Geschichtsdoku-Tipps für den Monat Juni 2023

Dramatische Ereignisse der 1950er, 1980er und 2000er Jahre stehen im Fokus der empfehlenswerten historischen Dokumentationen im Juni 2023. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Themen Feminismus und trans* Identität.

Info
Die Geschichtsdoku-Tipps stellen Fernsehproduktionen vor, die sich mit zentralen Ereignissen des 20. Jahrhunderts und der jüngsten Vergangenheit beschäftigen. Oft zeichnen sie sich durch den Einsatz von aufwändig recherchiertem und aufbereitetem Archivmaterial aus. Auf weitere Eingrenzungen verzichtet die Redaktion, um die Vielfalt des Formats zu spiegeln.

„Aufstand der Frauen“

Der Aufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR ist eine der ersten Protestbewegungen gegen die sozialistische Herrschaft in den Ostblock-Staaten. Ausgelöst von geplanten Erhöhungen der Arbeitsnorm (einer Vorgabe, wie viel Arbeit in einem bestimmten Zeitraum zu leisten war) begannen die Proteste am 12. Juni. Am 17. Juni erreichten sie ihren Höhepunkt und wurden von den eingreifenden sowjetischen Truppen blutig niedergeschlagen. Insgesamt starben 55 Menschen während und in Folge des Aufstands. Ein Ausbau der Staatssicherheit und jahrzehntelanges Verdrängen waren das Resultat.

Sabine Michels Geschichtsdoku „Aufstand der Frauen“ widmet sich dieser dramatischen Zeit aus einer weiblichen Perspektive. Die Ereignisse werden detailliert mit Archivaufnahmen und Expert:innen-Interviews nachgezeichnet, doch im Fokus steht ausdrücklich die Rolle der Frauen während des Aufstands. Sie haben Reden gehalten, sind mitmarschiert, haben politische Gefangene befreit oder die Proteste dokumentiert. Der Film geht dabei ganz besonders auf Jutta-Regina Lau sowie Erna Dorn und ihre sehr unterschiedlichen Schicksale ein. Lau war an den eindrücklichen Bildern vom 17. Juni 1953 in Halle beteiligt, die der Kameramann Albert Ammer gemacht hat und für die er zu drei Jahren Haft verurteilt worden ist. Mit Sabine Michels Film wird die Geschichtsschreibung des 17. Juni um eine weitere, spannende Facette reicher.

  • Sendetermin: Montag, 12.06.23, 23:35 Uhr (Erstausstrahlung) und vom 12.06.2023 bis 12.06.2024 in der ARD-Mediathek.
  • Credits: „Aufstand der Frauen“, eine Dokumentation von Sabine Michel. Eine Produktion von solo:film gemeinsam mit WDR und rbb.

„Wir sind Frauen, wir sind stark! – Das Friedenscamp von Greenham“

Schon während des Zweiten Weltkriegs wurde die Militärbasis „Greenham Commons“, südöstlich des englischen Newbury, von der US Airforce genutzt. Die Amerikaner blieben auch während des Kalten Krieges vor Ort und beschlossen 1980 in Greenham thermonuklear bestückte Marschflugkörper des Typs „Gryphon“ zu stationieren. Bald darauf regte sich Widerstand in der Bevölkerung. Im August 1981 entschied sich eine Gruppe von 36 Frauen aus Cardiff in Wales zu einem Friedensmarsch und errichtete am 5. September ein Camp vor der Basis.

Sonia Gonzalez‘ einstündige Geschichtsdoku „Wir sind Frauen, wir sind stark! – Das Friedenscamp von Greenham“ zeichnet mit Archivaufnahmen und Interviews mit den Aktivistinnen die Entstehung und die Aktionen des Camps nach. Im Fokus stehen die Menschenketten und Blockaden von 1982 und 1983 an denen zig Tausende Frauen teilnahmen. 1991 verließen die letzten Raketen die Basis, doch das Camp blieb als Mahnmal bis zum Jahr 2000 bestehen. Das Besondere an dem Protestcamp war, dass schon sehr früh, ab Februar 1982, ausschließlich Frauen als Protesteilnehmerinnen zugelassen waren. Die Doku beleuchtet gekonnt diese wenig bekannte Schnittstelle zwischen Friedensbewegung und Feminismus. Arte zeigt sie im Rahmen des Themenabends „Außergewöhnliche Frauen: Power, Protest, Emanzipation“.

  • Sendetermin: Dienstag, 13.06.2023, 23:15 Uhr auf Arte (Erstausstrahlung) und vom 06.06.2023 bis 11.10.2023 in der Arte-Mediathek.
  • Credits: „Wir sind Frauen, wir sind stark! – Das Friedenscamp von Greenham“, eine Dokumentation von Sonia Gonzalez. Eine Produktion von Tangerine Productions in Koproduktion mit Arte France.

„Casa Susanna“

Während 1952 Christine Jorgensens geschlechtsangleichende Operation in den USA als Sensation gefeiert wurde und sie zu einer Medienpersönlichkeit machte, lebten andere trans* Menschen im Verborgenen. Für Männer war es illegal, Frauenkleider zu tragen und an ein offenes Ausleben der eigenen trans* Identität war nicht zu denken. Dieser konfliktreichen Zeit und insbesondere ihren emotionalen Herausforderungen widmet sich Sébastien Lifshitz’ Dokumentarfilm „Casa Susanna“. Er portraitiert die gleichnamige Bungalow-Siedlung am Fuße der Catskill Mountains im Bundesstaat New York, die an Wochenenden zu einem Treffpunkt von Crossdressern und trans* Frauen wurde.

In langen, intimen Interviews berichten zwei der damaligen Protagonistinnen, Katherine and Diana, von ihrem Leben in den 1950er Jahren, der Bedeutung der „Casa Susanna“ für ihre Entwicklung und den Herausforderungen, als trans* Frauen akzeptiert zu werden. Dazu kommen Interviews mit Betsy Wollheim, deren Vater, der Science-Fiction Autor Donald A. Wollheim, unter dem Namen Donna ebenfalls Gast der „Casa Susanna“ war, und Gregory Bagarozy, dessen Großeltern diesen einzigartigen Zufluchtsort gegründet hatten. Viel Platz wird zudem den Fotos eingeräumt, die damals entstanden sind und deren Entdeckung Anfang der 2000er Jahre dazu geführt hat, dass die Geschichte der „Casa Susanna“ ans Licht kam. Der Film bietet so ein facettenreiches, emotionales Portrait einer Zeit, die in unserer Gegenwart fortwirkt.

  • Sendetermin: Mittwoch, 14.06.2023, 22:05 Uhr auf Arte (Erstausstrahlung) und vom 07.06.2023 bis 20.06.2023 in der Arte-Mediathek.
  • Credits: „Casa Susanna“, ein Dokumentarfilm von Sébastien Lifshitz. Eine Koproduktion von Agat Films & Cie, Arte France und American Experience Films gemeinsam mit BBC Storyville.

„Afghanistan – Verlorenes Land“

Der Abzug der USA und ihrer NATO-Partner aus Afghanistan im Jahr 2021 markiert das Ende einer 20 Jahre währenden Operation, die eigentlich Frieden in das Land bringen sollte. Die tragischen Folgen dieses Abzugs sind bekannt. Die Machtübernahme durch die Taliban hat das Land in eine tiefe humanitäre Krise gestürzt, vor der der Westen die Augen verschließt. Wie es zu dem Abzug kam, welche Fehler in der vorangegangenen Zeit gemacht worden sind und wie der Einsatz überhaupt begann, zeichnet Jack MacInnes in seiner zweiteiligen Geschichtsdoku „Afghanistan – Verlorenes Land“ nach. Neben den einordnenden Interviews mit Expert:innen und Zeitzeug:innen wird mit großem Gespür für Dramaturgie emotionales Archivmaterial montiert. Dem Film gelingt es dadurch, die komplexe geopolitische Situation äußerst packend darzustellen.

  • Sendetermin: Vom 06.06.2023 bis 31.03.2024 In der ZDF-Mediathek.
  • Credits: „Afghanistan – Verlorenes Land“, eine zweiteilige Dokumentation von Jack MacInnes. Eine Produktion der BBC.