In „Für Immer“ erzählt Grimme-Preisträgerin Pia Lenz von Eva und Dieter Simon. Das Paar ist seit 70 Jahren zusammen, hatte Höhen und Tiefen. In der Langzeitdokumentation geht Lenz der Frage nach, wie sich die Liebe zum Lebensende hin verändert.
Was bleibt am Ende?
Regisseurin Pia Lenz begleitete die Eheleute Eva und Dieter Simon in ihrem Haus in Hamburg Harburg bis an das Ende ihrer gemeinsamen Zeit. Die Inspiration für ihren einfühlsamen Dokumentarfilm „Für Immer“ bezog sie aus ihrem privaten Umfeld. „Meine Oma hat meinen Opa lange gepflegt. Dabei habe ich mitbekommen, dass sich die Beziehung zwischen den beiden sich noch einmal stark veränderte. Und obwohl das damals eine sehr herausfordernde Zeit war, habe ich als Enkeltochter die beiden in dieser Situation zum ersten Mal als wirkliches Liebespaar erlebt. In mir sind damals ganz viele Fragen entstanden, die ich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht formulieren konnte“, erzählt sie bei der DOK Premiere in Stuttgart.
Mittlerweile habe sie es gelernt: „Was passiert mit unseren ganzen Träumen? Was mit den Konflikten, die sich vielleicht im Leben nicht aufgelöst haben? Was macht das nahende Ende mit einem und gibt es da nochmal irgendwelche Antworten oder gibt es keine?“
Grimme-Preis öffnet Türen
Bereits vor ihrem Dokumentarfilm „Alles gut“, für den Pia Lenz 2018 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, sprach sie mit einer Redaktion über diese Idee: „Damals erschien es mir jedoch völlig utopisch, sie realisieren zu können, denn so ein Projekt ist schwer zu planen. Der Grimme-Preis hat dabei tatsächlich sehr geholfen. Zum Glück waren meine Produzenten dafür offen.“
Lenz hegte lange die romantisch anmutende Hoffnung, das passende Paar für ihr Projekt zufällig im Park oder im Theater zu treffen. Als diese unerfüllt blieb, beschloss die Produktion, der Findungsphase mit einer Zeitungsanzeige auf die Sprünge zu helfen. „Eva und Dieter waren dann auch die einzigen, die ich getroffen habe. Als ich 2018 zum ersten Mal mit den beiden in ihrem Garten saß, da wusste ich bereits, dass ich das gerne mit ihnen machen wollen würde. Wir waren uns auf Anhieb sympathisch. Und ich hatte großes Glück: bei Eva bin ich offene Türen eingelaufen. Sie hat das immer sehr gerne gemacht. Dieter hat eher seiner Frau zuliebe mitgezogen. Wir mussten unsere gemeinsame Ebene erst finden“, berichtet Lenz.
Besondere Grundvoraussetzungen
Wie die Praxis des Filmdrehs sich im Einzelnen genau darstellt, kann im Vorfeld niemand genau abschätzen. Zu Beginn habe sie ihren Protagonist:innen ihr Vorhaben detailliert beschrieben. Zudem habe sie sie darauf vorbereitet, „dass das auch ganz schön anstrengend werden kann, wenn ich dauernd da bin und Fragen stelle.“ Diese ohnehin herausfordernden Umstände wurden noch durch die Prämisse des Projektes verstärkt: Es sollte mit dem Tod von einem von beiden enden. „Das hatte ich auch von Anfang an mit ihnen so besprochen. Aber das ist dann so abstrakt: wenn man anfängt zu filmen, ist das alles weit weg,“ so Lenz über den Beginn der Dreharbeiten. Letztendlich sollten sie gute drei Jahre dauern.
Nähe entsteht durch Bindung
Langzeitbeobachtungen gelten nicht umsonst als Königsdisziplin des dokumentarischen Genres. Sie verlangen ein besonderes Maß an Empathie, Loyalität und Fingerspitzengefühl. Bedingt durch den langen Zeitraum kann ein solches Vorhaben nur gelingen, wenn sich zwischen Filmschaffenden und Portraitierten eine vertrauensvolle wechselseitige Beziehung ausbildet. Die Grenze zwischen Professionalität und Freundschaft verschwimmt durch den intensiven Kontakt unweigerlich.
„Wir haben sehr viel Zeit miteinander verbracht. Fast immer war die Kamera dabei aus. Nur manchmal gibt es den Moment, wo ich merke: „Das möchte ich jetzt drehen.“ Da kann ich entscheiden, dass ich die Kamera anmache. Ich kann aber auch genauso entscheiden, sie wieder auszumachen“, beschreibt Lenz ihre Vorgehensweise. Dem Film ist es anzumerken, dass sie von ehrlichem Interesse an der ungefähr 70 Jahre andauernden Paarbeziehung zwischen Eva und Dieter geleitet wurde. Ihre alltäglichen Routinen stehen ebenso im Vordergrund wie ihre umfangreichen von Tiefpunkten und Glücksmomenten durchzogenen gemeinsamen Erinnerungen.
Verantwortung für ein ganzes Leben
Drei Kinder, ein gemeinsames Haus, gemeisterte Krisen und unwiederbringliche Verluste: Das Eine-Frau-Team Pia Lenz trug die Verantwortung für das reichhaltige Leben der Simons quasi allein auf ihren Schultern: „Für mich war eine besondere Herausforderung damit verbunden, dass Eva und Dieter mir so ein immenses Vertrauen entgegengebracht haben, denn einer von beiden würde das Ende des Films ja nicht mehr sehen können. Also habe ich Eva Szenen gezeigt, als sie bereits auf dem Pflegebett lag. Das war auch richtig, denn es hat ihr ein gutes Gefühl gegeben. Maßgebliche Unterstützung bei der Einschätzung sowie Anordnung des Materials erhielt Pia Lenz dabei von der Editorin Ulrike Tortora: „Sie half mir dabei, eine Ausgeglichenheit zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen.“
Gefühle erzählen
Lenz führte in „Für immer“ nicht nur Regie, sondern fungierte gleichzeitig als Drehbruchautorin, Kamerafrau und Tonmeisterin. DOK Premiere Kurator Goggo Gensch vom Haus des Dokumentarfilms merkt an, dass die in diesem Film spürbare Intimität nur entstehen konnte, weil Lenz eben nicht mit einem ganzen Team bei Eva und Dieter zu Hause einfiel. Als weiteres Zeichen des Vertrauens ist zu deuten, dass Eva der Filmemacherin nach zwei Jahren all ihre Tagebücher überreichte.
„Das war wirklich ihr großes Geschenk an mich“, erinnert sich Lenz. „Aber dadurch kommt es natürlich, dass im Film der große Fokus auf Eva und ihre Gefühle gelegt wird. Es ging im Kern aber ja darum, wie die beiden als Paar funktionieren.“ Während sich die bewegte Geschichte des Paares dem Publikum in Evas eloquenten Aufzeichnungen, gelesen von Schauspielerin Nina Hoss, entfaltet, erzählen Dieters Gesten eine andere Ebene der Beziehung.
„Die Art, wie er Dinge tut und wie er auch bis zum Schluss Dinge für Eva tut, hat für mich oft mehr über ihn und seine Gefühle erzählt als es jetzt vielleicht das Gespräch getan hätte. Eva hat auch immer zu ihm gesagt, er habe Goldene Hände. Darum sieht man diese oft in Großaufnahmen“, so Lenz. An der Art und Weise, Bilder gezielt zu gestalten, wird deutlich: Pia Lenz will keine Beobachtung mit objektivistischem Anspruch produzieren, sondern von ihrer intensiven Begegnung mit zwei Menschen erzählen. Dies ist ihr meisterhaft gelungen.
GEHEN SIE INS KINO – ES LOHNT SICH!
Die DOK Premiere ist eine vom Haus des Dokumentarfilms kuratierte Filmreihe. Sie präsentiert einmal im Monat in Stuttgart und Ludwigsburg aktuelle Kinostarts von Dokumentarfilmen. Die jeweiligen Regisseur:innen sind für Werkstattgespräche mit dem Publikum vor Ort. Kuratoren sind Goggo Gensch (Stuttgart) und Kay Hoffmann (Ludwigsburg).
FÜR IMMER von Pia Lenz gastierte im Rahmen der Premierentour am 14. November 2023 im Atelier am Bollwerk Stuttgart und am 15. November 2023 im Caligari Kino Ludwigsburg. Eine Veranstaltung vom Haus des Dokumentarfilms · Europäisches Medienforum Stutgart e. V. in Kooperation mit Arthaus Filmtheater Stuttgart, Kinokult Programmkinos Ludwigsburg und Weltkino Filmverleih.