Am 27.04.2023 wird zum zweiten Mal der Roman Brodmann Preis für ein herausragendes Werk des politisch und gesellschaftlich relevanten Dokumentarfilms vergeben. Er ist vom Haus des Dokumentarfilms mit 10.000 € dotiert. Wir stellen den Namensgeber der Auszeichnung vor.
Vertreter der Stuttgarter Schule
Roman Brodmann, 1920 in der Schweiz geboren, war Journalist und Filmschaffender. Seine Karriere begann er 1943 beim Basler Volksblatt. Es folgten Stationen bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften, schließlich ging Brodmann als Autor und Moderator zum Schweizer Fernsehen. Nachdem er sich bei den Eidgenossen den Ruf des „Nestbeschmutzers“ erworben hatte, wechselte er nach Deutschland, zunächst zum neugegründeten ZDF, dann
1965 zum Süddeutschen Rundfunk (SDR) nach Stuttgart. Beim SDR gehörte Brodmann der später sogenannten Stuttgarter Schule an, einer Gruppe engagierter Fernsehpioniere, die seit Anfang der 1960er Jahre in der Dokumentarfilmabteilung des Senders neue journalistische Handschriften entwickelte.
Prominente Mitglieder waren Wilhelm Bittorf, Peter Dreesen, Georg Friedel, Peter Nestler, Helmut Greulich, Elmar Hügler und, die einzige Frau im Stab, Corinne Pulver. Die Dokumentarist:innen schufen mit der Sendereihe „Zeichen der Zeit“ einen Meilenstein westdeutscher Fernsehgeschichte. In ihren Filmen thematisierten sie aktuelle Aspekte der Bundesrepublik zur Zeit des Wirtschaftswunders, wie den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, den Massentourismus oder den Autokult. Der Blick der Stuttgarter Schule richtete sich dabei weniger auf das Beschauliche als auf das Widersprüchliche in Alltagsszenen und -dramen.
Brodmanns Meisterstück: „Der Polizeistaatsbesuch“
Diese Perspektive zeigte sich auch in Brodmanns „Der Polizeistaatsbesuch – Beobachtungen unter deutschen Gastgebern“ (1967). In seinem ARD-Meisterstück dokumentierte Brodmann den Besuch des persischen Schahs Mohammed Reza Pahlavi und seiner Ehefrau Farah Diba in der Bundesrepublik. Der Film schildert, mit welch enormen Aufwand der Staatsbesuch von deutscher Seite aus vorbereitet wurde. Zu sehen sind Geisterfahrten auf leeren, abgesperrten Autobahnen, ein pompöses Empfangskomitee sowie bis dahin beispiellose Sicherheitsvorkehrungen.
In Berlin eskaliert die Situation schließlich: Die zuvor mit Bussen angekarrten „Jubelperser“ gehen mit Dachlatten auf die Protestierenden los, die Polizei hält ihre schützende Hand über die Schläger. Mit Wasserwerfern und Gummiknüppeln greift sie die Demonstrierenden an. Die dramatischen Ereignisse gipfeln im Tod des Studenten Benno Ohnesorg. Roman Brodmanns Filmaufnahmen zeigen ihn am Boden liegend, tödlich getroffen von einer Kugel aus der Schusswaffe eines Polizisten. Zwar wurden Brodmanns Bild- und Tonaufnahmen im Gerichtsverfahren gegen den Polizeibeamten Karl-Heinz-Kurras, der den Schuss abfeuerte, nicht zugelassen, dennoch belegen sie ohne jeden Zweifel, dass Ohnesorg ermordet wurde.
Roman Brodmann gelang es dem „Polizeistaatsbesuch“ den Untertanengeist der deutschen Nachkriegesgesellschaft einzufangen und zu entlarven. Doch neben den schicksalhaften Vorkommnissen zeigt der Film auch die Geburtsstunde der Studentenbewegung von 1968.
Das Haus des Dokumentarfilms ist Herausgeber der DVD-Box „Zeichen der Zeit. Die Filme der Stuttgarter Schule”. Sie ist über absolut Medien verfügbar (ISBN: 978-3-89848-547-0; EAN: 978-3-89848-547-0) und enthält sechs DVDs.
Inhaltsübersicht:
DVD 1 / POLITIK
Die Vergessenen (1956, R: Peter Dreessen), Der Polizeistaatsbesuch (1967, R: Roman Brodmann), Die ausgezeichneten Deutschen (1973, R: Roman Brodmann), Bonusfilm: Das Beste an der ARD sind ihre Anfänge (1990, R: Meinhard Prill und Alexander Kluge)
DVD 2 / SPORT
Tortur de France (1960, R: Dieter Ertel), Die Borussen kommen (1964, R: Wilhelm Bittorf), Die Misswahl (1966, R: Roman Brodmann)
DVD 3 / FRAUEN
Die unzufriedenen Frauen (1963, R: Wilhelm Bittorf), Eine Hochzeit (1969, R: Elmar Hügler), Wegnahme eines Kindes (1971, R: Elmar Hügler)
DVD 4 / MILITARISMUS
Die deutsche Bundeswehr (1956, R: Heinz Huber), Schützenfest in Bahnhofsnähe (1961, R: Dieter Ertel), Eine Einberufung (1970, R: Elmar Hügler)
DVD 5 / ARBEIT UND KULTUR
Ödenwaldstetten (1964, R: Peter Nestler), Der Untergang der Graf Bismarck (1967, R: Wilhelm Bittorf), Kunst und Ketchup (1966, R: Elmar Hügler), Fernsehfieber (1963, R: Dieter Ertel)