Deutscher Dokumentarfilmpreis ex aequo vergeben
Wenn Filmpreise ex aequo vergeben werden, eine bedeutende Auszeichnung in Euro also nur noch halb-bedeutend ist, wünscht man sich schon mal, die Jury hätte mehr Entschlossenheit gezeigt. Die diesjährige Prämierung zum Abschluss des SWR Doku Festivals lässt uns mit der Doppelbestückung, die dort schon 2020 und 2022 vorkam, endlich einmal nicht hadern.Über den Dächern von Beirut: KASH KASH
KASH KASH entstand als Abschlussarbeit an der Filmakademie Baden-Württemberg. Lea Najjars Langfilmdebüt führt in den Mikrokosmos junger Männer von Beirut, die auf den Dächern der von Armut geprägten muslimischen Vierteln Tauben züchten und in Wettkämpfen versuchen, sich ihre Taubenschwärme gegenseitig abzujagen. Ein leidenschaftlicher Volkssport, der an vielen Orten des Libanon verbreitet ist und Kash Hamam heißt.Als eine gigantische Explosion die Hauptstadt des Libanon verwüstet und den Menschen in Beirut buchstäblich das Leben um die Ohren fliegt, [überlegt das Team,] das Filmprojekt aufzugeben. „Machen wir wirklich einen Film über Tauben? Wenn die ganze Stadt explodiert? Aber nach ein paar Tagen haben die Männer mit ihren Tauben weitergespielt, und dann dachten wir, wenn sie weiterspielen, dann können wir auch weiter filmen“, sagt Lea Najjar in einem Interview. In diesem handwerklich meisterhaften Film erzählen die Filmemacherin und ihr Editor Tobias Wilhelmer vom Überlebenskampf in Zeiten des politischen Umschwungs, vom Lachen und der Sehnsucht nach Freiheit in einer untergehenden Welt.
aus der Laudatio
Fast hätten wir im Haus des Dokumentarfilms gewettet, dass KASH KASH unseren Förderpreis gewinnt. Die Jury hat es besser gemacht und den großartigen Abschlussfilm aus Ludwigsburg mit dem Hauptpreis ausgezeichnet.
Das Grauen des Krieges: WHEN SPRING CAME TO BUCHA
Der zweite mit dem Hauptpreis ausgezeichnete Dokumentarfilm WHEN SPRING CAME TO BUCHA wurde 2022 wenige Wochen nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine gedreht. Die Stadt in der Region von Kyiv war 35 Tage lang Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen russischen und ukrainischen Truppen. Als die Russen abzogen, wurden in dem Gebiet Hunderte getöteter Zivilisten gefunden, auf den Straßen liegend, teils mit Folterspuren und auf dem Rücken gefesselten Händen. Die in Berlin lebenden Filmschaffenden Mila Teshaieva (Regie) und Marcus Lenz (Ko-Regie und Kamera) brachen sofort in das zerstörte Butscha auf und dokumentierten die Räumarbeiten der Nothelfer:innen.
Der observierende Dokumentarfilm „When Spring Came to Bucha“ beschäftigt sich nicht mit Kampfhandlungen in den Schützengräben oder Feuergefechten zwischen Panzern. Und trotzdem kommt er dem Angriffskrieg in der Ukraine so nah wie nur möglich. Er konzentriert sich auf normale Menschen und deren Anstrengung zur Rückkehr in ein normales Leben ohne ständige Todesangst. Mila Teshaieva und Marcus Lenz haben sich für eine intensive Auseinandersetzung mit den Leuten vor Ort entschieden. Sie zeigen eine Stadt bei der Arbeit, wir erleben Menschen mit Tatendrang und hoher Widerstandsfähigkeit. Entstanden ist ein sehr bewegender, aktueller und wichtiger Film über die Einwohner von Butscha, die darum kämpfen, nach dem Unfassbaren wieder ein Gefühl von Normalität zu erlangen. In diesem handwerklich meisterhaften Film erzählen die Filmemacherin und ihr Editor Tobias Wilhelmer vom Überlebenskampf in Zeiten des politischen Umschwungs, vom Lachen und der Sehnsucht nach Freiheit in einer untergehenden Welt.
aus der Laudatio
Ferner ausgezeichnet wurden:
- Ole Jacobs und Arne Büttner für ihr Langfilmdebüt „Nasim“ mit dem HDF-Förderpreis
- Wim Wenders mit dem Ehrenpreis fürs Lebenswerk
- Lutz Pehnert für seinen Film „Bettina“ mit dem Musikpreis des SWR
- Kristof Gerega für „Generation Euromaidan“ mit dem Publikumspreis der SWR Landesschau, gestiftet von der LFK und der MFG
(noch bis 14.11.23 in der Mediathek verfügbar)