So war die DOK Premiere von „Komm mit mir in das Cinema. Die Gregors.“
Alice Agneskirchners neuer Film macht Mut, Kino zu machen und Mut, außergewöhnliche Werke zu zeigen. Bei der DOK Premiere vom Haus des Dokumentarfilms sprach sie über die besondere Zusammenarbeit mit den cinephilen Urgesteinen Erika und Ulrich Gregor.
Zwei Leben für den Film
Die Gregors haben das gemacht, wofür sie leben. In Berlin zeigten sie seit ihrer Zeit als Studierende anspruchsvolle Filme, die ansonsten in der BRD nirgendwo zu sehen waren. Sie gründeten das Kino Arsenal und bespielten seit 1970 die neu gegründete Berlinale-Sektion „Internationales Forum für jungen Film“. Ohne ihr Zutun wäre das Festival nicht das, was es heute ist. Nach einem regen Berufsleben mit tausenden Büchern und zehntausenden Filmen strahlen sie eine bewundernswerte Ruhe aus.
Das Publikum der DOK Premiere zeigte aufrichtige Bewunderung für den Dokumentarfilm „Die Gregors. Komm mit mir in das Cinema.“, dem es gelingt, ein in Würde gealtertes Ehepaar zu porträtieren. Regisseurin Alice Agneskirchner sah es als ihre Aufgabe an, neben ihrem Verdienst für den Film in Deutschland auch den Zusammenhalt der beiden herauszuarbeiten, wie sie im anschließenden Filmgespräch erläutert: „Es war sicherlich sehr wichtig, dass sie in ihrer aktiven Zeit immer zu zweit gearbeitet haben. Ich glaube, einer allein, egal an welcher Position in diesem Filmgetriebe, hätte das so nicht durchgehalten. Insofern passt der Titel ‚Die Gregors‘ sehr gut.“
Alice Agneskirchner bei der DOK Premiere im Gespräch mit Kurator Goggo Gensch vom Haus des Dokumentarfilms. © Günther Ahner (links) und Kay Hoffmann (rechts)
Dreharbeiten erforderten Ausdauer
Erika und Ulrich Gregor haben viele Anekdoten aus ihrer aktiven Zeit zu berichten, was die Geduld der Filmemacherin herausforderte: „Sie bestehen auch immer darauf, dass man die Geschichten so lange erzählt, wie sie dauern. Also abkürzen kann man da nichts.“ Außerdem beharrte ihr Kameramann Jan Kerhart darauf, die Eheleute in ihrer kleinen, heimelig anmutenden Küche aufwendig auszuleuchten: „Ich bin teilweise fast wahnsinnig geworden, weil der Aufbau so lange dauerte. Bis dahin musste ich die Gregors immer davon abhalten, die Geschichten, die ich eigentlich für die Kamera haben will, schon im Vorfeld zu erzählen. Aber es hat sich gelohnt: Die Gregors sehen großartig aus.“
Eine weitere Herausforderung beim Dreh bestand in den Auflagen, die die Corona-Pandemie verlangte. Jeden Tag musste eine Ärztin das gesamte Team PCR-testen. Auf der anderen Seite wurde der Film in den Augen Agneskirchners dadurch erst ermöglicht: „Alle waren da, keiner ist verreist.“
Aufwendige Materialbeschaffung
Es fiel der Filmemacherin leicht, an die vielen Statements von Filmschaffenden, darunter beispielsweise Jim Jarmusch, zu gelangen: „Er verdankt den Gregors einiges, alle verdanken ihnen etwas.“
Viel Zeit hingegen floss in die Suche von passenden Filmausschnitten sowie historischen Bildern. Vorbereitend sichtete die Regisseurin an die 200 Filme und damit nur einen Bruchteil all der Werke, welche die Gregors in ihrer aktiven Zeit im hauseigenen Arsenal-Kino zeigten. Manchmal überkam sie dabei das schlechte Gewissen, weil es eigentlich vieles für die Drehabreiten zu tun gab. Dann erinnerte sie sich an Ralf Schenk, den ehemaligen Leiter der DEFA-Stiftung, der zu ihr sagte: „Du hast das Privileg, ein Filmseminar ganz für dich allein zu machen. Genieß das doch!“
Für das begleitende Bildmaterial griff Agneskirchner hauptsächlich auf die Fernseharchive der beiden Koproduktionspartner RBB und WDR zurück: „Zig Fotokisten kamen auch von den Gregors und da musste man dann herausfinden, wer alles auf den Fotos abgebildet ist.“ Agneskirchner selbst traf daraus eine Vorauswahl, ist ihrer Editorin Silke Botsch jedoch sehr dankbar für deren gutes Gespür: „Sie trifft ihre Entscheidungen so, dass es einen Fluss ergibt. Und dieser Fluss, der ist dann auch irgendwie ein Geheimnis.“
https://www.youtube.com/watch?v=sXemvL5mk7A
Kürzen unmöglich
Die Reaktionen des Publikums bei der Weltpremiere auf der Berlinale 2022 waren positiv, auch wenn der Film mit über 2,5 Stunden eine stattliche Länge vorweist. Agneskirchner folgt darin chronologisch der umfangreichen Lebensgeschichte der Gregors: „Sie waren während der Nazizeit noch Kinder und erlebten den Zweiten Weltkrieg mit. Hinterher mussten sie sich dann entscheiden: ‚Wie gehe ich damit um, dass ich das alles erlebt und gleichzeitig das Verschweigen so vieler Dinge beobachtet habe. Wie positioniere ich mich?‘ Für die Gregors war das ein Antrieb, mit Film andere Lebenswelten zu zeigen. Das darf hier nicht fehlen.“
Das Publikum ist begeistert von „Komm mit mir in das Cinema. Die Gregors.” und stellt der Filmemacherin nach der Vorstellung weitere Fragen © Günther Ahner/HDF
Im Dokumentarfilm ist alles möglich
Erikas Vater wurde in den letzten Kriegsjahren eingezogen und trug seiner zwölfjährigen Tochter unmittelbar vor seiner Abreise auf, sich um die Familie zu kümmern, sollte er im Krieg blieben. So kam es dann auch. Dass Erika ihr persönliches Schicksal bei den Dreharbeiten so bereitwillig erzählt hat, war ein unverhoffter Glücksfall für die Regisseurin: „So etwas kann man nicht planen. Das ist ja das Besondere am Dokumentarfilm. Wenn ich mir das nicht zutrauen würde, dann könnte ich so ein Projekt nicht machen. Ich gehe einfach davon aus, dass so etwas möglich ist.“
In einem Interview mit der Annahme konfrontiert, das Kino habe doch überhaupt keine Zukunft mehr, sagte Ulrich Gregor: „Das kann man schon denken, aber man darf es nicht glauben.” Der Film „Komm mit mir in das Cinema. Die Gregors.“ macht Lust, zu einer nachfolgenden Generation von kinoverrückten Enthusiat:innen zu gehören.
Die DOK Premiere ist eine vom Haus des Dokumentarfilms kuratierte Filmreihe. Sie präsentiert einmal im Monat in Ludwigsburg und Stuttgart aktuelle Kinostarts von Dokumentarfilmen. Die jeweiligen Regisseur:innen sind für Werkstattgespräche mit dem Publikum vor Ort. Kuratoren sind Goggo Gensch (Stuttgart) und Kay Hoffmann (Ludwigsburg).
Alice Agneskirchners „Komm mit mir in das Cinema. Die Gregors.“ (Agneskirchner & Ehlermann Filmproduktion in Kooperation mit RBB und WDR) war am 6. September 2022 im Arthaus Kino Delphi Stuttgart zu sehen. Durch Abend und Talk führte Goggo Gensch. Am 7. September 2022 war er im Caligari in Ludwigsburg zu sehen. Hier moderierte Kay Hoffmann vom Haus des Dokumentarfilms.