Sergei Loznitsas neuer Film „Luftkrieg“ (Kinostart 16.3.23)
Sergei Loznitsa montiert seinen Kinofilm über die alliierten Bombardements deutscher Städte einzig aus Archivaufnahmen. Er zeigt nur einen Aspekt des zweiten Weltkriegs, unternimmt dabei aber eine nüchterne Bestandsaufnahme moderner Kriegsführung.
Sergei Loznitsas „Luftkrieg – Die Naturgeschichte der Zerstörung“ macht die schmerzhafte Gewissheit, dass in modernen Kriegen die Zivilbevölkerung als Ziel von Kampfhandlungen einkalkuliert ist, aufs Neue spürbar. Trotzdem bleibt die Frage im Raum, ob dieses Vorgehen gegen Nazideutschland, angesichts des Massenmordes in den Konzentrationslagern und der Kriegsverbrechen auf den Schlachtfeldern, nicht doch nötig gewesen ist. Diesen Konflikt löst der Film nicht auf, sondern bringt ihn in all seiner Brisanz für die Gegenwart wieder ins Gedächtnis.
Unkommentierte Archivbilder der Vernichtung
Loznitsa hat seinen Dokumentarfilm nicht chronologisch, sondern eher assoziativ, in Form einer Tatsachen-Symphonie komponiert. Wie bei seinen früheren Filmen verzichtet er auf einen Kommentar und es gibt weder zeitliche noch räumliche Einordnungen. Auf lange Aufnahmen der Luftangriffe folgen wiederholt Bilder der zerstörten Städte. Die Montage gleicht einer sich kontinuierlich auftürmenden Welle der Vernichtung, die schlussendlich nichts als Schutt und Trümmer hinterlässt.
Nach den ersten zehn Minuten, die das unbeschwerte Leben in den 1930er Jahren zeigen, beginnt eine lange Sequenz, bei der die Luftangriffe zuerst noch undeutlich zu erkennen sind. Ein Lichtermeer bei Nacht lässt Städte und Straßen erahnen, in denen immer häufiger Bombenexplosionen aufblitzen. Sorgfältig nachvertont und untermalt vom Soundtrack des Komponisten Vladimir Golovnitski können diese Aufnahmen mit einer gewissen Distanz betrachtet werden. Einer Distanz freilich, die schon in der nächsten Sequenz kaum noch möglich ist, wenn ausgebrannte Häuser, Leichen und Menschen auf der Flucht das Leid der Zivilbevölkerung sichtbar machen.
Auseinandersetzung mit der Rüstungsindustrie
Dem Leid gegenübergestellt werden Aufnahmen hochindustrialisierter Kriegsmaschinerie: detaillierte Darstellungen vom Bau britischer und deutscher Bomber sowie die Wartung und Mobilmachung amerikanischer, deutscher und britischer Kampfflugzeuge. Dramaturgisch stellen sie das Zentrum des Films dar und wirken in ihrer Monotonie und Ähnlichkeit beinahe hypnotisch. Alle Kriegsparteien scheinen das Gleiche zu machen und können lediglich anhand der Insignien auf den Flugzeugen beziehungsweise der eingesetzten Flugzeugtypen voneinander unterschieden werden. So tut sich ein bedeutsamer Kontrast des Gezeigten zum Filmtitel auf.
Loznitsas Film ist vom Essay „Luftkrieg und Literatur“ des Literaturwissenschaftlers und Schriftstellers W. G. Sebald inspiriert. Sebald kritisiert in seinem vieldiskutierten Text die mangelnde Auseinandersetzung der deutschen Nachkriegsliteratur mit den Flächenbombardements. Dabei spricht er eben auch von einer „Naturgeschichte der Zerstörung“, einem Vernichtungswillen, der der Natur des Menschen eigen ist und die Zeitgeschichte dominiert. So kontrovers diese These sein mag, so verfänglich ist sie, wenn eine Darstellung der Kriegsindustrie als naturgegeben bezeichnet wird. Töten und Zerstören sind vor diesem Hintergrund ein unausweichliches Schicksal, und der Luftkrieg nur eine exemplarische Ausprägung unter vielen.
Rhetorik der Eskalation, bis in die Gegenwart
Der menschliche Vernichtungswillen kommt insbesondere auf der Tonebene zum Ausdruck. Die größtenteils mit Geräuscheffekten, Dialogfetzen und Golovnitskis Komposition nachvertonten Archivaufnahmen werden an vier Stellen von relevanten Reden des zweiten Weltkriegs begleitet. Die ersten beiden, zuerst General Montgomery und dann Premierminister Churchill, beschwören die Wehrhaftigkeit der Alliierten gegen Nazideutschland und fügen sich in die gewohnte Kriegsrhetorik. In der zweiten Filmhälfte aber, nachdem zahlreiche Bombardements bei Tag, Luftschlachten und Trümmerlandschaften gezeigt worden sind, versucht Offizier Arthur Harris (genannt „Bomber Harris“) die Flächenbombardements zu rechtfertigen.
Harris beantwortet seine rhetorische Frage, ob die Bombardierung der Zivilbevölkerung den Krieg beenden könne, damit, dass dies ausprobiert werden müsse. Er tut dies in einem erschreckend süffisanten Ton, der in seiner Grausamkeit nur noch von Joseph Goebbels Furor im letzten Zitat des Films übertroffen wird. In seinem sogenannten „Aufruf zur Vergeltung“ am 05.06.1943 schwört Goebbels die Bevölkerung auf den „Gegenterror“ ein, mit dem die alliierten Angriffe erwidert und eine Niederlage verhindert werden sollen. Während die drei vorherigen Redner noch auszugsweise im „On“ zu sehen waren, liegt Goebbels schneidende Stimme als Off-Kommentar unter den Bildern. Auf diese Weise losgelöst suggeriert sie quasi Überzeitlichkeit und eine unendliche Fortsetzung der Ereignisse.
Insbesondere die letzten Einstellungen des Films verstärken diesen Eindruck. Farbige Flugaufnahmen der zerstörten Städte erinnern frappierend an aktuelle Bilder aus Aleppo oder Mariupol. Die eingesetzten Waffen mögen heute moderner sein, doch die Taktik ist eine seit dem Luftkrieg unveränderte.
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Credits: „Luftkrieg – Die Naturgeschichte der Zerstörung“, ein Dokumentarfilm von Sergei Loznitsa. Eine Produktion von LOOKS Film, Atoms & Void und Studio Uljana Kim, zusammen mit RBB und MDR. 109 Min; ab 16.03.23 im Kino.
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Kinotour: In den kommenden Tagen finden Kinovorführungen mit Filmgespräch in Anwesenheit des Regisseurs Sergei Loznitsa statt. 17.03.2023, 19:00 Uhr im Filmmuseum, Potsdam. 18.03.2023, 17:00 Uhr im Abaton, Hamburg. 19.03.2023, 17:30 Uhr im Sputnik Kino, Berlin.