So war die DOK Premiere von HÖHENFLÜGE

„Höhenflüge“ handelt nicht allein von Brieftauben. Er erzählt von Menschen. Das wird mit jeder Minute von Lena Leonhardts Dokumentarfilm deutlicher. Mit ihrem Kameramann Sebastian Bäumler stellte sie den Film am 14. Oktober 2020 bei der DOK Premiere Ludwigsburg vor.

Sie heißen „Pokerface“, „Skyfighter“ oder „Supermario“ – und sie sind echte Superstars des Brieftauben-Sports. Hunderttausende Euro werden teilweise für nur eine dieser tierischen „Rennmaschinen“ aufgerufen und bezahlt. Die möglichen Preisgelder gehen in Ländern wie China sogar bis in die Millionenhöhe. Der Mann, der diese Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend vorangetrieben hat, ist Andreas Drapa.

Andreas Drapa ist internationaler Big Player im Brieftaubensport

„Ich möchte gewinne und sonscht gar nix“, betont der Züchter aus dem Enzkreis im breiten Dialekt. „Aber obbe isch nur Platz für ganz wenige.“ Schon lange vorbei sind die Zeiten, in denen der gelernte Fliesenleger das Geld für seine Brieftauben mühsam in Raten abstottern musste. Mittlerweile regiert das Motto „Cash is king“ – und Cash, daran lässt der Film keinen Zweifel, hat Drapa jede Menge. Der Grund dafür mag auch in der Herangehensweise des Badeners zu finden sein, der seine Millionen-Deals unter anderem in China, Dubai und den Arabischen Emiraten abwickelt. „Nur du zählst. Niemand anderes.“ gibt er wörtlich wieder und paraphrasiert dies mehrfach in „Höhenflüge“ als sein Leitbild. Tauben, die nicht mehr funktionieren und abliefern, werden aussortiert, genau wie Menschen. Enge Freundschaften? Gibt es nach seiner eigenen Aussage schon lange nicht mehr. „Du veränderst nichts im System“, erklärt der internationale Multiplayer irgendwo zwischen Abgeklärtheit, Trotzigkeit und Resignation. „Lieber heule ich mit den Wölfen als gefressen zu werden.“

Hobby-Taubenzüchter und Vereinsleben als Kontrast

Den Kontrast zu dieser Weltsicht, an der sich die Gemeinschaft der Brieftauben-Freunde seit Jahren passioniert reibt, liefern die anderen Protagonisten des Dokumentarfilms „Höhenflüge“. Es sind Menschen wie Walter aus der Nähe von Düsseldorf. Als der Jurist an Krebs erkrankt, findet der Hobby-Taubenzüchter Halt in der Beschäftigung mit seinen Tieren. „Glück macht sich mit Sicherheit nicht am Materiellem fest“, ist sich der Rheinländer sicher. Uschi wiederum sieht in den Tauben sogar so etwas wie einen Kind-Ersatz, den sie mit Liebe überschütten und bemuttern kann. Der „Sport des kleinen Mannes“ und seine traditionelle Verankerung vor allem im Ruhrgebiet werden ebenfalls in „Höhenflüge“ thematisiert. Mag seine Blütezeit auch schon längst vorbei sein, so gibt es weiterhin Personen, die uneigennützig viel Zeit, Herz und Engagement in die Vereinsarbeit und die Tiere stecken. Wessen Taube hier einen Wettflug gewinnt, gibt eine Lokalrunde aus und freut sich mehr über anerkennende Schulterklopfer als über satte Preisgelder.

„Höhenflüge“ spiegelt verschiedene Lebensentwürfe 

„Die Beziehung der verschiedenen Menschen zu den Tauben haben wir als eine Art Projektionsfläche beziehungsweise Spiegelbild der Lebensentwürfe eingesetzt. Dabei war die Gewichtung der Charaktere tatsächlich der schwierigste Prozess“, erzählt Lena Leonhardt im Filmgespräch nach der DOK Premiere. „Es war mir sehr wichtig, dass ‚Höhenflüge‘ so differenziert wie möglich wird. Von einer Schwarz-Weiß-Sicht halte ich nichts. Es gibt immer sehr viele Zwischennuancen.“ Und Kameramann Sebastian Bäumler ergänzt: „Bei Drapa konnte man alles beobachten und drehen, was super war. Aber er hat hinterher auch immer alles selbstständig kommentiert. Das Hauptproblem war also, die anderen Charaktere genauso stark wie ihn zu bekommen.“

Alles andere als eine reine „Drapa-Show“

Dies ist Lena Leonhardt (Buch, Regie), Sebastian Bäumler (Kamera) und Sven Kulik (Schnitt) gelungen, denn eine reine „Drapa-Show“ ist „Höhenflüge“ nun wirklich nicht geworden. Ganz im Gegenteil! „Andreas Drapa entlarvt sich mit seiner sehr kapitalistischen Strategie und kühlen Auslese im Film selbst“, fasst Dr. Kay Hoffmann vom Haus des Dokumentarfilms zusammen, der die DOK Premiere in Ludwigsburg kuratiert und moderiert. Die Stärke des Dokumentarfilms „Höhenflüge“ sieht er vor allem in seiner Vielschichtigkeit – ein Urteil, das vom Publikum geteilt wird, wie die positive Resonanz auf beide Vorstellungen und die sich jeweils anschließenden Filmgespräche zeigen.

https://www.youtube.com/watch?v=nBC05_GYLPc

Kurzvita von Lena Leonhardt

Lena Leonhardt (*1987) studierte unter anderem an der Filmakademie Ludwigsburg und an der Ryerson University in Toronto. Auf ihr Kino-Debüt „Rheingold“ aus dem Jahr 2014 folgte bereits zwei Jahre später der von der Kritik hochgelobte Dokumentarfilm „Hundesoldaten“, der auch im Rahmen der DOK Premiere gezeigt wurde. Die MfG geförderte Produktion von OnScreen Media (Peter Kuczinski), dem SWR und der Filmakademie Baden-Württemberg wurde 2017 mit dem Grimme-Preis in der Kategorie Information und Kultur ausgezeichnet. Gerade ist die in Stuttgart ansässige Regisseurin und Autorin in der Post-Production eines Dokumentarfilms über Digitalnomaden, wie sie bei der DOK Premiere in Ludwigsburg erzählt. Mehr über ihre Arbeit in Corona-Zeiten verrät Lena Leonhardt zudem in unserem Video-Interview für „DOKVILLE – Stimmen aus der Branche“. 

Die DOK Premiere ist eine vom Haus des Dokumentarfilms kuratierte Filmreihe. Sie präsentiert einmal im Monat in Ludwigsburg und Stuttgart aktuelle Kinostarts von Dokumentarfilmen. Die jeweiligen Regisseur:innen sind für Werkstattgespräche mit dem Publikum vor Ort. Kuratoren sind Goggo Gensch (Stuttgart) und Kay Hoffmann (Ludwigsburg).