Eine Woche volles DOK-Programm verspricht das 62. Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm. Es wurden dafür rund 3.000 Filme gesichtet und davon 161 aktuelle Produktionen für die verschiedenen Sektionen ausgewählt, die in der Regel ihre Weltpremiere, internationale, europäische oder deutsche Uraufführung haben. Insgesamt werden in den Leipziger Festivalkinos 310 Filme und interaktive aus 63 Ländern gezeigt.
In den Wettbewerben konkurrieren sie um 24 Preise mit einer Rekordsumme von insgesamt 82.000 €; hinzu kommen Sachleistungen im Wert von 11.000 €. Für Festivalleiterin Leena Pasanen ist es nach fünf Jahren die letzte Ausgabe des Festivals und sie stellt fest: »Die Diversität, die wir durch unsere Filmauswahl nach Leipzig bringen können – auch in Form von Themen-Vielfalt und vielschichtigen Perspektiven – ist ein Qualitätsmerkmal. Es geht uns aber nicht um Diversität um ihrer selbst willen. Unser Hauptaugenmerk liegt auf der künstlerischen Qualität der Dokumentar- und Animationsfilme.« Ein besonderes Augenmerk in ihrer Festivalleitung lag in der besonderen Berücksichtigung und Auswahl von Produktionen von Frauen. In diesem Jahr waren 45% der eingereichten Filme von Frauen. In der offiziellen Auswahl stammen über die Hälfte der Film von ihnen; im Deutschen Wettbewerb für Langfilme sind in diesem Jahr sogar 8 von 10 Filmen unter weiblicher Regie entstanden. Ihr designierter Nachfolger ist Christoph Terhechte, der lange das Forum der Berlinale geleitet hat; seine Berufung soll diese Woche vom Gemeinderat bestätigt werden. Wie in den Vorjahren werden in DOK Neuland Virtual Reality Projekte und 360 Grad Filme präsentiert.
Insgesamt wurden dafür ein Dutzend Arbeiten ausgewählt. Bei einem zweitägigen Symposium geht es um das Thema: Wem gehört die Wahrheit? Denn wenn Dokumentaristen den politischen Gegner ins Visier nehmen, müssen sie nicht selten Haltung zeigen oder sich sogar rechtfertigen, wie vergangenes Jahr der Gewinner des Deutschen Wettbewerbs »Lord of the Toys« von Pablo Ben Yakov und Kameramann André Krummel gezeigt hat. Auf dem Leipziger Festival wird es auch um neue Plattformen für Dokumentarfilme im Internet gehen. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Langzeitprojekt »Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland 1945 bis 2005« wird seine umfassende Datenbank vorstellen, in der rund 11.000 Filme aus dieser Periode recherchiert werden können. Gunnar Dedio von Looksfilm stellt die Plattform mit sämtlichen Filmen vor, die der Progress-Verleih in der DDR herausgebracht hat. Als Einstieg sind schon mal alle DEFA-Wochenschauausgaben von »Der Augenzeuge« online und können kostenlos gesichtet werden. Die AG DOK stellt neue Wege der VOD-Vermarktung vor und blickt dabei auch auf Beispiele aus Deutschland und dem europäischen Ausland. Außerdem wird der anerkannte Dokumentarfilmer Thomas Riedelsheimer das von ihm aufgebaute Fortbildungsprojekt »Musenraum« vorstellen, mit dem er junge Dokumentarfilmschaffende unterstützen will.
Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm »Das Forum« von Marcus Vetter
Als Eröffnungsfilm lief »Das Forum« von Marcus Vetter. Sein Ziel war es, als erster Dokumentarfilmer einen Blick hinter die Kulissen des Weltwirtschaftsforum in Davos zu werfen, bei dem jedes Jahr führende Köpfe aus Wirtschaft und Politik auf verschiedenste Gesprächspartner. Der Film bedürfte langer Vorbereitungen, um Zugang zu bekommen. Der Film wird getragen von Klaus Schwab, der die Idee des Forums hatte und mit seiner diplomatischen Art ein guter Gastgeber ist. Selbst wenn er umstrittene Personen einlädt, ist ihm wichtig, dass man miteinander redet und sich gegenseitig zuhört. Er brennt immer noch für seine Vision, der Welt zu verbessern. Doch der Blick hinter die Kulissen zeigt auch, dass die Politiker sich nicht unbedingt beeindrucken lassen von den Treffen in Davos. So katzbuckeln wichtige Wirtschaftsbosse vor Donald Trump und ihm geht es sowieso nur darum, dass möglichst viele Unternehmen in den USA investieren. Dies gilt auch für andere Länder. Von daher ist fraglich, ob Klaus Schwarz seiner Vision näher kommt, oder ob das Treffen in Davos zu einem Ritual geworden ist. Wer erwartet hatte, dass dies im Film offen kritisiert, der wurde enttäuscht. Der Film beobachtet und wer genau hinsieht, bemerkt die gegenseitigen Ressentiments. Und er macht deutlich, dass das Weltwirtschaftsforum nicht nur das jährliche Treffen organisiert, sondern viele Aktivitäten entfaltet und weltweit verschiedene Projekte fördert. Der aufwändige Dokumentarfilm in Cinemascope nimmt im letzten Drittel an Fahrt auf, wenn es bei dem Weltforum 2019 um Klimaveränderung und Umwelt geht. Neben Al Gore, der schon lange dafür kämpft, es auf die politische Agenda zu setzen, kommt auch die Klimaaktivistin Greta Thunberg nach Davos und provoziert, um die Politik aufzurütteln. Aber einige von Ihnen wir Trump leugnen sogar den Klimawandel und steigen aus dem Pariser Klimaabkommen aus. Von daher hat es auch das Weltforum immer schwerer, die Welt zu retten.