70. Berlinale: Welten in Schwarzweiß
Sehr auffällig ist in diesem Jahr der Anteil von schwarzweiß Filmen im Berlinale Programm. Zwei für den Dokumentarfilmpreis nominierte Produktionen liefen jetzt auf dem Festival.
Wiener Schmäh
Ein sehr puristisches Bildkonzept hat »Aufzeichnungen aus der Unterwelt« von Tizza Covi und Rainer Frimmel. Auf Super 16 mm überwiegend in schwarzweiß gedreht sieht man ihre Protagonist*innen in statischen Einstellungen, wie sie von ihrem Leben erzählen. Nur ab und zu werden andere Dinge gezeigt, wie das Stoss-Kartenspiel oder Kunstwerke in Flaschen oder Archivaufnahmen. Doch der Film besticht durch das, was die Interviewten zu erzählen haben von der Wiener Unterwelt und ihre kriminellen Taten.
Kurt Girk – ein gebrochener Mann
Kurt Girk sang bis in hohe Alter in Wiener Beisel die traditionellen Wiener Lieder. Diese Lieder ziehen sich wie ein roter Faden durch den Film. Dabei lernte er in den 1960er Jahren Alois Schmutzer kennen, der sich damals gerne raufte und von der Presse als »König der Unterwelt« tituliert wurde. Beide relativieren dies, doch die Polizei hatte ihn auf dem Kicker. Wegen angeblicher Beteiligung an einem Raub wurde er zu zehn Jahren Haft verurteilt und dort regelrecht gebrochen.
Lange Recherchen lohnen sich
Für ihren Film haben Tizza Covi und Rainer Frimmel zwölf Jahre recherchiert und sie dabei sehr gut kennengelernt. Sie zeichnen ein faszinierendes Sittengemälde der Wiener Nachkriegsgeschichte. Erst am Ende werden die beiden in Farbaufnahmen gezeigt.
Eine Reise nach Amazonien
Seinen langen Debütfilm »O Reflexo do Lago« ließ Fernando Segtowick ebenfalls in schwarz-weißen Bildern drehen, die jedoch eher flau als kontrastreich sind. Es geht um eine Reise zu den Anrainern eines der größten Wasserkraftwerke der Welt. Doch er kann sich nicht richtig entscheiden, ob er einen Reisefilme über seine Erfrahrungen drehen will oder eine Reportage über die Anrainer. Da er immer nur einige Tage vor Ort ist, gelingt es ihm nicht, einen engen Kontakt zu ihnen aufzubauen. Er bleibt ein Beobachter auf Distanz.
Der Regisseur: Ein Beobachter aus Distanz
Als sie einen Gottesdienst zelebrieren, sitzt er außen auf der Bank. Selbstironisch dreht er eine Szene, bei den ein alter Mann über sein Leben plaudert. Als er ihn für das Interview offziell vor die Kamera setzt, verstummt er und weiß nichts mehr zu sagen. Er will dies als ironischen Kommentar zu Fehlern beim Filmemachen verstanden wissen.
Ein Film mit verfehlter Aussage?
Er verschenkt den Ansatz, die Umweltzerstörung durch das Großprojekt herauszuarbeiten. Auf jeden Fall hat es für die Menschen vor Ort nichts gebracht. Der neue brasilianische Präsident Jair Bolsonaro wird mit einem O-Ton zitiert, dass der Amazonas unglaubliche Ressourcen habe, die nun effektiv ausgebeutet werden sollten. Beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos lud er dafür internationale Investor*innen ein. Doch wer da spricht, wird von dem Regisseur nicht deutlich gemacht. Ihm war es wichtig, dass sich die fortschrittsgläubige Politik in Brasilien hinsichtlich der Umwelt in den letzten 60 Jahren nicht geändert hat.
Kapitalistischer Wachstumswahnsinn
In ihrem neuen Dokumentarfilm »Oeconomia« nimmt sich Carmen Losmann nach »Work Hard, Play Hard« (2011) einmal mehr das kapitalisitische Wirtschaftssystem vor. Der Film ist in Farbe, doch zeichnet ein ernüchterndes Bild der Finanzwelt. Es ist ein komplexes Thema und sie erläutert es sehr didaktisch mit Grafiken. Doch dabei enthüllt sie radikal die Fehlentwicklungen der kapitalistischen Gesellschaft.
Eine Gesellschaft des Wachstums
Sie lebt davon, dass es ständiges Wachstum gibt und die private und öffentliche Verschuldung ist die treibende Kraft des Wachstums. Denn je mehr Kredite die Banken vergeben, umso mehr Geld können sie sich gutschreiben lassen. Von der Europäischen Zentralbank werden jeden Monat 80 Milliarden in das System gepumpt, um den Kreislauf am laufen zu halten.
Zeit zum Umdenken
Losmann schafft es immer wieder, Bänker*innen und Wirtschaftslenker*innen mit ihren Fragen zu verunsichern, wie überhaupt ein Gewinn erwirtschaftet werden kann. Denn sie hängen weiterhin den klassischen neoliberalen Wirtschaftstheorien an, nach denen Wachstum sein muss. Als hätte es die Bankenkrise 2008 nicht gegegeben, die nur durch staatliche Unterstützung aufgefangen wurde. Es ist Zeit zum Umdenken und »Oeconomia« bietet dafür eine fantastische Grundlage.