rbb dotiert 2023 wieder den Berlinale Dokumentarfilmpreis

Seit 2017 vergeben die Internationalen Filmfestspiele Berlin einen Dokumentarfilmpreis. In diesem Jahr sind zwanzig Produktionen aus allen Sektionen dafür nominiert. Das Preisgeld in Höhe von 40.000 Euro stiftet erneut der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb).

Dokumentarfilme in der Krise besonders wichtig

Das Preisgeld teilen sich Regisseur:in und Produzent:in des Gewinnerfilms. Martina Zöllner, Kultur- und Filmchefin des rbb: „In Zeiten von Krisen und Krieg wird die Bedeutung des Dokumentarfilms noch einmal besonders deutlich: die genau recherchierte, filmische Auseinandersetzung mit komplexen Ereignissen und gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen auf der ganzen Welt. Das Genre erzählt wahre Geschichten, ordnet ein, schafft unterschiedliche Perspektiven und verbindet. Wir erkennen diesen Wert hoch an und freuen uns, den Dokumentarfilm auch 2023 als Preisstifter zu fördern.“ Im Vorjahr ging der Preis an MYANMAR DIARIES, der noch bis zum 29.1.2024 in der Arte Mediathek verfügar ist. 

Nominierungen für den Berlinale Dokumentarfilmpreis 2023

Im Folgenden ein Überblick zu den zwanzig Produktionen, die bei der 73. Berlinale für den Dokumentarfilmpreis nominiert sind. Er wird am 25. Februar 2023 im Rahmen der offiziellen Preisverleihung der Internationalen Filmfestspiele im Berlinale Palast verliehen.

Krieg in der Ukraine und anderswo

SUPERPOWER von Sean Penn und Aaron Kaufman erhielt schon im Vorfeld seiner Weltpremiere (Berlinale Special Gala) viel Aufmerksamkeit. Eigentlich wollte Penn ein Porträt über Wolodymyr Selenski und seinen Wandel vom Schauspieler zum Präsidenten der Ukraine drehen. Doch dann griff Russland das Land an. Bilder von der Front zeigt SHIDNIY FRONT (EASTERN FRONT) von Vitaly Mansky und Yevhen Titarenko (Encounters). Mansky hat sich schon früh gegen die russische Eroberung der Krim engagiert und zeigt nun mit den Aufnahmen von Titarenko eine Armee, die die Ukraine gegen den erneuten Angriff verteidigt.

Berlinale 23 Encounters Shidniy front
SHIDNIY FRONT (EASTERN FRONT)
Berlinale 23 Special Kiss the Future
KISS THE FUTURE

Für fünf Jugendliche aus dem vom Krieg erschütterten Donbass bietet eine Himalaja-Expedition eine kurze Flucht vor den militärischen Konflikten. MY NE ZGASNEMO (WE WILL NOT FADE AWAY) von Alisa Kovalenko (Generation) zeigt die Heranwachsende, die trotz allem die fragile Schönheit des Lebens erkennen. KISS THE FUTURE von Nenad Cicin-Sain (Berlinale Special Gala) dokumentiert den Kampf der Bürger von Sarajevo während des Bosnienkrieges. Dem Entwicklungshelfer Bill Carter gelang es sogar, die Rockband U2 für ein Konzert zu gewinnen, um weltweite Aufmerksamkeit für den grausamen Krieg und das Leiden der Bevölkerung zu schaffen.

Gewalt gegen Frauen und Männer

UNDER THE SKY OF DAMASCUS von Heba Khaled, Talal Derki und Ali Wajeeh (Panorama) offenbart, dass Gewalterfahrungen zum Alltag vieler syrischer Frauen gehören – doch häufig schweigen sie aus Angst vor Rache und Vergeltung. Ein Kollektiv junger Frauen will mit einem Theaterprojekt das Tabu brechen. Ähnliches haben auch die Protagonistinnen in ANQA von Helin Çelik (Forum) erlebt. Im Mittelpunkt stehen drei Frauen aus Jordanien. Sie haben die Gewalt durch Männer nur knapp überlebt und schildern in Monologen ihre traumatischen Erfahrungen. Eine Studentin in Teheran wehrt sich gegen eine Vergewaltigung und tötet ihren Angreifer. Sie wird wegen Mordes verurteilt und nach sieben Jahren gehängt. SIEBEN WINTER IN TEHERAN von Steffi Niederzoll (Perspektive Deutsches Kino) rollt den Fall erneut auf.

Berlinale 23 Perspektive Dt Kino Sieben Winter in Teheran
SIEBEN WINTER IN TEHERAN
Berlinale 23 Forum Jaii Keh Khodanist Where God is Not
JAII KEH KHODA NIST (WHERE GOD IS NOT)

In JAII KEH KHODA NIST (WHERE GOD IS NOT) von Mehran Tamadon (Forum) reinszenieren drei ehemalige politische Häftlinge aus dem Iran in einem leeren Raum in Paris, wie sie einst im Gefängnis verhört und gefoltert wurden. Zwei Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur stehen 1985 in Argentinien führende Mitglieder der Junta vor Gericht. In EL JUICIO (THE TRIAL) (Forum) montiert Ulises de la Orden aus 530 Stunden Material der Prozesse ein erschreckendes Zeugnis staatlichen Terrors.

Alltag und Kunst

Als einziger Dokumentarfilm im Wettbewerb läuft SUR L’ADAMANT (ON THE ADAMANT) von Nicolas Philibert über den Alltag im Pariser „Centre de jour L’Adamant“ – ein außergewöhnliches Zentrum für die Behandlung von Erwachsenen mit psychischen Störungen. Eine gynäkologische Klinik in Paris steht im Fokus von NOTRE CORPS (OUR BODY) (Forum). Mit behutsamen Blicken erkundet Claire Simons das Geschehen. Ein Dokument darüber, was es bedeutet, in einem weiblichen Körper zu leben. LOVE TO LOVE YOU, DONNA SUMMER von Roger Ross Williams und Brooklyn Sudano (Berlinale Special) ist ein sehr persönliches Porträt der umjubelten Disco-Queen. Ihre Tochter ist Ko-Regisseurin des Films.

Berlinale Special Love to Love You Donna Summer
LOVE TO LOVE YOU, DONNA SUMMER
Berlinale 23 Panorama Au cimetiere de la pellicule
AU CIMETIÈRE DE LA PELLICULE

Auf literarische Spurensuche an die Lebensorte des Schriftstellers Uwe Johnson in Pommern begibt sich Altmeister Volker Koepp in GEHEN UND BLEIBEN (Forum). ORLANDO, MA BIOGRAPHIE POLITIQUE (ORLANDO, MY POLITICAL BIOGRAPHY) von Paul B. Preciado (Encounters) liefert eine persönliche Interpretation von Virginia Woolfs Erzählung über Orlando, die zwischen Fakt und Fiktion changiert. Auf die Suche nach der Geburtsstunde des Filmschaffens in Guinea begibt sich Thierno Souleymane Diallo in AU CIMETIÈRE DE LA PELLICULE (THE CEMETERY OF CINEMA) (Panorama). Es ist einer der wenigen Beiträge aus Afrika und bekräftigt die Bedeutung von Filmarchiven.

Hoffnung auf eine Zukunft

EL ECO (DAS ECHO) von Tatiana Huezo (Encounters) erzählt mit fiktiven Elementen den Alltag von Kindern, die isoliert in einem Dorf im Hochland von Mexiko leben. Auf der anderen Seite der Grenze in Texas durchtanzen Silvia und Beba lange Sommernächte. HUMMINGBIRDS von Silvia Del Carmen Castaños und Estefanía „Beba“ Contreras (Generation) zeichnen ein Bild der Gegenwart. Die Einbürgerung im politisch gespaltenen Amerika stockt, Heimat ist kein verlässlicher Begriff. Ein Jahr begleitet STAMS von Bernhard Braunstein (Panorama) den Trainingsalltag der Ski-Elite im Internat Stams in den Tiroler Alpen. Es gilt als regelrechte Kaderschmiede.

Berlinale 23 Encounters Le mura die Bergamo
LE MURA DI BERGAMO (THE WALLS OF BERGAMO)
Berlinale 23 Perspektive DtKino Vergiss Meyn Nicht
VERGISS MEYN NICHT

2018 starb Steffen Meyn beim Sturz aus einem Baumhaus während der Proteste im Hambacher Forst. VERGISS MEYN NICHT von Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff (Perspektive Deutsches Kino) kombiniert seine Aufnahmen der 360°-Helmkamera mit Interviews mit Umweltschützer:innen. Er fragt außerdem, wie weit Aktivismus gehen darf, der die Klimakatastrophe aufhalten möchte. Die Kolonnen von Leichenwagen in Bergamo, für die sogar Militärfahrzeuge umfunktioniert wurden, haben sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. LE MURA DI BERGAMO (THE WALLS OF BERGAMO) von Stefano Savona (Encounters) erinnert an die Anfänge der Corona-Pandemie.

Dreiköpfige Jury entscheidet über Dokumentarfilmpreis

Zur Jury des Berlinale Dokumentarfilmpreises gehören in diesem Jahr: 

  • die Französin Emilie Bujès, die seit 2017 künstlerische Leiterin des Festivals Visions du Réel in Nyon ist
  • die Kolumbianerin Diana Bustamante, die als Produzentin, Regisseurin und Festival-Programmerin wesentlich dazu beigetragen hat, das kolumbianische Kino international als feste Größe zu etablieren
  • der schottische Filmemacher und Schriftsteller Mark Cousins, dessen Themen das Sehen, das Kino, die Kindheit, die Politik und die Städte sind