Das zusammen mit dem Roman Brodmann Preis ins Leben gerufene Kolloquium widmet sich neben den Herausforderungen des dokumentarischen Autorenfilms insbesondere dem Thema Medienfreiheit – genauer ihrer weltweit wachsenden Bedrohung. 2022 stand die Situation Medienschaffender in der Ukraine im Fokus. 2023 waren es die persönlichen Herausforderungen international arbeitender Reporter:innen. Das Panel „Telling the Story of Media Freedom“ moderierte Christian Mihr von „Reporter ohne Grenzen“. Den Impuls für die Diskussion lieferte die Keynote des israelischen Dokumentarfilmers und Fernsehjournalisten Itai Anghel.
Veranstaltung erneut in Berlin zu Gast
Die Veranstaltung vom Haus des Dokumentarfilms · Europäisches Medienforum Stuttgart e.V. (HDF) und Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) durfte zum zweiten Mal in der Berliner Landesvertretung von Rheinland-Pfalz stattfinden, dank großzügiger Unterstützung von Staatssekretärin Heike Raab.
„Wir wollen ein Zeichen setzen für mehr Medienfreiheit, denn sie ist ganz klar in Gefahr. [...] Der Dokumentarfilm dokumentiert, belegt, recherchiert. Er ist eine Grundlage für Vielfalt und den gesellschaftlichen Diskurs. Deshalb sind solche Preise wie der Roman Brodmann Preis und dieses Kolloquium ein absoluter Leuchtturm, wenn es um den Kampf für mehr Medienfreiheit geht.“
Medienpolitikerin Heike Raab in ihrem digitalen Grußwort
Keynote von Itai Anghel – Einsatz in Kriegs- und Krisengebieten
Der israelische Fernsehjournalist, Dokumentarfilmer und Kriegsberichterstatter Itai Anghel arbeitet seit rund drei Jahrzehnten in Konfliktzonen wie den Irak, Pakistan, Bosnien, Gaza, Libanon, der Demokratischen Republik Kongo, Haiti und zuletzt in der Ukraine („Alone in Donbas“, 2023). Er erzählt politische Krisen heruntergebrochen auf eindringliche persönliche Geschichten – die Menschen vor Ort und ihr Schicksal dabei fest im Blick. 2007 wurde Anghel mit dem renommierten „Sokolov Award“ gewürdigt, der als eine der prestigeträchtigsten Auszeichnungen für den israelischen Journalismus gilt.
„Wie Sie alle wissen, bewegt sich der Journalismus zunehmend weg von Feldeinsätzen und hin zu Studioproduktionen. Denken Sie darüber einmal nach: Die sprechen im Studio über Orte, an denen sie noch nie selbst gewesen sind und über Menschen, die sie noch nie selbst getroffen haben“, hob er in seiner Keynote „Reporting on the Unimaginable“ hervor. Die Entscheidung für seine eigene Arbeitsweise habe er zu Beginn seiner Karriere bewusst getroffen, denn nur die Vor-Ort-Berichterstattung öffne ein Fenster zur echten Welt. Für einen Bericht aus dem Inneren der Terror-Miliz Islamischer Staat etwa interviewte er ISIS Kämpfer zu ihren Gräueltaten. Sein zur gleichen Zeit in Syrien arbeitender US-amerikanischer Kollege James Wright Foley, ein Freund Anghels, überlebte einen ähnlichen Einsatz nicht. Foley wurde im August 2014 vom ISIS vor laufender Kamera enthauptet. „Ich habe seine Mutter getroffen und mir vorgestellt, wie es wäre, wenn jemand – Gott bewahre – auf meine Mutter zugehen würde, weil mir etwas passiert. […] Diesen Gedanken habe ich immer im Hinterkopf.“
Dokumentarfilm „Alone in Donbas“, 2023
Itai Anghel drehte zuletzt in Bachmut in der Ost-Ukraine, wo die berüchtigten Wagner-Söldner um die russische Vormacht kämpfen. „Das ist zurzeit vermutlich die gefährlichste Stadt der Welt. Aber ich habe getan, was in meinen Augen der einzig korrekte Ansatz für einen Dokumentarfilmer ist: nämlich mehrere Wochen so gelebt, wie es die Menschen dort tun. […] Allerdings konnte ich Bachmut danach wieder verlassen und mich in Sicherheit bringen“, erzählte Itai. „Gleichzeitig weiß ich, dass die Menschen, die ich getroffen habe, noch immer dort sind. Ich habe keine Ahnung, wie es ihnen ergangen ist, aber ich bekomme diese Bilder einfach nicht aus dem Kopf und gehe vom Schlimmsten aus. Ihre Gegend ist jetzt in der Hand der Wagner-Gruppe, die aus verurteilten Kriminellen, darunter auch Vergewaltiger und Mörder, besteht.“
Im Dokumentarfilm „Alone in Donbas“ sieht man ukrainische Familien, die provisorischen Schutz vor Bombenangriffen in Kellern suchen. Man hört Einschläge. Detonationen. Kinderstimmen und Weinen. Die Kamera folgt einem Soldaten an die Frontlinie mitten im Nirgendwo eines Waldes. „Dort drüben steht der Feind.“ – „Können sie uns sehen und hören?“ – „Ja, mach leise.“ Später hat Anghel erfahren: Der Soldat, den er für den Film begleitet hat, ist nach den Dreharbeiten gefallen. Eine andere Protagonistin hilft als Freiwillige in einem Krankenhaus. Auch sie, so weiß Anghel heute, kam bei ihrem Einsatz ums Leben.
„Wir wissen natürlich, dass Zehntausende in Bachmut gestorben sind. Aber es sind genau diese persönlichen Geschichten, die den Unterschied machen und etwas bewegen können – mehr als es diese erschreckenden Zahlen je tun könnten.“
Itai Anghel während seiner Keynote
Panel „Telling the Story of Media Freedom“
Der Aspekt, was mit Protagonist:innen und sogenannten „Fixern“ passiert, die man nach einem Projekt zurücklässt, wurde im Panel „Telling the Story of Media Freedom“ vertieft. Mit Christian Mihr, Geschäftsführer Reporter ohne Grenzen, diskutierten Itai Anghel sowie die Reporterin, Filmemacherin und Aktivistin Theresa Breuer (u. a. Hilfsprojekt Kabul Luftbrücke), Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Anna Litvinenko von der Freien Universität Berlin sowie der Journalist und Regisseur Matt Sarnecki („The Killing of a Journalist“, 2022).
Investigative Journalist:innen auf der „Abschussliste“
„Wir gehen Risiken ein, um Dinge zu verändern“, fasst Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen zusammen. Das ist auch die Motivation von Matt Sarnecki. Der US-Amerikaner ist Senior Producer beim Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), das auf die Enthüllung von kriminellen Machenschaften vor allem in Osteuropa und Russland spezialisiert ist. Nach „Killing Pavel“ (2017) thematisiert auch Sarneckis Dokumentarfilm „The Killing Of A Journalist“ (2022) den Mord an einem Investigativ-Journalisten, der unbequem geworden war. Die Umstände des Verbrechens an Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová führten in der Slowakei zu monatelangen Protesten und schließlich zum Rücktritt des Premierministers Robert Fico und der Inhaftierung zahlreicher ranghoher Amtsträger wie Richtern und (sogar) dem Polizeipräsidenten.
Sarnecki erinnerte daran, dass die Morde an Ján Kuciak in Slowenien oder Daphne Caruana Galizi auf Malta in Europa zumindest aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft werden konnten. Anders sehe es jedoch in Ländern wie Russland oder Mexiko aus, „Orte, an denen es keine Rechtsstaatlichkeit gibt“. Mehr Sicherheit für Medienschaffende gelinge daher in seinen Augen nur über den Kampf um und die Verankerung von demokratischen Werten.
Frontlinien virtueller Kriegsführung
Die in Russland geborene Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Anna Litvinenko hat ukrainische Wurzeln. Sie lebt und arbeitet in Deutschland. Litvinenko schaut aus wissenschaftlicher Perspektive u. a. auf Desinformationskampagnen, wie sie Russland seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine systematisch führt, sowie auf die Bedeutung von „Fact Checking“ und den Stellenwert einer sauberen Recherche. Sie forscht u. a. zu Bedingungen, die journalistische Arbeit von Oppositionellen im Exil prägen und fragt nach dem Umgang mit dem Neutralitätsgebot, wenn etwa grundlegende Werte wie Frieden oder die Unantastbarkeit eines Menschenlebens bedroht sind. „Ich erinnere mich gut daran, wie ein Chefredakteur von einem unabhängigen Nachrichtenportal zu mir gesagt hat: ‚Nur ein neutraler Beobachter zu sein, heißt seit dem 24. Februar 2022 für den russischen Krieg zu sein.‘“
Darüber hinaus thematisierte das Panel die sogenannte „News Fatigue“. Gemeint ist, dass Berichterstattung über bestimmte Krisen oder Kriege, zum Beispiel in Afghanistan oder Syrien, irgendwann aus unseren Nachrichten verschwindet, weil die Aufmerksamkeit zu neuen Brennpunkten, aktuell die Ukraine oder der Iran, gewandert ist. Itai Anghel hatte diesen Aspekt bereits in seiner Keynote erwähnt, in Bezug auf Themen, die Journalist:innen ihren Redaktionen anbieten. Diese hätten auf dem Nachrichtenmarkt nun mal „ihre Zeit“, der russische Krieg gegen die Ukraine sei jetzt omnipräsent. Kriege und Krise in anderen Teilen der Welt, selbst wenn sie in ihrer Dimension ähnlich seien, hätten dagegen keine Chance. Mit diesem Widerspruch seien Reporter:innen und Recherchenetzwerke ständig konfrontiert.
Dr. Anna Litvinenko betonte, dass der Nachrichtenmarkt längst nicht mehr nur von Redaktionen bestimmt werde, sondern mit den sozialen Medien neue Player am Markt sind. „Schon während des Syrien-Konflikts hat Social Media eine große Rolle gespielt. Mit der Ukraine hat das nochmal deutlich an Fahrt aufgenommen. Tik Tok ist voll mit Footage aus der Ukraine, was vor allem Einfluss auf die jüngere Generation hat“. Darunter fände sich authentisches Material, aber genauso gezielte Propaganda, die durch Trolle, Bots und „War-Influencer“ ausgespielt werde. „Heute geht es oft darum, wer am lautesten schreit und das prominenteste Gesicht hat“, brachte es Sarnecki mit Blick auf die sich wandelnde Rezeption auf den Punkt.
Aktivismus vs. Journalismus
Theresa Breuer unterstrich, dass selbst große Sendeanstalten und Medienhäuser nicht gegen die Übernahme von falschen Narrativen und Vorurteilen gefeit seien. Die Realität sei oft viel düsterer, komplizierter und vielschichtiger als ein einfacher Claim oder eine Meinung, die als Fakt verkauft werde. „Die Wahrheit liegt nicht an der Oberfläche, sie ist gut darunter versteckt“, sagte sie. „Nichts kann die Recherche vor Ort ersetzen. […] Und egal, was passiert und was du tust: Lügen sind absolut tabu.“
Die Krisenreporterin war 2021 in Kabul und erlebte das Chaos, als der Nato-Einsatz abrupt endete und die örtlichen Helfer der Streitkräfte und NGOs nicht aus dem Land kamen. Breuer hatte über zwei Jahre lang einen Film über die ersten afghanischen Bergsteigerinnen gedreht und kennt sich in Afghanistan bestens aus. Sie stellte in kürzester Zeit eigenverantwortlich ein Evakuierungsprojekt auf die Beine, die „Kabul Luftbrücke“. Inzwischen hat die Initiative mehr als 3000 Menschen in Sicherheit gebracht. „Ich habe im Prinzip alle kontaktiert, die ich kannte, und gefragt, ob sie mir helfen können.“ Das mit dem Urania Courage Preis ausgezeichnete Hilfsprojekt flog zunächst vor allem Frauen aus – darunter lokale Guides, Übersetzer und Fixer, die westliche Journalist:innen und Reporter:innen vor Ort bei ihrer Arbeit unterstützt hatten.
Breuer bekam jedoch auch Gegenwind für ihre Aktion, wie sie beim Kolloquium berichtete. „Was mich traurig macht und mir seltsam erscheint, ist, dass mir von Anfang an Leute gesagt haben: ‚Jetzt bist du Aktivistin und kannst nicht mehr zurück in den Journalismus.‘ […] Schließlich sei ich ja jetzt nicht mehr neutral. Das finde ich heuchlerisch, frustrierend und alles andere als hilfreich.“ Breuer machte trotzdem weiter: „Mittlerweile ist mir klar geworden, dass ich nur etwas bewegen kann, wenn ich Aktivismus und Journalismus miteinander verbinde.“
alle Fotos © Knut Koops (sofern nicht anders angegeben)