Berlinale Nachwuchs: Filmisches Erbe und brutale Ausbeutung
Die Berlinale gibt immer auch Nachwuchstalenten eine Chance. HDF-Experte Kay Hoffmann stellt drei Produktionen vor, die sich mit dem Medium Film und der Filmgeschichte ebenso beschäftigen wie mit Menschen, die in der Atomkraft-Branche arbeiten.
Eine Hymne auf iranisches Kino und Poesie
Eine überzeugende Liebeserklärung an das iranische Kino liefert die indische Regisseurin Sreemoyee Singh mit ihrem Debütprojekt „And, towards happy Alleys“. In einem Filmseminar lernte sie das iranische Kino und die Poetik des Landes kennen. Deshalb entschloss sie sich, ihre Promotion dem Thema zu widmen. Insgesamt war sie zwischen 2015 und 2019 fünfmal für jeweils drei Monate in Teheran, erst um Farsi, die persische Amtssprache im Iran, zu lernen und dann Interviews mit den international bekannten Filmschaffenden zu führen. „Ich habe mich mit 21 Jahren in das iranische Kino verliebt und die Gedichte von Forugh Farrochzad. Sie war eine echte Inspiration für die iranischen Filmemacher“, stellt Singh beim Publikumsgespräch auf dem Podium fest. Eine zentrale Rolle bei ihren Recherchen nimmt Jafar Panahi ein, der beim Berliner Festival in Abwesenheit bereits einen Bären erhielt. In den vergangenen Jahren wurde er mehrmals verhaftet und ihm das Filmemachen verboten. Dem entzog er sich durch einige Tricks. Neben der Würdigung der iranischen Cineastik startete die Regisseurin Recherchen zur Rolle der Frauen im Iran, die sich ebenfalls mit einigen Tricks gegen die Unterdrückung durch die Fundamentalisten wehren und so die aktuellen Proteste im Iran vorbereiteten. So interviewte sie die iranische Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotudeh, die auf die inzwischen selbst im Gefängnis sitzt. Der Film wurde zu einer Bestandsaufnahme der schwierigen Situation im Iran schon vor Jahren. Trotz seiner politischen Brisanz ist er poetisch gestaltet. Gedichte und Musik spielen darin eine wichtige Rolle. Singh ist mit „And, towards happy Alleys“ ein mutiges Debüt gelungen.
Vom Tod des Kinos
Ebenfalls mutig ist „The Cemetery of Cinema“ (OT: „Au cimetière de la pellicule“) von Thierno Souleymane Diallo. Barfuß und mit einem riesigen Mikro im Rucksack begibt er sich mit einer kleinen Kamera auf die Suche nach dem ersten Film aus Guinea. „Mouramani“ wurde 1953 von Mamadou Touré in Paris aufgenommen. Viele seiner Gesprächspartner:innen haben zwar davon gehört, aber gesehen hat ihn keiner. Ist er ein Mythos? Die Reise von Diallo zeigt deutlich den Untergang des Bewegtbild-Mediums im afrikanischen Guinea. Die Kinopaläste wurden dort seit Ende der 1980er Jahre geschlossen. In den Projektionsräumen stapeln sich verstaubte Filmbüchsen. Die Kopien des ehemaligen nationalen Filmarchivs wurden nach einem politischen Machtwechsel zerstört. Das Kino dort ist schon Vergangenheit. Aber selbst in Paris kämpfen Kinos ums Überleben, müssen von Aktivist:innen besetzt werden. Im Centre national du cinéma et de l’image animée (französisches Filmarchiv CNC) im Bois d‘Arcy ist ebenfalls keine Kopie des gesuchten Werks vorhanden. So re-inszeniert der junge Regisseur den gesuchten Film am Ende einfach selbst. Ihm gelingt ein frisches Werk, das auf originelle Weise die Themen Film, Kino, filmische Überlieferung und Erinnerung thematisiert.
„Atomnomaden“: Fragliche Arbeitsverhältnisse
Die Atomkraft ist ebenfalls eine Technologie, auf der viele Hoffnungen lagen und die inzwischen in Deutschland stillgelegt wird. Frankreich setzt dagegen ganz auf diese Technik, wobei viele der Reaktoren abgeschaltet sind. Für Inspektions- und Reinigungsarbeiten werden über Zeitarbeitsfirmen Leiharbeiter:innen engagiert. Sie bekommen befristete Aufträge, ein Kompromiss, um die Strahlenbelastung in Grenzen zu halten. Wenn die Höchstdosis erreicht ist, erhalten sie keine Aufträge mehr. Kilian Armando Friedrich und Tizian Stromp Zargari von der Hochschule für Fernsehen und Film in München begleiten fünf dieser französischen Arbeitsnomad:innen in ihren Wohnwagen. Ihr Stil ist die beobachtende Kamera, die ihren resignierenden Alltag einfängt. Sie werden mit Prämien zwar gut bezahlt, doch riskieren sie dafür ihre Gesundheit, was ihnen auch selbst klar ist. Sie träumen vom Ausstieg und davon ein Haus auf dem Land zu besitzen. Diese drei studentischen Arbeiten zeigen das kreative Potential der nächsten Generation.