und Vieldeutigkeit unserer heutigen Welt zu verstehen, mehr Geschichten erzählen müssen, die sowohl menschliche als auch nicht-menschliche Blickwinkel repräsentieren“. 

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In dieser Region steht die industrielle Nutzbarmachung des Meeres gegen das Meer als Lebensraum der Tiere, den es langfristig zu erhalten gilt. Doch Mirjam Leuze verzichtet auf eine kämpferische Darstellung und Polemiken gegen die böse Industrie und ihrer Naturzerstörung. Obwohl sie die Kritikpunkte durch ihre Protagonisten ansprechen lässt, wählt sie eher die stille, fast meditative Form, dass wir im Einklang mit der Natur leben und ihr auch Freiräume bewahren sollten. Gerade die Stille und die spektakulären Bilder machen diesen Film zu einem besonderen Kino-Erlebnis. In ihrem eindrücklichen Dokumentarfilm wirft die Regisseurin die Frage auf, ob wir Menschen das Recht haben, die Welt ausschließlich nach unseren Bedürfnissen zu formen.