Meisterklasse mit Gabriela Sperl: Aufruf zum mutigen Erzählen
Ihre Spezialität sind unbequeme Themen; verstörende Ereignisse des Zeitgeschehens, die nie restlos aufgeklärt wurden. Produzentin, Drehbuchautorin und Dramaturgin Gabriela Sperl war am 26.01.24 Gast der Meisterklasse vom Haus des Dokumentarfilms.
Starke Geschichten für ein großes Publikum
Gabriela Sperl ist promovierte Historikerin, eine wissenschaftliche Karriere kommt für sie jedoch nie in Frage. „Wenn ich Geschichtsbücher schreibe, liest die keiner“, erklärt sie im Gespräch mit Astrid Beyer vom Haus des Dokumentarfilms, die die Meisterklasse kuratiert und moderiert. Sie entscheidet sich für ein Medium, das viele erreicht: das Fernsehen.
Von 1998 bis 2002 leitet sie den Programmbereich Musik und Fernsehspiel beim Bayerischen Rundfunk, bevor sie sich 2003 mit ihrer eigenen Produktionsfirma – erfolgreich – selbständig macht. Für ihre herausragenden Werke wird die Produzentin und Drehbuchautorin u. a. mit mehreren Grimme-Preisen, der Goldenen Kamera, dem Bambi, dem Bayerischen Fernsehpreis und 2022 mit dem Carl Laemmle Produzentenpreis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.
Gabriela Sperl fordert: „Schaut selbst hin!“
Sperls Filmografie umfasst mittlerweile über fünfzig Kino- und Fernsehproduktionen, die sie als Redakteurin, Produzentin oder Autorin umgesetzt hat. Viele dieser Filme sind hochrelevante Zeitdokumente, die gesellschaftliche und politische Machtstrukturen immer wieder kritisch hinterfragen.
Die in der Meisterklasse vom Haus des Dokumentarfilms besprochenen Mehrteiler HERRHAUSEN – DER HERR DES GELDES (2024) und NSU: MITTEN IN DEUTSCHLAND (2016) zeigen, wie bravourös Sperl aus jahrelang recherchierten Ereignissen fiktionale Erzählungen entwickelt. Ihre Geschichten legen den Finger tief in die Wunden unserer Zeit und sind ein Aufruf zum kritischen Hinschauen.
„Mein Ziel ist es, dass ich niemandem die Welt erkläre, sondern einen Anstoß zum Nachdenken gebe. Es gibt unterschiedliche Haltungen und jeder muss sich dazu eine eigene Meinung bilden […] Das Ziel ist die heutige Zeit kritisch zu hinterfragen, ohne Lösungen anzubieten. Vielmehr sage ich: ‚Schaut selbst hin!‘“
Produzentin mit Durchhaltevermögen
Mit HERRHAUSEN – DER HERR DES GELDES wird zu Beginn der Meisterklasse Sperls neueste Produktion besprochen. Der Mehrteiler ist ein beindruckendes Beispiel für den unermüdlichen Ehrgeiz und die stetige Neugier der mittlerweile 72-Jährigen. Der Chef der Deutschen Bank ist in den 1980er Jahren der aufgehende Stern der Bankenwelt. Seine Idee eines Schuldenerlasses für arme Länder sowie eines Kredits der Deutschen Bank an die UDSSR sorgen für starken politischen Gegenwind und bringen letztlich sein eigenes Leben in Gefahr.
Bereits 1989, kurz nach dem Attentat auf Alfred Herrhausen, weckt der Fall Sperls Interesse. Schon damals erscheinen ihr die Umstände des Mordes, für den die RAF verantwortlich sein soll, seltsam. Es folgen jahrelange Recherchen und mehrere Versuche Traudel Herrhausen, die Witwe des Verstorbenen, von einem Filmprojekt zu überzeugen.
„Ich habe meine Themen immer aus Fragen entwickelt, die ich selbst hatte. Weil ich das Gefühl habe, wenn ich mich frage, ob das so ist, ist das immer ein Ansatz genauer hinzuschauen.“
Doch der Weg bis zur Fertigstellung der Produktion ist steinig. „Von allen Projekten, die ich bisher gemacht habe, war das das härteste“, sagt Sperl über den Fernsehmehrteiler, dessen Produktionszeitraum in die Corona-Pandemie und den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine fällt. Die Kosten für Drehorte und Personal schnellen rasant in die Höhe, Förderungen aus Koproduktionsländern werden abgesagt und Locations gestrichen.
„Aber da kommen wir zu dem, was ich immer sage: Die Grundvoraussetzung etwas zu schaffen ist, dass man etwas wirklich will. Dass man sagt: ‚Egal was da jetzt passiert, wir ziehen das durch.‘“
HERRHAUSEN – DER HERR DES GELDES wird im Oktober 2024 in der ARD ausgestrahlt.
Intensive Recherchen für authentische Erzählungen
Mit dem Fernsehmehrteiler MITTEN IN DEUTSCHLAND: NSU greift Sperl erneut ein Stück deutsche Zeitgeschichte auf, bei der das Hinschauen wahrlich weh tut. Aus drei unterschiedlichen Perspektiven (Teil 1: Die Täter, Teil 2: Die Opfer, Teil 3: Die Ermittler) erzählt sie von den Morden und Aktivitäten des Nationalsozialistischen Untergrunds. Bis heute sind die Verbrechen der Gruppe um Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe nicht abschließend aufgeklärt.
„Schon damals war es auf manchen Ebenen so, dass man mir sagte: ‚Wir sind doch kein Land von Nazis. Wieso macht man solche Filme? Das bringt Deutschland in Verruf!’“
Doch Sperl setzt sich wie so oft durch und realisiert unter der Regie von Christian Schwochow, Züli Aladağ und Florian Cossen einen beeindruckend authentisch inszenierten Mehrteiler, der unter die Haut geht.
„Beim ersten Teil war es so, dass der Autor und auch die Regie intensiv nachrecherchiert haben. Wie reden die Leute, wie verhalten die sich? Wie ist die Stimmung? Das hat natürlich stark aufeinander eingezahlt. Das so zu zeigen geht eben nur, wenn man sich auskennt.“
Als Grundlage für den zweiten Teil dient Gabriela Sperl das Buch „Schmerzliche Heimat. Deutschland und der Mord an meinem Vater“ von Semiya Simsek. Produktion, Regie und Autor stehen dabei im engen Austausch mit der Familie des ermordeten Enver Şimşek.
„Was einfach ohnegleichen ist, ist die Brutalität, mit der die Ermittler und die Polizei mit diesen Leuten umgegangen sind. Einfach unfassbar! Ein Anliegen war zu zeigen, wie man diese Familien als Menschen zweiter und dritter Klasse behandelt hat. Dass man immer davon ausgegangen ist, dass es sich eh um Drogenhändler, Betrüger und Verbrecher handelt.“
NSU: MITTEN IN DEUTSCHLAND steht als VoD auf Amazon Prime zur Verfügung.
Gut besuchte Meisterklasse mit starkem Statement
Unter den Gästen der Meisterklasse sind neben Filmschaffenden und Studierenden auch Redakteur:innen der öffentlich-rechtlichen Sender. Bis in den späten Nachmittag wird angeregt diskutiert. Die Frage, welche Themen man aktuell erzählen muss und wie Sender diese platzieren können, beschäftigt dabei zentral.
„Was ich mitgenommen habe, sind zwei klare Aussagen: Filme wie die von Gabriela Sperl geben Sendern ein Profil und das ist sehr wichtig. Und Frau Sperl hat das große Vertrauen und den Glauben, dass sie Redaktionen findet, die diese nicht ganz leichten Themen trotzdem umsetzen wollen. Das finde ich super!“, zieht SWR-Redakteurin Tina Fuchs am Ende der HDF-Meisterklasse ihr persönliches Fazit.