DOK Premiere im September: PETRA KELLY – ACT NOW!
Das Haus des Dokumentarfilms präsentiert in Kooperation mit LETsDOK und Unterstützung von docfilm42 den Dokumentarfilm PETRA KELLY – ACT NOW! von Doris Metz als DOK Premiere am 17.9., 20 Uhr, in Stuttgart und am 18.9., 19.30 Uhr, in Ludwigsburg. An die Vorführung schließt sich ein Filmgespräch mit Regisseurin Doris Metz an.
„Mit zwei Beinen auf einer Erde stehen!“ Diese Philosophie seines Stammes, sagt ein Vertreter der Lakota und Freund Petra Kellys, habe sie verstanden. Den Satz habe sie gelebt und mit Leben erfüllt. Lakota – das bedeutet in diesem Dialekt der Sioux: „Freunde“ und „Verbündete“. Eine spirituelle Geistesverwandtschaft wird so angedeutet.
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Leicht verblasste Super-8-Aufnahmen. Eine junge Frau herzt eine ältere. Sie ist voller Überschwang. Ausgelassen bis hin zum Posieren. Umarmt und küsst die Ältere. Sie will, so scheint es, ein Bild von einem überglücklichen Glück für die Kamera inszenieren. Die Szene soll sich ins Gedächtnis einbrennen. Erinnerung wird in der Gegenwart beschworen. Eine Enkelin bestürmt die Großmutter. Der ist das ein wenig peinlich. So benimmt man sich doch nicht vor der Kamera, die das gegenseitige Vertrautsein stört. Ein privates Einverständnis bricht, indem es dieses nahezu öffentlich macht. Sie habe, so berichtet Petra Kelly später, ein inniges Verhältnis zur Mutter, besonders zur Großmutter gehabt. Von ihr habe sie viel gelernt.
Die Bewegte
Petra Kelly – Symbolfigur der Friedensbewegung. Geachtet als Menschenrechtsaktivistin. Bewundert, belächelt, gefürchtet, auch gehasst und verfolgt. Überzeugt, kämpferisch, radikal. Auch obsessiv? Sie füllte, begabte Rednerin, die sie war, Säle. Konnte überzeugen. Mitbegründerin der „Grünen“. Bundestagsabgeordnete. „Was ich mir erkämpfen will, ist Politik,“ sagt sie in einem Interview. Sie will Feminismus und Gewaltlosigkeit miteinander in Einklang bringen. Geboren in der Bundesrepublik, aufgewachsen in einem Frauenhaushalt – erzogen und geprägt von Mutter und Großmutter, „Trümmerfrauen“ nennt sie die beiden; der Vater verließ die Familie, als sie sieben Jahre alt war. Eine Schwester starb früh an Krebs – an den Folgen, so Kelly, einer überhöhten Strahlendosis. Ein persönlicher Verlust, der sie ins Herz getroffen hat. Und der ihre politische Aufmerksamkeit auf die Gefahren der Radioaktivität lenkt, auf die atomare Bedrohung überhaupt.
Nach der zweiten Heirat der Mutter Umzug in die USA, Studium, ihre Leistungen herausragend, früh politisch engagiert – 1968 aktiv für den Präsidentschaftskandidaten Robert Kennedy. Vorbilder: Martin Luther King, Mahatma Gandhi und Rosa Luxemburg
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Ein Interview in einem englischen TV-Sender. Da sitzt eine konzentrierte, fast in sich gekehrte junge Frau einem versierten Moderator gegenüber. Die Kamera zeigt sie in der Halbnahen, zuweilen in Großaufnahme. Sie, das Gesicht schmal, innerlich angespannt, die Arme an den Körper gelegt; er akkurat in „suit, collar and tie“. Warum sie immer so schnell spreche, lautet eine Frage. Nicht aufbrausend, aber heftig, die ungezogene Frage ignorierend, entgegnet Kelly: „time is running out“. Und wendet das psychologierende Nachforschen im Privaten ins offensiv Politische, denn während man hier rede, gebe es eigentlich so viel zu tun. Und ist nicht mehr zu bremsen. Schaue man ihr in die Augen, dann erkenne man, so ihr Stiefbruder an anderer Stelle, dass das, was sie vortrage, für sie die Wahrheit sei. Nicht mehr und nicht weniger. „It was true for her.“ Zweifel sind nicht zugelassen. Eine Frage drängt sich auf: Ist ihre Sprache, diese verdichtete Rhetorik, angstgetrieben? Alles muss raus. Jetzt. Weil es sonst verloren gehen könnte? Ohne Absatz treibt sie ihre Argumente voran, repetiert, setzt nach und schichtet so einen Schutzwall um sich. Gleichsam überwältigt von der Unbedingtheit des eigenen Anspruchs und getrieben von einer aufklärerischen Unruhe. Ihre Intellektualität glüht. Wehren kann sich das Gegenüber nur, wenn es sich dem monologischen ‚Dialog‘ entzieht.
Die Form
Die filmische Narration, die die Regisseurin Doris Metz wählt, sucht und findet eine Balance zwischen Denken und Fühlen. In dem Dokumentierten selbst, aber auch in der Montage der Bilder. Sie verfolgt eine Strategie, die Zuschauerinnen und Zuschauer emotional mit einzubeziehen. Die Montage provoziert körperliche Empfindungen. Metz lädt mit dieser Konzeption zu einer Porträt-Lektüre ein. Zahlreiche zeithistorische Filmberichte und -reportagen – von Demonstrationen und Versammlungen, ob in kleinem oder großem Kreis, privat oder öffentlich, alle von mitreißender ‚aktueller‘ Vitalität, wechseln mit Super-8-Aufnahmen aus dem Familienumfeld, sind gegengeschnitten mit Interviews von Weggefährtinnen und -gefährten. Aufgenommen aus passionierter Distanz, die die Nachdrücklichkeit der Antworten akzentuiert. Und immer wieder wird der Montagebogen unterbrochen von Landschaftsaufnahmen, in Ruhe gelassener Welt, die eine Atempause ermöglichen, auch eine Sehpause in dieser Flut von Bildern. Wie ein stiller Fluss fließen sie ein in die Montage. Nur einmal ein harter Schnitt, der wie ein inhaltlicher Erweckungsschlag wirkt, wenn nach einer nächtlichen Landschaftsaufnahme im Gebiet der Lakota, auf dem Uranabbau betrieben wird, Naturzerstörung und Eingriff ins Leben, Aufnahmen vom Abwurf der Atombombe auf Hiroshima geschnitten werden – der Pilz steigt, weitet sich zur himmelsteigenden Todeswolke, ein Feld von Trümmern hinterlassend. Kamera: Sophie Maintigneux, Schnitt: Nina Ergang. Man spürt den Film förmlich. Und die Äußerungen der Befragten wirken und fügen sich wie textliche Bilder.
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Die Organisationszentrale der „Grünen“ in Bonn. Mit Koffern bepackt, vom Flieger aus Brüssel kommend, wo sie als Praktikantin im EU-Parlament Erfahrungen sammelt, stapft sie auf die Eingangstür zu. Schnitt. Eine Runde von Männern und Frauen – unter ihnen Joseph Beuys. Palaver. Lachen. Schnitt. Ein Reporter fragt Beuys, ob er Petra Kelly für ein „kleines Kunstwerk“ halte. „Wenn schon“, entgegnet der, dann „ein großes Kunstwerk innerhalb der Bewegung“. Sie sei ein Mensch „ohne Inhibition“, sie sei „nicht zu stoppen“. Kelly hört die Antwort, wendet sich im Hintergrund halb ab, halb zu, verlegen einerseits, scheu und ausweichend, doch ihr Lächeln verrät, es gefällt ihr, was Beuys sagt. Beide hatten eine „spirituelle Freundschaft“, erklärt an anderer Stelle Lukas Beckmann, Freund, auch er Mitbegründer der „Grünen“.
Der General
Das Verhältnis zu Gert Bastian, dem einstigen General der Bundeswehr, bleibt auch in der Retrospektive rätselhaft. Die These, beide hätten einen gemeinsamen Suizid verübt, wie man zunächst annahm, ist nicht mehr zu halten. Otto Schily sagt, Bastian habe Petra Kelly „ermordet“, so „brutal müsse man es sagen“. Bastian selbst habe oft betont, er sei „Soldat“. Aber bedingt diese Aussage, ein Soldat müsse unbedingt töten? In welcher Lage oder Notlage? Bastians Motivation bleibt verschlossen. Sie selbst äußert sich zu ihrer Nähe zu Bastian, es handle sich um „eine tiefe und komplizierte Liebe“. Der Film dramatisiert die Todesumstände nicht. Reiht Ansichten von Freunden aneinander, die teilnehmend sind und von einer stillen Wut über die Tat. Bastian steht so in einem Zwielicht, das ihn nicht denunziert, aber eine menschliche und – möglicherweise – politische Ambivalenz heraushebt. Sie sei „ein wunderbares Menschenkind“ gewesen, sagt Schily.
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Ein Foto zeigt Petra Kelly auf einem Autodach sitzend. Sie sitzt da wie eine Frage. Bin ich das? Wer bin ich? Ihre Augen sind müde. Sie sei ein „enfant terrible“, eine „Außenseiterin“ und wolle das auch bleiben. Sie sei „lieber allein als mit Menschen“. Eine Fremde im eigenen Leben. Aber das wäre ein Widerspruch zu ihrem umfassenden Engagement, zu ihren leidenschaftlichen Bekenntnissen, die Welt umarmend und sie abstoßend, um sie besser zu machen.
Die Vermutung
Doris Metz wagt einen Rundschluss von Kelly zu den heutigen Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten. Hätte sie auf deren Seite gestanden? Freundinnen und Freunde bejahen die Frage. Schränken aber ein, dass ihre absolute Hingabe an die Gewaltlosigkeit manche Aktionen für sie ausgeschlossen hätten. 1983 zogen die „Grünen“ erstmals in den Bundestag ein. Unter Tränen erklärt Kelly, man habe „endlich gewonnen auf Bundesebene“. Doch bleibt sie dem eingespielten Politikbetrieb fern. Sie will ihn aufbrechen. Und scheitert – auch in der eigenen Fraktion. Nach dem Bekanntwerden des Wahlergebnisses kommentiert Friedrich Nowotny ironisch, ob das augenblickliche Muskelspiel der jungen Partei ein oder zwei oder wie viele Jahre halten werden. Das bleibe abzuwarten. Für Otto Schily hat Kelly eindeutig etwas bewegt. Sie sei, so auch andere Aussagen, weniger eine deutsche Politikerin gewesen als eine internationale, global vernetzt. Amerikanisch geprägt. Doch im Rückblick, so Schily, habe sie mit ihrem Aktionismus „Recht gehabt“. Recht gehabt zur unrechten Zeit? Wie fügt sich dieses ‚Recht haben‘ in die gegenwärtigen Protestbewegungen? Fügt es sich ein? Oder ist es aus der Zeit gefallen?
Miniatur 5
Der Bundestag in Bonn. Von hinten und aus leichter Aufsicht aufgenommen durchstreift Petra Kelly die verlassenen Sitzreihen. Mensch in einer großen Leere …
https://www.youtube.com/watch?v=v64FKV480_Q
PETRA KELLY – ACT NOW! Dokumentarfilm von Doris Metz. Produktion: Bildersturm Filmproduktion, gefördert mit Mitteln von Deutscher Filmförderfonds (DFFF), Film- und Medien Stiftung NRW, FilmFernsehFonds Bayern (FFFB), Medienboard Berlin-Brandenburg (MBB); Verleih: Real Fiction Filmverleih.
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Dienstag, 17.09.2024, 20.00 Uhr
Delphi Arthaus Kino, Stuttgart
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Dienstag, 18.09.2024, 19.30 Uhr
Caligari-Kino, Ludwigsburg