Berlinale 2023: Spotlight auf „Anqa“
„Anqa“ von Helin Çelik lief in der Sektion „Forum“ bei den 73. Filmfestspielen in Berlin. Der unbequeme Dokumentarfilm thematisiert Gewalt an Frauen in Jordanien. Der Identitätsschutz der Protagonistinnen stand bei der Produktion im Vordergrund.
Triggerwarnung
In diesem Artikel geht es um körperliche, seelische und/oder sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen und wie sie damit umgehen. Der Text enthält Beispiele, die bei manchen Menschen negative Reaktionen auslösen können. Solltest du selbst betroffen sein, bekommst du u. a. beim Opfer-Telefon des WEISSEN RINGS unter der Telefonnummer 08000 116 006 oder unter www.hilfetelefon.de anonyme und kostenfreie Hilfsangebote.
Leben in Unfreiheit
Die Protagonistinnen in Helin Çeliks Dokumentarfilm „Anqa“ eint ein grausames Los: Sie alle wurden Opfer von brutalen Gewalttaten durch männliche Familienmitglieder und mussten deshalb untertauchen. Aufgrund der patriarchalen Strukturen in ihrem Heimatland Jordanien ist es den Opfern unmöglich, strafrechtlich für sich selbst einzustehen.
„Die Frauen haben Angst und gehen darum nicht mit ihren Problemen an die Öffentlichkeit. Für jordanische Staatsdiener ist es in logistischer Hinsicht einfacher, eine bedrohte Frau in ‚Schutzhaft‘ zu nehmen, als zehn männliche Verwandte einzukerkern, die ihr etwas antun wollen“, sagt Çelik beim Austausch mit dem Publikum im Kino Arsenal am Potsdamer Platz. Die betroffenen Frauen leben lieber in völliger Abgeschiedenheit und können ihre Häuser nicht mehr verlassen. Dieser Zustand ist jedoch besser als die Alternative, nämlich unschuldig im Gefängnis zu sitzen.
Vorsichtsmaßnahmen prägten Produktion
Der sich über sieben Jahre hinziehende Produktionsprozess war geprägt von zwei gegensätzlich erscheinenden Bestrebungen: Einerseits wollte das Filmteam auf die Not der Frauen aufmerksam machen, gleichzeitig musste deren Identität geschützt werden. Aus diesem Grund könne „Anqa“ in einigen Ländern nicht gezeigt werden. Im Trailer werden die Gesichter der Frauen ausgespart.
Die der kurdischen Minderheit angehörige Filmemacherin verwebt die nur vage angedeuteten Schicksale dreier Frauen zu einem Metanarrativ. „Der Verzicht auf Hintergrundinformationen ist eine bewusste Entscheidung, denn der inhaltliche Fokus sollte nicht zu sehr auf den Straftaten liegen. Im Zentrum des Films stehen die Frauen mit ihrem stillen Leiden“, so Çelik.
Botschaft adressiert Gefühlsebene
Wer diesen Dokumentarfilm schaut, kann ohnehin lange Zeit kaum etwas erkennen: Die Kamerafrau Raquel Fernández Núñez beschränkt sich vorrangig auf fragmentarische Nahaufnahmen von Gesichtern, Stofffalten und das Spiel von Licht und Schatten. So wird eine bedrückende Enge erzeugt, in der auch Einsamkeit und Hilflosigkeit zum Ausdruck kommen. Diese Atmosphäre überträgt sich auf das Publikum. Das Seherlebnis ist von Desorientierung und einer unbestimmten Angst geprägt. Auf diese Weise erreicht die Filmemacherin ihr erklärtes Ziel: „Man sieht die traumatisierten Frauen und beginnt zu verstehen, worum es hier geht. Ich wünsche mir, dass wir uns alle erlauben, etwas zu fühlen. Aus diesem Grund habe ich den Film gemacht.“