DOK Leipzig 2022: intime Porträts erfolgreich

Am 23.10.22 endete das 65. Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm. Schwerpunkte waren Filme über die eigene Familie sowie Filme, die historisches Material nutzen. Ein Blick auf die Preisträger, darunter „Anhell69“ und „Die toten Vögel sind oben“.

Preisgelder in Höhe von knapp 65.000 Euro

Bei der Preisverleihung am Samstagabend in der Schaubühne Lindenfels wurden insgesamt neun Goldene und Silberne Tauben, zahlreiche weitere Preise mit einer Gesamtdotierung von knapp 55.000 Euro und Sachleistungen in Höhe von 10.000 Euro vergeben (alle Gewinner unter https://www.dok-leipzig.de/auszeichnungen-jurys-0). Die Gewinnerfilme der Goldenen Tauben in den Internationalen Wettbewerben für Lang- und Kurzfilme qualifizieren sich für die Nominierung der jährlich vergebenen Academy Awards, vorausgesetzt sie erfüllen die Bedingungen der Academy.

Goldene Taube für Queerfilm aus Kolumbien

Die Goldene Taube im Internationalen Wettbewerb, vom MDR mit 10.000 Euro dotiert, ging an Theo Montoya für „Anhell69“. Der in den Ländern Kolumbien, Rumänien, Frankreich und Deutschland produzierte Film porträtiert eine junge, queere Generation im von Gewalt und Repression geprägten Kolumbien und wird in stimmungsvollen Bildern erzählt als ganz reale Geistergeschichte. „Ein furioser filmischer Bewusstseinsstrom, genährt vom menschlichen Lust- und Todestrieb“, heißt es in der Jurybegründung. „Gleichzeitig Ode an eine vom Unglück verfolgte Stadt und Tribut an die eigene Gemeinschaft, nutzt der Film die Macht der Anpassungsfähigkeit und der Grenzübertretung, um die Welt mit Fluidität, Furchtlosigkeit und radikaler Dringlichkeit zu bewohnen.“

Filmstill Anhell69

Silberne Taube für Familienfilm mit Privataufnahmen

Die Silberne Taube für den besten langen Dokumentar- oder Animationsfilm einer Nachwuchsregie im Internationalen Wettbewerb – von 3sat mit 6.000 Euro dotiert – erhielt Faustine Cros für die belgisch-französische Produktion „A Life Like Any Other“, das Porträt einer Frau, die mit der Mutterrolle und ihren Anforderungen hadert. Für ihre Familiengeschichte nutzt sie die Aufnahmen des Vaters, der die Familie über Jahre dokumentiert hat. „Der Film versucht, den Schmerz einer Familie zu verstehen, und gibt so dem Urschrei von Frauen, Ehefrauen und Müttern überall eine Stimme“, so die Jury.

Vielschichtiger Film zum Urgroßvater gewinnt den Deutschen Wettbewerb

Filmstill Tote Voegel sind ObenIm Deutschen Wettbewerb wurde die Filmemacherin Sönje Storm für „Die toten Vögel sind oben“ mit der Goldenen Taube (3.000 Euro) ausgezeichnet. In dem Dokumentarfilm öffnet Storm den Nachlass ihres Urgroßvaters Jürgen Friedrich Mahrt. Der Landwirt und Naturkundler dokumentierte mit Hilfe von Fotografie und der Sammlung von Tieren die lokale Flora und Fauna und beobachtete dadurch schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Artensterben sowie Vorboten der heutigen Klimakrise. „Bildkomposition, Sounddesign und Schnitt verschmelzen zu einem in sich stimmigen Kunstwerk, in dem sich der dramatische Wandel der Natur ebenso spiegelt wie der fatale Einfluss des Menschen auf seine Umwelt“, urteilten die Juror:innen. Die Silberne Taube im Deutschen Wettbewerb Kurzfilm (1.500 Euro) ging an Jonathan Brunner für „Border Conversations“. Es ist ein Film, der polnische Aktivistinnen im Grenzgebiet zwischen Belarus und Polen im Winter 2021 begleitet.

„Drei Frauen“ gewinnen den Publikumspreis

Filmstill Drei FrauenIm Wettbewerb um den Publikumspreis ging die Goldene Taube (3.000 Euro) an „Drei Frauen“ von Maksym Melnyk. In dem Film schildert er anhand der Begegnungen mit drei selbstbestimmten Frauen das Landleben im ukrainischen Stuschyzja nahe der EU-Grenze. „Dieser Film schenkt uns Bilder von Lebensfreude und Leichtigkeit. Bilder, die wir aus diesem Land aktuell nicht oft sehen. Er schafft Verbindungen und eint Menschen durch die Leinwand hindurch“, heißt es im Statement der Publikumsjury. Die Silberne Taube (1.500 Euro) erhielt Olesya Shchukina für die russisch-französische Produktion „Lada, Ivan’s Sister“. Der animierte Dokumentarfilm erzählt von der Transition einer Frau, die in einem biologisch männlichen Körper zur Welt kam.

Ein insgesamt sehr starker Jahrgang

Insgesamt war das DOK Leipzig Programm in diesem Jahr sehr stark, ja schon fast ein überdurchschnittlicher Jahrgang, wenn auch nicht alle ausgewählten Filme überzeugen konnten. Da sich viele der Filme in den verschiedenen Sektionen auf die eigene Familie und die Nutzung von historischem Material und den Konsequenzen des Angriffs auf die Ukraine bezogen, konnten die Zuschauer:innen die Produktionen gut vergleichen. Spannend war der Vergleich der visuellen Herangehensweisen zwischen den dokumentarischen Produktionen und den Animationsfilmen. Das Angebot dieser beiden Subgenres in einem Festival ist ein Alleinstellungsmerkmal von Leipzig. Zahlreiche Veranstaltungen wie DOK Industry, der Archivtag und Masterklassen, in denen die Themen vertieft werden konnten, ergänzten die sehr gut besuchten Filmvorführungen. Eine Auswahl von elf Gewinnerfilmen wird vom 24.10. bis 30.10.22 deutschlandweit online im DOK Stream angeboten.