Meister der vielschichtigen Bilder: Thomas Plenert gestorben

Der Kameramann Thomas Plenert prägte die Filme renommierter Regisseur:innen wie Volker Koepp, Helke Misselwitz oder Jürgen Böttcher. Am 15.07.2023 ist er im Alter von 72 Jahren gestorben. Seine klaren, vielschichtigen Bildkompositionen werden fehlen.

Filmausbildung der DDR

Thomas Plenert wird 1951 in Nauen in Brandenburg als Sohn eines Kinderarztes geboren. Nach seinem Schulabschluss arbeitet er zunächst als Volontär beim Fernsehen der DDR. Es folgt ein Studium an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. In seinen Anfängen ist Plenert vor allem von den Arbeiten des Kameramanns Christian Lehmann beeinflusst, der dem Optischen im Dokumentarfilm und dem subjektiven Zugang zu Menschen eine große Rolle beimisst.

Nach seinem Abschluss erhält er eine Anstellung beim Dokumentarfilmstudio der DEFA. Dort realisiert er u. a. Filme mit Jürgen Böttcher. Mit Helke Misselwitz entsteht eine lebenslange Arbeitsgemeinschaft. Gemeinsam realisieren sie Filme über Frauen in der DDR, die zur damaligen Zeit nicht im Fokus des DEFA-Studios standen.

Ihr erstes gemeinsames Projekt „Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann“ (1989) porträtiert eine Kohlehandlung in Ost-Berlin, dessen Inhaberin und ihre Arbeiter. In ideologiefreien schwarz-weiß Bildern fängt Plenert den kohleverschmierten Arbeitsalltag zwischen Alkoholismus, Kriminalität und Familienleben behutsam ein.

In „Winter Ade“ reisen Plenert und Misselwitz durch Ostdeutschland und berichten in Episoden von verschiedenen Frauenbiografien. Unter einer Zugbrücke an die Wand gelehnt, schildern Anja und Kerstin, zwei jugendliche Mädchen, wie sie von zu Hause weggelaufen sind. Die Kamera schwenkt im Gespräch immer wieder auf das Wasser eines unter der Brücke gelegenen Flusses und erzählt vom „sich treiben lassen“ und dem Wunsch nach Freiheit.  

Filmstill „Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann“
Filmstill „Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann“, © DEFA
Dreharbeiten zu „Winter Adé“, Copyright Michael Loewenberg
Dreharbeiten zu „Winter Adé“, © Michael Loewenberg

Vielschichtige Bilder

Bereits in Thomas Plenerts frühen Arbeiten wird deutlich, dass seine Aufnahmen mehr als eine Bestandsaufnahme der Realität sind. Kluge Bildkompositionen greifen das Erzählte immer wieder auf und führen es weiter. Dazu werden Gesprächssituationen oft in Halbtotalen gezeigt. Es bleibt Zeit Wohnräume, Körperhaltungen und Gesten genau zu beobachten. So entsteht im Bild eine neue Ebene, eine Sozialstudie, die weit über das Gesprochene hinausgeht. Häufig wird ihm nachgesagt, er sei der eigentliche Regisseur hinter seinen Filmen.

Helke Misselwitz und Volker Koepp im Nachruf der Akademie der Künste vom 18.07.2023

„Kein anderer konnte Menschen, Landschaften und Meere mit solcher Zärtlichkeit in der Bewegung ablichten wie unser Freund Thomas Plenert. Ein großer Kameramann. Nun ist er uns vorausgegangen, unerwartet. Er hat Grüße geschrieben, Vorschläge gemacht für neue Arbeiten, keine vier Wochen ist es her … ‚Neugierig bleiben und reagieren‘, das sind die beiden Fähigkeiten, die Thomas selbst als die wichtigsten seines Berufes bezeichnet hat. Neben dem Wissen, in welchem Licht man Menschen, Landschaften oder Räume fotografiert, wann man in die Bewegung geht und wann es besser ist, bei der Sache zu bleiben, wusste er, dass die Beziehung zwischen Kamera und Regie für die fotografische Stimmung am Ort des Geschehens wesentlich ist. Wenn es zwischen den beiden stimmte, wurde es produktiv, entstand Bleibendes. Für die Filmkunst und fürs Leben. Das haben wir beide erfahren dürfen. Tommy hat den Mond zwischen New York, Marzahn, Czernowitz und Tbilissi nicht nur leuchten gesehen und gedreht, sondern vor allem in seinem fotografischen Gedächtnis gespeichert. Sein Gedächtnis schien unendlich aufnahmefähig. Wenn ein lebendiger Impuls darauf traf, holte er Bilder daraus hervor, die einen bezaubern und das Gefühl vermitteln, dass man nicht allein auf der Welt ist und dass nichts vergessen wird.“

Menschen und Landschaften in Ostpreußen

Thomas Plenert übernimmt bei fast allen Dokumentarfilmen von Volker Koepp die Bildgestaltung und verleiht dessen Erzählungen von Menschen und Landschaften in den Gebieten des ehemaligen Ostpreußens einen ganz eigenen Stil. Für die gemeinsame Arbeit an „Kalte Heimat“ (1994/95) wurde er mit dem Deutschen Filmpreis für die Beste Kamera ausgezeichnet.

In „Holunderblüte“ (2008) begibt er sich mit Koepp in das Gebiet um Kaliningrad. In unaufgeregten Bildern berichten Kinder von ihrer ländlichen Heimat, die von Arbeitslosigkeit und Alkoholismus der Eltern geprägt ist. In einer Szene stehen sie im rauen Wind am Meer vor einem Geländer. Fast sieht es so aus als würden sie weggeweht, doch irgendwie halten sie Stand. Eine großartige Metapher für die Geschichte des Films.

Ihr wohl bekanntester Film „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ (1999) erzählt von einer besonderen Freundschaft in Czernowitz in der Ukraine. Das ungleiche Paar gehört zu den wenigen jüdischen Überlebenden in der Gegend und trifft sich abends zum gemeinsamen Gespräch über Kultur und Politik. Plenert positioniert seine Kamera den beiden gegenüber. Die Cadrage ändert sich fast nie. Er schaut ihnen einfach zu.

Filmstill „Holunderblüte“, Copyright: Salzgeber
Filmstill „Holunderblüte“, © Salzgeber
Herr Zwilling und Frau Zuckermann
Filmstill von „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“, © Salzgeber

Spielfilme und Serien

Auch wenn Plenert vor allem Dokumentarfilme drehte, holen ihn immer wieder Spielfilmregisseure ins Boot. Er arbeitet u. a. mit Lothar Warneke („Die Beunruhigung“, 1982) Bernd Böhlich („Du bist nicht allein“, 2007) und Werner Schroeter („Diese Nacht“, 2008). Für Wim Wenders „Himmel über Berlin“ (1987) drehte er Bilder von Ostberlin. Auch das Fernsehen war seinem Talent gegenüber nicht abgeneigt. So realisierte er u. a. mehrere Folgen der Reihen „Die Kommissarin“, „Stubbe – Von Fall zu Fall“ und „Polizeiruf 110“.

Was bleibt

Plenert war für viele Studierende der Filmuniversität Babelsberg Vorbild, etwa für Peter Badel, Julia Kunert oder Lars Barthel. Auch bei der heutigen jungen Generation, die sich an der Kamera ausbilden lässt, ist die Strahlkraft seiner Bildbestaltung ungebrochen. In „Die Frau des Dichters“ von Helke Misselwitz (2021) kann man ein letztes Mal mit seinen Augen schauen. Der Dokumentarfilm porträtiert die türkische Künstlerin Güler Yücel und feierte seine Weltpremiere 2022 bei Doclisboa. 

https://www.youtube.com/watch?v=Ha4F4wqTU5g