Vor 90 Jahren kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Peter Heller drehte 1982 einen Film über die Rolle Alfred Hugenbergs und veröffentlichte mit dem Historiker Klaus Wernecke ein Buch. Beides erscheint nun neu. Kay Hoffmann hat Heller dazu interviewt.
Gerade in den heutigen Zeiten – mit dem Erstarken nationalistischer Strömungen, von Hasskampagnen in den sozialen Medien und der Verunsicherung über die Rolle der Medien in der Demokratie – ist es wichtig, noch einmal an den Medienzaren Alfred Hugenberg zu erinnern.
Medienzar Alfred Hugenberg half Hitler an die Macht
Hugenberg war Generaldirektor bei Krupp und baute in den 1920er Jahren ein regelrechtes Medienimperium auf mit Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und dem Ufa-Filmkonzern. Zugleich war er politisch aktiv bei der Deutschnationalen Volkspartei, die sich 1928 mit der NSDAP verbündete. Mit seiner Medienmacht wurde Hugenberg zum Steigbügelhalter von Adolf Hitler. Rund um die Machtergreifung Hitlers 1933 gibt es im Moment einige aktuelle Programme im Fernsehen und den Mediatheken.
Relaunch des Hugenberg-Films
Zu Peter Hellers Medienpaket gehört der zweiteilige Dokumentarfilm „Der vergessene Führer. Aufstieg und Fall des Medienzaren Alfred Hugenberg“ sowie das Buch „Medienmacht und Demokratie in der Weimarer Republik“, das er zusammen mit dem Historiker Klaus Wernecke neu herausgibt und aktualisiert hat. Beide Veröffentlichungen möchten dabei helfen, aus den Fehlern von damals zu lernen. Außerdem wird zusammen mit Wolfgang Landgraeber ein zweites Buch herausgegeben über die Medienentwicklung nach 1945 mit eigenen Erfahrungen von Einflussnahme, Zensur und Selbstzensur. 2023 wird es dazu verschiedene Veranstaltungen und Workshops geben.
Geplante Veranstaltungen zum Medienpaket„Der vergessene Führer“(Stand Januar 2023; Änderungen vorbehalten) | |
SA 4.2.2023, 16:00-22:00 Uhr | NS-Dokumentationszentrum München, Königsplatz (Panel und Buchpräsentation) |
SO, 26.2.2023, ab 14.00 Uhr | Kastanien Haus am Wall, Lemgo (Referent Dietrich Leder) |
Fr + Sa 24. + 25.3.2023 | Stadtakademie München (Workshop) |
Sa + So 17. + 18.6.2023 | Fritz Vollmar Akademie Kochel (Workshop) |
Kay Hoffmann vom Haus des Dokumentarfilms hat mit Peter Heller über den Sinn und das Konzept dieses Neustarts gesprochen.
Kay Hoffmann: Wie bist Du auf die Idee gekommen, Deinen Film und das Buch über Hugenberg nach 40 Jahren noch einmal neu zu starten?
Peter Heller: Vor etwa zwei Jahren kam ich auf die Idee, einen Relaunch mit dem Hugenberg-Film zu machen, da ich doch von vielen in die „Afrika-Schublade“ gesteckt werde, aber die Hälfte meiner Filme nichts mit Afrika zu tun haben. Nachdem wir den Hugenberg-Film zu 50 Jahre Machtergreifung gemacht hatten, will ich ihn jetzt wieder zeigen und daran erinnern. Der Film lag als 16mm-Kopie bei mir im Keller. Damals lief er im Kino in zwei Teilen und auch im Fernsehen, aber danach wurde er vergessen. Das Begleitbuch von damals ist vergriffen.
Für das neue Buch haben wir einen neuen Verlag gefunden. Und wegen des Films habe ich beim NS-Dokumentationszentrum in München nachgefragt. Sie sind sofort eingestiegen. Dann habe ich das Paket verschiedenen Institutionen angeboten und bin auf einiges Interesse gestoßen. In Zukunft soll der Film auch im Netz verfügbar sein.
Du hast sehr viel historisches Archivmaterial verwendet. Wie aufwändig waren die Recherchen damals?
Heller: In den 1970er Jahren hatte ich schon Erfahrungen gemacht mit Recherchen nach historischem Material für meine beiden Kolonialfilme „Liebe zum Imperium“ (1978) und „Usambara – Das Land, wo Glaube Berge versetzen soll“ (1980). Beide Filme sind in weiten Teilen Kompilationsfilme mit viel Archivmaterial. Deswegen besuchte ich alle möglichen Archive in London, Washington, Sansíbar, Nairobi, Daressalam und war im Bundesarchiv in Koblenz und im Staatlichen Filmarchiv der DDR. So kannte ich die Bestände ziemlich gut, welche Filme aus den 1920er Jahren es dort noch gab. Das Filmmaterial war in Büchsen und es gab dazu Karteikarten zum Inhalt. Die hatte ich damals abgeschrieben und so auch andere Themen zur deutschen Geschichte miterfasst.
Vom Thema Hugenberg und Medien war ich selbst betroffen. Ich bin in der Tschechoslowakei aufgewachsen, war Pionier und kann mich erinnern, dass mein sozialdemokratischer Vater – also ein Gegner der Kommunisten –, morgens bis auf den Sportteil die einzige Zeitung, die es gab, weggeschmissen hat. Ich habe erst später verstanden, dass er sich damit dem Diktat der Meinung entzog. Das hatte mich geprägt.
Hugenberg hat eine interessante Entwicklung genommen vom Manager in der Schwerindustrie zum Medienzar. Er wollte auch politische Macht mit seiner rechten Deutschnationalen Volkspartei, aber wurde nach 1933 ziemlich kaltgestellt.
Heller: Diese Parabel war fantastisch. Aber das wusste ich am Anfang meiner Recherchen noch nicht. Über meine Filme zur Kolonialgeschichte hatte ich einen Hamburger Historiker kennengelernt, der zu Hugenberg forschte und mich auf das Thema brachte. Er erzählte mir von seiner Entwicklung vom Generaldirektor von Krupp zum Medienmogul und Steigbügelhalter Hitlers. Da war mir schon klar, dass das ein guter Stoff für einen Film ist, da Hugenberg eigentlich ein Feind der Nationalsozialisten war. Die Deutschnationalen waren die „Kaisertreuen“ in der Weimarer Republik. Dann schlossen sie sich 1928 mit der NSDAP gegen die Linke zusammen, die zersplittert blieb. Dies führte zum Aufstieg Hitlers.
Hat Dich überrascht, dass er nach 1933 für seine Hilfe nicht richtig belohnt wurde?
Heller: Es war mir vollkommen klar, dass diese Art der Koalition sich irgendwann rächt. Man muss die Zeiten berücksichtigen. 1939, kurz vor dem Angriff auf Polen, schloss Hitler auch einen Nichtangriffspakt mit Stalin, seinem Erzfeind. Ich bin nach dem Krieg geboren und war interessiert an den Widersprüchen, die in dieser Zeit möglich waren. Hugenberg war Parteivorsitzender der Deutschnationalen und nannte sich auch „Führer“. Sie haben mit einer gewissen Arroganz hinuntergeschaut auf diese NS-Emporkömmlinge. Für Hitler waren sie die alten Geheimräte und schlimme Industrielle. Der Zusammenschluss war für Hugenberg wichtig. Er wollte den rechten Flügel stärken. Dies ließ er in seinen zahlreichen Zeitungen propagieren und nutzte seine Medienmacht. Die Nationalsozialisten hatten zu dem Zeitpunkt kaum eigene Zeitungen. Das Interessante ist, dass die konservativ-liberalen Redakteure für ihre Karriere zu den Nationalsozialisten überliefen.
Damals hatte ich noch die Chance, mit Ihnen als Zeitzeugen zu sprechen. Die in der Weimarer Republik verantwortlichen Redakteure lebten 1980 noch. Einige haben es geschafft, auch nach 1945 wichtige Positionen zu besetzen. Sie blieben weiterhin hoch angesehen. Gerade im Medienbereich gab es viele personelle Kontinuitäten und Karrieren. Heute gibt es immer wieder vermeintliche Enthüllungsgeschichten, dabei war dies schon in den 1970er und 1980er Jahren bekannt und wurde gerade in der DDR intensiv recherchiert. Aber im Westen wurde es als bloße Propaganda abgetan. Das gilt ebenso für die Kolonialgeschichte. Aus dem ostdeutschen Leipzig habe ich immer interessante Bücher mitgebracht. Die Forschung der DDR-Historiker, die sie damals mit Zeitzeugen machten, hat heute noch Gültigkeit.
Die Kapitelüberschriften überschneiden sich zum Teil, da der Film nicht chronologisch erzählt. Wie wichtig waren diese Kapitel für die Struktur des Films?
Heller: Mir war klar, dass ich kein cineastisches Meisterwerk mache, sondern dass der Film im Prinzip wie ein Sachbuch mit pädagogischen Ambitionen funktioniert. Da das Thema zu kompliziert und vielschichtig ist, sollte es möglich sein, den Film gezielt in Teilen vorzuführen. Deswegen haben wir mit Themenkomplexen gearbeitet und nicht nur chronologisch.
Wie erklärst Du Dir den Widerspruch, dass viele der Drucker und Setzer sozialdemokratisch und kommunistisch waren, aber doch für einen national konservativen Verlag gearbeitet haben?
Heller: Die 1920er Jahre waren geprägt von Reparationszahlungen, Wirtschaftskrisen, Inflation und vielen Arbeitslosen. Das Bild heute von den „Goldenen Zwanziger Jahren“ ist falsch. Die liberalen Verlage waren zunächst noch einflussreich, aber die linken Verlage blieben immer klein und Willi Münzenbergs Versuch, ein Gegenimperium zu Hugenberg aufzubauen, scheiterte. Aufgrund des Rechtsrucks gerieten die liberalen Verlage unter Druck. Da waren die Arbeitsplätze knapp und die Drucker und Setzer hatten kaum noch Wahlmöglichkeiten, für wen sie druckten. Bei den Gewerkschaften der Drucker gab es erst Widerstand, aber nach Hitlers Einstieg in die Regierung wurde alles gleichgeschaltet. Kritiker kamen 1933 schnell in Schutzhaft. Die Exilpresse wurde dann in Prag, Belgien, Frankreich und London gedruckt.
Haben sich in den vergangenen 40 Jahren nicht neue Erkenntnisse über den Aufstieg von Adolf Hitler ergeben?
Heller: Bei Historikern habe ich nachgefragt, ob es zu Hugenberg und der Machtergreifung neue Erkenntnisse gibt. Sie haben bestätigt, dass die damaligen Erkenntnisse noch stimmen. Für mich ist spannend, dass wir nach der ersten Veranstaltung in München auch eine Veranstaltung in Lemgo in Nordrhein-Westfalen haben, wo Hugenberg gestorben ist und seine Familie Güter besitzt.
Der zweite Teil des Buches, das im Laufe des Jahres erscheinen wird, beschäftigt sich mit der Entwicklung der Medienkonglomerate nach 1945. Siehst Du Parallelen zu den 1920er Jahren mit der Manipulation durch Medien?
Heller: Wir können die Hugenberg-Geschichte nicht einfach fortschreiben. Man kann weder Axel Springer noch Rupert Murdoch direkt mit ihm vergleichen. Der Verlag hat deshalb vorgeschlagen, ein zweites Buch zu schreiben zur Entwicklung nach 1945. Es soll sich mit den Medienerfahrungen von Wolfgang Landgraeber und mir über Einflussnahmen, Zensur und Selbstzensur beschäftigen und dabei versuchen, auf die Entwicklung der Medien bis in die Gegenwart einzugehen. Wir planen Interviews mit weiteren Experten wie Alexander Kluge, dem ersten intellektuellen Privatfernsehmacher, oder dem Medienpublizisten Klaus Kreimeier.